45 - Racheaktionen

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Mein Zimmer hatte keine Tür mehr.

Halb geduckt betrat ich die Wohnung. Die Tür war abmontiert und sauber neben den Zimmereingang gestellt. Vielleicht war Gabe gar nicht so wütend wie gedacht. Ich hatte erwartet, dass er gleich das Wohnungsschloss auswechseln und mich darum betteln lassen würde, rein zu dürfen. Es war vollkommen still. Levi starrte in die Schatten, als würde jeden Augenblick ein wahnsinniger Clown daraus hervorspringen.

„Das ist irgendwie unheimlich."

„Ziemlich." Ich zog meine Jacke aus. Die Stelle, an der Tony mich mit dem Rohr getroffen hatte, pochte. „Gabe?"

„Sieh einer an." Levi und ich zuckten gleichzeitig zusammen. Gabe stand hinter uns in der offenen Eingangstür und starrte auf uns herab. Wie zur Hölle ist er da hingekommen? „Die verlorenen Kinder kehren heim."

„Es tut mir leid." Ich wich etwas zurück und schob Levi hinter mich. Gabe sah mich einfach nur an. Der Verband an seinem Kopf war leicht verrutscht. „Wirklich. Ich wollte nur nicht, dass du dir..." Ich verstummte. Gabe starrte mich weiter an. „Äh, würdest du vielleicht aufhören mich so anzustarren?"

Er blinzelte nicht mal. Ich rieb mir den Nacken. Levi schlich sich in Richtung Bad.

„Hiergeblieben, Zombie." Gabe sah nicht in seine Richtung. „Zu dir komme ich noch."

Levi gab ein seltsames Geräusch von sich. Gabe kam auf mich zu. Ich machte ein paar Schritte zurück, abwehrend hob ich die Hände.

„Hör zu, Gabe, wir können garantiert über alles reden, aber...-" Er packte mich und warf mich über die Schulter. „Scheiße, lass mich runter!"

Ich wand mich, wollte ihn treten, aber dann würde ich ihn verletzen. Er trug mich in Richtung Badezimmer. Er schwankte leicht unter meinem Gewicht, aber er ließ nicht los.

„Gabe, verdammt!" Ich rüttelte an seiner Schulter, aber er reagierte kaum. „Hör auf damit, bevor...-"

„Tut mir wirklich leid, Tristan." Er ließ mich fallen, ich spürte die Badezimmerfliesen unter mir. Ich sprang auf die Füße, aber Gabe zog die Tür zu. „Ich wollte dich ja gar nicht einsperren, aber es ging nicht anders."

„Gabe!" Ich packte den Türgriff im selben Moment, in dem sich der Schlüssel im Schloss drehte. „Mach auf, verdammt!"

Er ignorierte mein Klopfen und Hämmern, ich hörte Levi wimmern.

„Und jetzt zu dir."

„Du darfst ihn nicht umbringen!" Ich schlug auf die Tür ein „Wir brauchen..."

Ich wich zurück. Das Türblatt hatte nachgegeben. Nein. Ich stolperte nach hinten und fiel auf den Toilettensitz. Erst jetzt fiel mir auf, dass das Licht nicht angeschaltet war. Levi schrie, Glas barst.

„Komm her, du kleiner Scheißer!"

Ich hörte etwas gegen die Wand prallen und presste die Fingerknöchel gegeneinander. Er darf ihn nicht umbringen.

„Warum?", schrie Gabe.

„I-Ich..."

„Warum hast du das gesagt?!"

Ich konnte nicht sehen, was da draußen passierte. Die folgenden Worte waren zu leise, um sie zu verstehen, dann prallte etwas gegen die Wand unmittelbar neben dem Bad. Ich zuckte zusammen. Er darf ihn nicht umgebracht haben. Gabes schwere Schritte kamen näher, der Schlüssel drehte sich im Schloss. Ich sprang auf und ging auf die Tür zu.

Ich lief gegen Gabes ausgestreckte Hand.

