Bevor ein Sturm losbricht, senkt sich eine dumpfe Stille über die Welt, als hätte jemand eine Käseglocke über die Erde gestülpt. Als hätte man sich Watte in die Ohren gestopft. Die Vögel verstummen, der Wind hört auf, zu wehen, alles hält den Atem an.
Es ist keine friedliche Ruhe. Es ist ein Zögern, Abwarten, ein Lauern. Man weiß, jeden Moment kann der Sturm losbrechen, man weiß, er wird furchtbar sein und dennoch hofft man, dass es doch nicht so kommt. Dass er sich wie durch ein Wunder wieder verzieht. Aber ist diese Stille erst einmal da, dann ist es zu spät. Dann lässt es sich nicht mehr abwenden, denn mit der Stille kommt der Sturm. Sie sind untrennbar miteinander verbunden.Nachdem das Santuary in den letzten beiden Tagen nicht still zu stehen schien, senkt sich eben diese Stille heute, am dritten Tag, darüber. Morgen früh werden sie aufbrechen, morgen früh werden sie zum finalen Gegenschlag ausholen. Der Krieg wird morgen früh beginnen und wer weiß wann enden. Heute lebt der ein oder andere noch, der morgen mit weggeschossenem Kopf auf der staubigen Erde liegen wird.
Negan hat seine anfängliche Kamikaze-Strategie nochmal überdacht. Zum Glück. Er hat kleine Trupps ausgesendet, die zunächst die Oceansides überwachen, Stützpunkte errichten und zugleich mögliche Transport- und Fluchtwege abschneiden. Oceanside ist jetzt eine belagerte Festung und im Idealfall, wissen deren Bewohner nicht einmal davon. In den letzten Tagen gab es für den Rest einiges zu tun: Die Trucks wurden gecheckt und betankt, Waffen wurden geputzt, Granaten und Mollotov Cocktails hergestellt, Medikamente und Verbandszeug gehortet... und und und. Von den einzelnen Außenposten kam zusätzliche Verstärkung, wodurch es in dem riesigen Fabrikgebäude fast eng geworden ist. Negans Armee umfasst fast achtzig Mann. Das ist eine beachtliche Anzahl, auch wenn er gerne mehr gehabt hätte. Aber auch die Saviors müssen immer wieder Verluste einstecken. Und der Bombenangriff hat sie schwer getroffen: Letztendlich sind dadurch neun Leute gestorben und weitere sechs sind so schwer verletzt oder verkrüppelt, dass sie nie wieder kämpfen können. Das ist auch für eine so große Gruppe wie die Saviors, die ständig neue Leute rekrutieren, eine bittere Niederlage.
Negan selbst ist noch lange nicht wieder richtig fit, aber es ist sinnlos, ihn davon abbringen zu wollen, in den Krieg zu ziehen. Er wird an der Spitze stehen, alles andere würde sein Ego kränken. Und es ist das, was seine Leute von ihm erwarten.Eden ist gerade gemeinsam mit John dabei, Waffen und Munition zu verteilen. John war lange Zeit seines Lebens Soldat und kennt sich dementsprechend gut aus. Eden hat im Moment eher den Job einer Buchhalterin inne. Es ist glühend heiß heute, Schweiß steht ihr auf der Stirn und ihr Top klebt an ihrem Körper.
Sie blickt auf ihre Liste und runzelt die Stirn.
"Wenn alle bewaffnet sind, sind wir total blank.", stellt sie fest, "Und was Munition angeht...wir müssen manche mit einem halbvollen Magazin in den Krieg schicken. Das gefällt mir nicht."
"Tja, Püppchen, falls du nicht Schwarzpulver und Patronenhülsen scheißt, kannst du daran jetzt nicht viel ändern.", brummt John neben ihr.
Jared, der ein paar Schritte von ihnen entfernt steht, lacht gackernd.
Diese widerliche Bazille. Sie hatte noch nicht besonders viel mit Jared zu tun, aber sie hasst ihn jetzt schon. Er erinnert an einen dieser High School Bullies, der nach oben kuscht und nach allen, die unter ihm stehen, tritt. Insgeheim gibt sie ihm auch die Schuld daran, dass sie jetzt in den Krieg ziehen müssen, denn er war es, der einen der Oceansides völlig grundlos erschossen hat, als das letzte mal Abgaben eingetrieben wurden. Sie wäre nicht böse, wenn er es wäre, der morgen mit weggeschossenem Kopf im Dreck liegt.
"John, pass auf! Du weißt doch, dass Püppchen hier wenig Spaß versteht und gerne mal Leuten die Augen auskratzt.", sagt Jared noch immer lachend.
Eden stört es nicht, wenn John sie Püppchen nennt. Irgendwie hat sie das Gefühl, dass er das braucht, um sich nicht allzu sehr in seiner männlichen Ehre gekränkt zu fühlen. Dass es ihm den Umstand erleichtert, unter ihrem Kommando zu stehen. Aber bei Jared ist das was anderes.
Sie entsichert die Pistole, die sie gerade in der Hand hält und zielt damit auf Jareds Hoden.
"Richtig, ich versteh wirklich keinen Spaß.", zischt sie, "Also nenn mich noch einmal 'Püppchen' und ich baller dir die Eier weg!"
Jareds Lachen erstirbt, er mustert sie aus zusammengekniffenen Augen. Dann hebt er langsam die Hände.
"Whoa! Ist ja gut!", sagt er besänftigend, "Hab's nicht so gemeint."
Sie macht mit der Waffe eine ruckartige Bewegung in Richtung Sanctuary.
"Dann verpiss dich endlich und tu was Nützliches!"
Jared trollt sich, nicht ohne ihr einen weiteren skeptischen Blick zu zuwerfen.
"Diese schäbige Kakerlake!", knurrt sie. John lacht neben ihr, es ist tief und volltönig.
"Schade. Ich hätte gerne gesehen, wie du ihm die Klöten frittierst."
"Bei der nächsten Gelegenheit tu ich's, versprochen!"
Sie können ihr Gespräch nicht fortsetzen, denn ein lauter Knall ertönt. Holz auf Eisen. Das erste Mal seit langer Zeit steht sie unten zwischen den Saviors und den Nummern, als Negan auf den Balkon des Sanctuarys tritt. Anstandshalber sinkt sie mit auf die Knie. Bei der Hitze ist es sogar ganz angenehm, sich mal kurz hinzuknien.
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The Girl With The Bat (TWD/Negan FF)
Fanfiction"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." Bertolt Brecht, Die Dreigroschenoper Ihre sind grün und seine sind dunkelbraun, fast schwarz. Sie ist eine Einzelgängerin, eine Diebin. Er ist ein Anführer, ein Diktator. Sie beide sind Überlebende. Ü...