24 - Kaffee und Cognac

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Schaudernd lehnte ich mich gegen die Anrichte. Er wollte Gabe fressen. Ich biss mir auf die Lippe. Er hat es nicht getan, aber er wollte. Gabe kam auf mich zu.

„Gabe, stopp."

„Was ist denn jetzt schon wieder?"

Einen Moment lang hatte ich erneut gesehen, wie Levi auf ihn zusprang, seine Zähne in Gabes Arm.

„Nichts." Ich schloss die Augen. „Alles in Ordnung."

Ich drückte die Kühlschranktür zu.

Ein schwarzer und ein grüner Knopf sahen mich an.

Die Luft wurde mir knapp, ich wollte zurückweichen, aber ich konnte nicht. Die Augen kamen auf mich zu, aus der Kühlschranktür heraus, wurden größer. Graue Haut, die durchsichtig über Knochen spannte, ich konnte nicht zurückweichen.

Das Wesen ging durch mich hindurch.

Mir wurde eiskalt, ich stützte mich auf der Anrichte ab, um nicht hinzufallen. Ich sah auf. Es war, als wäre meine Lunge mit beißend kaltem Wasser gefüllt.

Gabe schlug mit dem Pfannenwender nach dem Vieh.

Zischelnd wich der graue Schatten zurück, die Knopfaugen waren das Stofflichste an ihm. Der Rest nur körperlose Haut über Knochen. Gabe warf den Pfannenwender und trat das Wesen am Kopf.

„Das ist für die Kratzer."

Und dann ging er auf das Vieh los. Stürzte sich auf es mit seinen knappen hundert Kilo Kampfgewicht und riss es zu Boden, ich hörte etwas klappern. Das Wesen verschwand im Boden und Gabe hockte nur noch auf den Fliesen.

Viel zu nah bei Levi.

Der Zombiejunge tastete sich auf Gabe zu, sein Kopf hing nach unten, die Haare verdeckten sein Gesicht. Er sah besessen aus. Vollkommen besessen, und er versuchte gerade, meinen besten Freund zu töten. Gabe stand auf, sein Blick fiel auf den krabbelnden Levi.

Er hob den Baseballschläger auf und zog ihn Levi über den Schädel.

Der Junge brach zusammen und rührte sich nicht mehr. Gabe legte sich den Schläger auf die Schulter.

„So macht man das."

„Er... Er wollte dich fressen." Ich schluckte. Dachte daran, wie Levi und ich vor nicht einmal fünf Minuten durch die Stadt gelaufen und ganz normal miteinander geredet hatten. Sie riechen nach Essen, hatte er gesagt. „Er hat versucht, dich zu...-"

„Ja, hat er." Gabe schob mich auf den Küchentisch zu. „Krieg dich mal wieder ein."

Schwer fiel ich auf einen der Stühle, sah zu, wie er die Kühlschranktür öffnete und Wurst, Käse und Butter auf den Tisch stellte. Levi stöhnte.

„Willst du sonst irgendwas?"

„Nein." Die Brötchentüte stand leicht offen. Es sah aus wie der Rachen eines Monsters. „Ich will nichts."

„Doch, willst du." Gabe schaltete die Kaffeemaschine ein, das Zischen war zu laut. „Entspann dich. Es ist ja alles in Ordnung."

Sein Arm blutete noch. Ich mühte mich hoch und stolperte auf den mittleren Küchenschrank zu, in dem wir den Verbandskasten lagerten. Gabe beobachtete, wie ich den Kasten hervorzog.

Das graue Vieh tauchte vor mir aus dem Boden auf und dieses Mal schrie ich.

Ich schrie so heftig, dass mir selbst die Ohren wehtaten, taumelte gegen die Küchenzeile und stieß mit der Schulter dagegen. Ich zischte. Gabe knallte dem Wesen den Baseballschläger ins Gesicht und ich schrie immer noch, bis mir die Stimme versagte und ich nur noch heiser krächzte und Gabe auf das Wesen einprügelte, wieder und wieder und wieder.

„Salz." Levi flüsterte nur. Gabes Prügelattacke war wie ein Herzschlag, dum-dum-badum. „Du brauchst Salz."