„Nicht so schnell." Er schubste mich zurück und zog die Tür hinter sich zu, in der Dunkelheit konnte ich ihn nicht sehen. Ich spannte mich an. Er wird mich nicht schlagen, er wird mich nicht schlagen, er wird mich nicht schlagen. Er packte mich am Kragen, ich sog die Luft ein. „Du hast mir eine von diesen Spritzen verpasst."

„Ich wollte nur...-"

„Du hast mich eingesperrt."

„Ja, aber...-"

„Du hast mit keinem Wort erwähnt, wo ihr hingeht."

„Gabe, bitte, ich... ich kriege keine...-"

„Wärst du jemand anderes, würde ich dich so sehr verprügeln, dass du drei Wochen lang nicht sitzen kannst." Ich konnte nicht atmen, er schnürte mir die Luft ab. Panisch klopfte ich auf sein Handgelenk, aber er reagierte gar nicht. „Vielleicht sollte ich das auch tun."

Nein. Ich versuchte zurückzuweichen, aber sein Griff war zu fest. Nein, nein, nein. Er nicht auch noch, bitte er nicht auch. Egal wie unheimlich Tenos' Gestalten waren, Gabe war tausend Mal schlimmer. Mein Atem ging immer flacher, das Blut rauschte in meinen Ohren. Nein.

„Was meinst du?" Er zog mich dichter zu sich, in der Finsternis hob sich das Spinnentattoo dunkel von seiner Haut ab. Er war blasser als sonst. „Hättest du es verdient?"

Bitte nicht, Gabe. Ich kniff die Augen zusammen. Sie brannten. Bitte nicht. Ich rang nach Atem.

„I-Ich kann..."

„Und ob du hättest."

Er schubste mich zurück und ich fiel auf den Toilettensitz. Mein ganzer Körper zitterte. Gabe schlug auf den Lichtschalter, geblendet hielt ich mir die Augen zu.

„Du hast verdammt Glück, dass ich das nicht vorhabe."

Ich ließ die Hände sinken. Gabe hatte die Arme verschränkt und sah auf mich nieder. Ich zitterte immer noch, meine Hände fühlten sich fremd an. Mein bester Freund hob das Kinn.

„Du hattest Schiss."

Ich nickte schwach. Er wird mich nicht verraten. Nicht Gabe.

„Hast du immer noch", stellte er fest. Ich nickte wieder. „Feigling."

„Ja."

Ich zog die Beine an. Ein kleiner Junge und ein Feigling. Mein Leben hat sich gelohnt.

„Hör auf, so zu gucken." Gabe verdrehte die Augen. „Da hab ja sogar ich Mitleid."

„Es tut mir wirklich leid. Ich wollte nur..." Ich hatte keine Ahnung, was ich wollte. Nicht an Tony denken. „Ach fuck."

„Steh schon auf."

Ich stand auf. Meine Beine zitterten. Er wird mich nicht schlagen. Es ist Gabe, er wird mich nicht schlagen. Er schüttelte den Kopf.

„Du siehst so was von fertig aus." Er packte mich an der Schulter und schob mich nach draußen. Levi, der sich mitten im Flur auf dem Boden zusammengerollt hatte, beachtete er gar nicht. „Leg dich hin und schlafe. Deine Standpauke kannst du dir morgen noch abholen." Ich stolperte ins Zimmer, als ich mich umdrehte, wendete sich Gabe ab. „Und die Tür bleibt stehen, wo sie ist."

Ich antwortete nicht. Gabe wird mich nicht schlagen. Gabe wird mich nicht verraten. Zitternd rollte ich mich auf dem Bett zusammen. Verdammt, Tony kann so etwas nicht getan haben. Ich hörte Levi stöhnen und dann die Tür vom Badezimmer. Das Licht im Flur ging aus. Gabe bei einem Autounfall. Das Double ohne Gesicht. Mein Fuß, der brach und sich von allein zusammenfügte. Tony mit dem Ankh. Die Eisenstange an meinem Hals. Gabes Drohung. Ich hatte noch achtundvierzig Stunden zu leben.

Der Wecker zeigte dreiundzwanzig Uhr vierundfünfzig.

Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt