Als Gabe sich meldete, war es kurz vor Mitternacht und Regen peitschte aus der Dunkelheit gegen die Fenster. Ich schaffte es kaum noch, die Augen offen zu halten, aber schlafen konnte ich auch nicht. Als mein Handy klingelte, erwartete ich halb, die Polizei am anderen Ende zu hören.
Kennen Sie Gabriel Henning?
Was ist mit ihm?
Und dann die Antworten. Er ist in Untersuchungshaft wegen versuchten Mordes. Er hatte einen Unfall. Er ist vor einen Zug gesprungen. Er liegt im Koma, Alkoholvergiftung. Ich wollte nicht abnehmen. Ich tat es doch. Einen Moment lang hörte ich nur einen schweren Atem und den Regen im Hintergrund. Dreißigtausend Euro oder Ihr Freund ist tot.
„Tris?"
„Gabe."
Er lebte. Er war weder tot noch in Polizeigewahrsam noch in irgendwelche Mafiageschäfte verwickelt. Wieder einige Momente nur sein Atem. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe neben mir.
„Kannst du mich abholen?"
Seine Worte gingen schleppend. Er hat getrunken. Aber das hatte ich erwartet.
„Wo bist du?" Ich stockte. „Und von wo rufst du an?"
„Telefonzelle."
„Echt?"
„Hm."
„Okay, gut." Ich griff nach meiner Jacke, entschied mich anders und zog die Schuhe an. Dafür brauchte ich nur eine Hand. In der Leitung knackte es. „Wo genau bist du?" Er nannte mir die Adresse - was hieß, den ungefähren Stadtteil, den Rest wusste er nicht. „Ich komme. Bleib, wo du bist."
„Tris?"
„Ja?"
„Tut mir leid."
Ich schloss die Augen.
„Ich weiß."
Dann war die Leitung tot.
Ich suchte Gabe eine Viertelstunde, der Regen hämmerte auf das Dach des Mercedes' wie Hagel. Mit jeder weiteren Minute machte sich die Angst mehr in mir breit. Wenn Gabe betrunken war, hörte er auf niemanden mehr außer sich selbst und wenn er der Meinung war, es wäre ein guter Zeitpunkt zum Spazieren gehen, dann würde er das tun, egal ob er warten sollte. Es waren kleine Nebenstraßen, durch die ich fuhr, abgesehen von mir war niemand auf der Straße. Einige Laternen funktionierten nicht. Ich entdeckte die Telefonzelle schließlich neben einem Baum und einem Bushaltestellenschild, die einzige weit und breit. Niemand stand darin. Er darf nicht weggegangen sein. Ich hielt am Straßenrand, einen Moment lang starrte ich geradeaus. Die Telefonzelle war aus Glas, Regen rann in Bächen daran herab. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und stieg aus, kalter Wind blies mir Wasser ins Gesicht. Weit konnte Gabe noch nicht gekommen sein. Es musste irgendeinen Hinweis geben...
Da saß jemand von außen an die Telefonzelle gelehnt. Ich lief auf die Gestalt zu, meine platschenden Schritte waren das einzige Geräusch in der Straße.
„Gabe!" Ich ging neben ihm in die Hocke. Er war vollkommen durchnässt, der Gestank von Alkohol klebte an ihm wie an der Schnapsleiche, die letzte Woche in der Autopsie gelegen hatte. „Hey, ich bin's. Komm hoch, ich bringe dich zum Wagen. Dann fahren wir nach Hause und du ziehst dir trockene Klamotten an, ja?" Ich sah zu der Telefonzelle und schüttelte den Kopf. Regen lief am Rand meiner Kapuze hinab. „Warum bist du überhaupt hier draußen?"
„War heiß da drin." Er kam auf die Füße und stolperte gegen die Scheibe der Telefonzelle. Ich packte seinen Arm, bevor er fallen konnte. „Tut mir leid, Alter. Ich wollt' dich nicht schlagen. Echt."

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Schlimmer Geht Immer - Tristan-Winter-Reihe I
Übernatürliches"Wirst du mich auslachen?" "Ich werde es versuchen." Zombies in der Gerichtsmedizin, Ghule in freier Wildbahn, Dämonen auf der Jagd nach Tattoos. Tristan fühlt sich, als wäre er in einen schlechten Horrorfilm geraten. Plötzlich muss er sich gemeinsa...