Ich griff in den Schrank neben mir und tastete nach dem Salz, warf irgendeine Packung um, ein Topf kam mir entgegen. Als ich das Salz zu fassen bekam, zitterte meine Hand so sehr, dass ich es über den halben Boden verteilte, bevor ich den Rest über Gabe und dem Vieh auskippte.

Das Schattenwesen kreischte, ich hörte ein Zischen wie von heißem Fett in der Pfanne. Als ich sah, dass es die Haut des Wesens war, drehte sich mir der Magen um. Gabe schubste es zur Seite, es zuckte und zischte und dann war es weg. Vom einen auf den anderen Moment verschwunden, einfach so. Meine Schultern und Arme zitterten unkontrolliert, ich konnte mich nicht länger aufstützen. Die Bisswunde in meiner Schulter pochte. Gabe kam auf mich zu, packte mich unter den Armen und zog mich zu dem Stuhl zurück.

„Tris. Ey." Er rüttelte mich. „Atmen nicht vergessen."

Ich atmete. Ein. Aus. Es hämmerte an der Tür und ich packte die Tischplatte. Zuerst diese Puppe und jetzt das. Zu viel für einen Morgen ohne Frühstück. Gabe verdrehte die Augen und ging zur Tür. Normalerweise machte ich das immer, weil Gabe den meisten Leuten Angst einjagte. Ich wollte aufstehen, aber ich konnte nicht. Vom Flur her konnte ich Frau Dunows Stimme hören, die schnell näher kam, und dann stand die etwas rundliche Dame auch schon in der Küche. Gabe hinter ihr sah aus, als hätte er ihr gern den Hals umgedreht.

„Binden Sie mir keinen Bären auf, Herr Henning, ich erkenne einen Angstschrei, wenn ich ihn... Himmel, du bist ja ganz blass, mein Junge!" Sie schlug die Hände vor den Mund. Ich grinste schief. „Er braucht Cognac, einen ordentlichen Becher voll."

„Tristan hatte eine Panikattacke." Gabes Grinsen war rasiermesserscharf. „Kommt wahrscheinlich davon, dass er noch kein Frühstück hatte."

„Was ist passiert, Tristan?", fragte die kleine Frau an mich gewandt. Wie es aussah, glaubte sie Gabe nicht. Mein bester Freund verengte die Augen. Ich rang mir ein Lächeln ab.

„Alles gut, Frau Dunow. Ich brauche nur einen Moment."

„Cognac. Das hat meine Mutter schon mit mir gemacht, als ich ein kleines Kind war, die beste Medizin, die man finden kann." Sie sah sich in der Küche um. „Herr Henning, wo lagern Sie Ihre alkoholischen Getränke?"

„Das sollten wir besser bleiben lassen", sagte Gabe. Die Dame drehte sich erhobenen Doppelkinns zu ihm um.

„Warum das?"

„Ich vertrage nicht sonderlich viel", sprang ich ein. „Ich bleibe einfach bei Kaffee. Danke, Frau Dunow."

Sie nickte zögernd, beugte sich aber noch mal zu mir runter.

„Wenn es etwas ist, worüber sie vor ihrem..." - ihr Blick wanderte zu Gabe und ich fragte mich, was sie eigentlich hatte sagen wollen - „...Mitbewohner nicht reden können, kommen sie zu mir."

„Wirklich." Ich drückte ihre faltige Hand. „Alles in bester Ordnung."

Sie ging in großem Bogen um Gabe herum zur Tür. Erst als die Tür ins Schloss fiel, stiefelte Gabe hinterher. Ich hörte, wie er den Riegel vorschob.

„Quacksalberin." Er klopfte sich die Hände an den halb angezogenen Jeans ab und zog den Gürtel fest. Salz rieselte zu Boden. „Die Alte hat dich ja zum Fressen gern."

„Mich mögen die Leute halt." Ich suchte den Boden nach Levi ab, aber ich konnte ihn nicht finden. „Kannst du mir was zu trinken geben?"

Gabe grinste sein Serienmördergrinsen.

„Cognac oder Kaffee?"

„Kaffee." Ich rieb mir die Augen. „Sehr viel Kaffee."

Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt