26. Kapitel „Julie hörst du mich?"

701 25 2
                                    

Nach einer halben Stunde waren unsere Koffer Rand voll. Ich hatte mir fünf verschiedene Kleider und dazu ein paar Jacken eingepackt. Ich wollte das Risiko nicht eingehen, mir im Urlaub neue Hosen kaufen zu müssen, nur weil mein Kind wieder gewachsen war. Mein Koffer war daher viel größer als Laynes, aber das war ja meistens so. Ich musste mich auf die Koffer setzen, damit er sie schließen konnte.

„Nur noch ein kleines bisschen!“, feuerte ich ihn an. Dann war es geschafft. Die Koffer waren gepackt und meine Haare waren in der Zwischenzeit getrocknet. Sie fielen leicht gelockt auf meine Schultern. Layne strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und steckte sie hinter mein Ohr.

„Ich liebe dich!“ Nach seinen Worten nahm er mein Gesicht und küsste mich zärtlich, erst auf den Mund, dann auf die Stirn. Ich flüsterte leise, sodass man es kaum hören konnte:

„Und ich liebe dich!“

„Ich will dir etwas zeigen, bevor wir ins Restaurant gehen.“ Layne zog mich hoch und ich lief hinter ihm her. Er holte einen Stab, befestigte ihn an der Decke an einem kleinen Haken und öffnete somit eine Luke.

„Haben wir einen Dachboden?“, fragte ich ihn.

„Warte doch mal ab!“ Eine Leiter zog er auf den Boden und lies mich als erstes hochklettern. Es war nicht dunkel, wie ich es vermutet hätte. Ein großes Fenster an der linken Dachseite strahlte wunderschön orange-rotes Sonnenlicht rein und erhellte zwei große Schränke und mehrere Kartons. Diese beachtete ich nicht weiter und schaute aus dem Fenster, welches an den Rändern mit buntem Glas wie in einer Kirche verziert war.

„Gefällt dir der Ausblick?“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Layne ja hinter mir hochgeklettert war und mich beobachtet hatte.

„Ja, es ist wundervoll!“ Ich schaute von oben auf eine mit schneebedeckte, kleine Wiese, die zum Wald führte. Von hier aus kannte man über die vielen hohen Bäumen schauen und den See mit dem Wasserfall sehen. Es war perfekt. Layne schlug seine Arme um mich und küsste meinen Nacken. Alles war perfekt in diesem Moment und ich wünschte mir, dass dieser Moment nie enden würde. Der Schein trügt sehr oft, so wie in diesem Fall. Schon das Treppen laufen hat mich fertig gemacht, wie sollte das alles nur die nächsten Monate mit mir weitergehen? Layne bemerkte sofort das etwas mit mir nicht stimmte.

„Was ist los?“

„Nichts. Lass uns einfach den Moment bitte noch etwas genießen! Es wird nicht mehr lange dauern, dann können wir das nicht mehr.“ Er nickte hinter mir und legte danach seinen Kopf auf meine Schulter. Wir verharrten so einige Minuten, dann half er mir die Treppen runter und wir fuhren zu einem Italiener, indem uns meine Eltern eingeladen haben. Erführte mich ins Restaurant und ließ mich an dem gedeckten Tisch Platz nehmen. Dann bestellte er einen Wein für meine Eltern, die gerade durch die Tür kamen und eine Cola für mich.

„Hallo mein Schatz:“ Meine Mutter küsste mich auf die Wange und setzte sich gegenüber von mir. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir jemals in einem Restaurant gegangen waren. Ich konnte gar nicht alles aufzählen, was sich in diesem halben Jahr alles verändert hatte.

„Gefällt dir das Haus immer noch? Oder ist dir schon was aufgefallen, was dir nicht gefällt? Sonst kannst du gerne wieder zu uns kommen.“ Mein Vater setzte sich mit diesen Worten und einem großen Lächeln zu uns.

„Daddy, ich weiß wie gern du mich wieder bei euch haben würdest, aber mir gefällt es in meinem Haus so gut, dass es mir sogar schwer fällt in den Urlaub zu fliegen!“

Das Flugzeug startete und mein Bauch fing n zu kribbeln. Ich war noch nie geflogen, sodass ich nicht wusste was auf mich zukam. Ich saß neben Layne und Sam, der gerade mit seinem Sohn den immer kleineren Flughafen beobachtete. Claire war noch auf der Toilette und quetschte sich nun an dem Servicewagen vorbei. Vor zehn Minuten hatte ich noch meine weinende Mutter umarmt. Es war komisch, sie alleine zulassen. Meine Familie war noch nie mit mir in den Urlaub gefahren oder geflogen und nun saß ich neben meinem Freund, der in sechs Monaten der Vater meines Kindes sein wird.

„Bist du aufgeregt?“, fragte er mich und nahm meine Hand.

„Ja!“ ich schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Er drückte meine Hand um mir zu versichern, dass er für mich da war. Mein Körper krampft sich für einen Moment und  Layne bemerkte meinen veränderten Zustand.

„Geht es dir nicht gut?“

„Doch…mh…naja!“ Ich hatte so viel Angst in dem Moment, dass ich mich nur noch zwingen konnte normal weiter zu atmen. Ich konnte nicht mehr die Umgebung klar erkennen. Irgendwann hörte ich Sams Stimme, die langsam auf mich einredete:

„Ganz ruhig Julie. Das ist nur die ungewohnte Situation. Alles ist okay!“ mein Atem beruhigte sich wieder, aber die Angst, welche ich noch nie so gespürt hatte, blieb.

„Julie hörst du mich?“ Ich nickte nur und verfiel gleich wieder in meinen Angstzustand und meine Gedanken, in meine Ängste und Wünsche. Ich versuchte mich an schöne Dinge zu erinnern, die mir im Moment so weit entfernt vorkamen, damit ich mich wieder beruhigen konnte. Der erste spürbare Tritt von unserer Tochter, der Abschlussball, die Schwimmstunden am Teich, das erste Mal nach langer Zeit in unserm Garten. Alles war so weit weg und als mir bewusst wurde, dass durch die schönen Dinge viele Schlechte Sachen ausgelöst wurden, fing ich an zu zittern.

„Tu doch was! Sie kippt uns sonst noch um.“, hörte ich die Stimme von Layne, die nur sehr leise zu mir durch dringen konnte. Ich hatte mir nie Gedanken gemacht, ob ich vielleicht Flugangst haben könnte. Die letzten zwei Tage waren einfach zu aufregend um darüber nachzudenken, dass ich es vielleicht nicht leiden konnte, keinen festen Boden mehr unter meinen Füßen zu haben, sondern zu fliegen.

„Nimm das!“, sagte Sam und legte mir etwas in die Hand, was sich wie eine Tablette anfühlte. Ich legte es auf meine Zunge und schluckte einmal.

______________________

Hoffen es hat euch gefallen. Freuen uns über Kommentare oder Votes :)

Verändert auf einen SchlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt