31 - Friedhofsspaziergang

161 27 14
                                    

Der Eingang zum Friedhof war unauffällig, eine Tür und ein einfaches Tor in einer Mauer, wie eine Lieferzufahrt. Nur ein paar Meter daneben war ein Blumenladen, in dessen Schaufenster Tulpen- und Stiefmütterchensträuße neben Dekoschmuck und den letzten verbliebenen Wintergestecken standen. Wir gingen durch das Tor, ein grauhaariger Mann kam uns entgegen, den Blick zu Boden gerichtet.

„Das ist der Hauptweg." Tony deutete geradeaus. „Irgendwo da hinten muss ein Tempel kommen."
„Wie in einem Englischen Garten", stellte ich fest. Ich musste mich beeilen, um mit ihr mitzuhalten. Das Krückenlaufen war anstrengender als gedacht.

„Das ist ein Englischer Garten." Tony sah sich um. „Repräsentativ."

„Woher weißt du das?"

„Meine Mutter war mit mir hier, bevor sie..." Tony sah über die Grabreihen hinweg. Kleine Statuen standen zwischen den Gräbern und neben den Bäumen, die Wege waren sauber gezogen, am Wegrand standen gelegentlich Bänke. Sie hatte recht, es sah aus wie in einem Park, nicht wie auf einem Friedhof. „Bevor sie gestorben ist."

„Oh." Ich war froh, die Krücken zu haben. So wusste ich wenigstens, was ich mit meinen Händen anstellen konnte. „Woran ist sie...?"

„Krebs." Sie sah mich nicht an, sondern den Weg entlang, ihre Stimme klang wie die meiner Uroma, wenn sie vom Krieg erzählte. Nach Dingen, die man nicht vergessen konnte. „In meiner Familie stirbt jeder an Krebs."

„Hey." Ich nahm beide Krücken in eine Hand und umarmte Tony. Sie ließ es zu. „Tut mir leid."

„Du kanntest sie nicht."

„Für dich tut es mir aber leid."

Sie machte sich von mir los und ging weiter. Ich balancierte auf einer Krücke und einem Fuß, wechselte die zweite Krücke in die andere Hand zurück und folgte Tony.

Eine Krücke rutschte weg.

Gabe hielt mich fest und stellte mich richtig hin. Ich blinzelte perplex. Was zum... Tony lachte.

„Was, Henning? Mutterinstinkte?"

„Herrcheninstinkte." Er verpasste mir einen leichten Stoß, damit ich weiterging. „Er ist wie ein Welpe - tollpatschig bis zum Geht-nicht-mehr."

Er klopfte mir auf den Kopf.

„Du Arsch!" Ich hob eine Krücke. Fast wäre ich gestolpert, aber ich konnte mich halten. Gabe lachte. „Fick dich doch."

„Wie viel bekomme ich dafür?"

„Oh Gott, bitte nicht." Ich stand kurz davor, mir die Hand vor die Stirn zu schlagen, aber ich ließ es bleiben. Gabe lachte noch heftiger. Polizisten hätten an diesem Punkt sicherheitshalber ihre Waffen gezogen und auf ihn gerichtet. „Okay, wo müssen wir hin?"

„Geradeaus."

Tony ging vor, ohne zurückzusehen. Ich beeilte mich, ihr zu folgen, und kurz funktionierte es auch gut. Nur, dass das Laufen immer schwerer wurde. Mein Fuß pochte, der Verband spannte darum. Ich bemerkte, dass ich langsamer wurde.

„Stimmt was nicht?", fragte Gabe. Ich blieb stehen, kniff die Augen zu. „Alter, du siehst aus wie der Zombie."

Ich schaffte es nicht, zu antworten. Ich hörte Tony näher kommen. Als ich die Augen öffnete, stand sie direkt vor mir, die Stirn gerunzelt.

„Du bist total blass." Sie berührte meine Stirn. „Und heiß."

Ich grinste schief.

„Danke, du bist auch ziemlich heiß."

„So schlimm kann es also noch nicht sein." Gabe verschränkte grinsend die Arme vor der Brust. Im schwachen Licht das durch die Bäume drang wirkte es, als würde sich das Spinnentattoo an seinem Hals bewegen. Vielleicht lag es auch an meinen Augen. „Er denkt genauso wie sonst."

„Dann schafft er es garantiert auch noch bis zum Tempel, nicht wahr?" Tony kniff die Augen zusammen. „Komm in die Gänge, Hottie."

„Warte, ich..."

Tony stiefelte davon. Zitternd atmete ich ein und humpelte weiter. Gabe lief ungerührt neben mir. Aber immerhin rannte er nicht vor.

Ich sah den Tempel im selben Moment, in dem ich die Statue zwischen den Bäumen entdeckte. Ich wusste nicht, was mich so an der Frauenfigur störte, die flehend die Hände aneinandergelegt hatte, aber irgendetwas war da und ich wollte herausfinden, was es war.

„Tris?" Gabe packte mich an der Schulter, als ich in die Richtung humpeln wollte. „Nur so zur Info, das ist die falsche Richtung."

„Da ist irgendwas."

„Eine Statue. Und?"

Ich machte mich von ihm los und humpelte weiter. Sie stand viel zu weit abseits vom Weg, mitten zwischen den Bäumen. Ich blieb mit einer Krücke an einer Grasnarbe hängen, die Krücke landete auf dem Boden. Ich schaffte es, mich an einem Baum festzuhalten. Super. Leise fluchend bückte ich mich, mein Fuß striff einen Ast. Fast wäre ich rückwärts ins Gras gefallen.

„Komm schon hoch." Gabe wartete nicht auf eine Antwort, er zog mich einfach auf die Füße, griff nach der Krücke und drückte sie mir in die freie Hand. „Und jetzt schwing deinen Arsch in Richtung Tempel, bevor Breschis Schwester komplett verschwindet. Der sticht mir garantiert kein Tattoo mehr, wenn ich sein Schwesterherz verliere."

„Dann hol sie doch her." Ich humpelte weiter auf die Statue zu. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, wurde immer stärker. „Ich will wissen, was das ist."

„Alter, komm runter." Gabe kam mir hinterher. „Es ist nur eine Statue..."

Er verstummte im selben Moment, in dem ich stehen blieb. Wie konnten die Statue von vorne sehen und jetzt sah ich, was mich gestört hatte.

Sie hatte keine Augen.

An der Stelle waren nur zwei Löcher im Stein. Gabe und ich wechselten einen Blick.

„Ich sag's nicht gern, aber du hast recht." Gabe sah sich um, seine Augen schmal. „Hier stimmt wirklich was nicht."

„Sag ich doch." Ich versuchte, meine Krücken über den unebenen Boden zu manövrieren. „Hilf mir. Hier ist irgendetwas."

„Und was genau?"

„Ich weiß nicht."

Doch, wusste ich. Es war ein Geruch, der mir bekannt vorkam. Etwas Verwesendes. Ich schaffte es, den halben Weg um die Statue zurückzulegen, ohne hinzufallen.

„Seid ihr verrückt geworden?" Ich sah zu Tony zurück, die auf uns zulief. „Was zur Hölle treibt ihr da?"

„Hier ist etwas." Tony und Gabe beobachteten mich dabei, wie ich um die Statue herumging. „Irgend..."

Ich verstummte.

Levi lag vor mir auf dem Boden.

Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt