Kapitel 45: Verbrannte Erde

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-Negan-

Der Jeep kommt vor der ehemaligen Satellitenstation zum Stehen und Negan springt, noch bevor das Fahrzeug richtig steht, bereits aus dem Wagen. Das Zittern will einfach nicht aufhören. Scheiße, was ist nur los mit ihm?
Ein paar Männer stehen vor dem Eingang, rauchen, trinken Bier und unterhalten sich lautstark. Als sie Negan erkennen, verstummen sie abrupt und sinken dann respektvoll auf die Knie. Man, immer, wenn sie das machen, fühlt er eine Mischung aus Erregung und Unbehagen. So richtig wird er sich wohl niemals daran gewöhnen.
"Ich will zum Doc.", raunzt er die knienden Männer an.
"Er ist im Labor, Sir."
Er marschiert an den Männern vorbei, versucht dabei so selbstbewusst und unbeirrt wie immer zu wirken. Es gelingt ihm nur zum Teil. Er kann das Zittern kaum kontrollieren, seine Hände sind schweißnass und im Moment hat er einfach nur das Bedürfnis, sich irgendwo zu verkriechen und das Hirn wegzusaufen. Es ist nicht das erste Mal, seit das alles hier angefangen hat, seit er begonnen hat, die Verantwortung für all diese Menschen zu übernehmen und sie anzuführen, dass er daran zweifelt, dass er am liebsten alles hinschmeißen, weglaufen will. Aber dieses Mal ist es anders. Dieses Mal zweifelt er an sich selbst. Und das hat er noch nie getan.
'Das Labor' ist eigentlich gar kein Labor, sondern eine ehemalige Steuerzentrale. Dort stehen tausende Computer, Messgeräte und noch nen Haufen anderer Scheiß, dessen Funktion ihm ein absolutes Rätsel ist.
Er rauscht durch die Tür und sieht dann auch schon Sebastian, der wie immer gut gekleidet ist und gerade etwas auf ein Klemmbrett kritzelt. Er sieht erstaunt auf und das schiefe Grinsen zieht über sein Gesicht.
"Sieh an, der große Anführer. Was verschafft mir die Ehre?", sagt er ein wenig spöttisch.
"Ich brauch nen Psychologen.", entgegnet Negan ohne Umschweife, "Aber erstmal: Schon Ergebnisse?"
Sie haben die Satellitenstation vor wenigen Wochen entdeckt und Negan hielt es für sinnvoll, Sebastian dort hin zu schicken. Er hat den Auftrag, das zu tun, was er am besten kann: Forschen. Wenn einer in der Lage ist, etwas über das Virus herauszufinden, vielleicht sogar ein Gegenmittel zu entwickeln, dann er. Dieser Zwerg ist verdammt klug. Negan ist sich ziemlich sicher, dass nicht mehr so viele leben würden, dass es die Saviors und womöglich auch ihn als Anführer niemals gäbe, hätte er Sebastian nicht als Berater gehabt. Dieser Mann weiß immer, was zu tun ist.
"Negan, ich bin kein Chemiker und auch kein Biologe. Ich hab dir von Anfang an gesagt..."
Negan unterbricht ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung.
"Scheiß drauf! Ich bin auch kein Anführer, sondern ein verfickter Highschool Sportcoach! Aber du hast gesagt, dass ich's tun soll, also mach ich's. Jetzt sag ich dir: Sei ein verdammter Chemiker, sei ein beschissener Biologe, finde raus, wie man dieses Drecksvirus bekämpfen kann, also tust du das auch!"
Sebastian seufzt und klopft nachdenklich auf sein Klemmbrett.
"Was ist los mit dir?", fragt er.
Negan sieht auf den Baseballschläger in seiner zitternden Hand. Das Ding ist immer noch voller Blut, er hat versucht, es abzuschrubben, aber es ging einfach nicht weg... Ein Schauer läuft über seinen Rücken.
"Ich hab jemanden umgebracht.", sagt er leise, "Einen Menschen. Keinen Untoten. I-ich..."
"Setz dich.", sagt Sebastian sanft und dirigiert ihn zu dem Sessel in der hinteren Ecke des Labors.
"Willst du einen Whiskey?"
Negan nickt benommen. Er hockt auf dem Sessel wie ein Häufchen Elend, zittert am ganzen Körper. Scheiße. Er hat einen Mord begangen! Er hat jemandem den Schädel eingeschlagen. In seinem Kopf hört er noch die Schreie, das Splittern von Knochen, dieses ekelerregende, schmatzende Geräusch... Was ihn aber wirklich fertig macht, ist weniger die Tatsache, dass er jemanden kaltblütig ermordet hat, sondern viel mehr, was er dabei empfunden hat: Einen Moment lang hat er es genossen. Er hat sich mächtig gefühlt. Als Herr über Leben und Tod. Jetzt, im Nachhinein, macht ihm dies am meisten Angst. Mit dieser Leere, mit dieser 'Ich fühle nichts'-Scheiße kann er umgehen, aber das... ist nicht normal.
Sebastian reicht ihm ein großzügig gefülltes Glas, welches Negan in einem Zug kippt. Wortlos füllt der Professor nach und setzt sich dann auf den gegenüberliegenden Sessel, mustert Negan durch seine Brille.
"Warum hast du diesen Menschen getötet?", fragt er schließlich. Er spricht ruhig und gelassen, als hätte er gefragt, was der Wetterbericht für morgen gemeldet hat.
"Er...er hat eine Frau vergewaltigt. Das ist gegen die Regeln...i-ich..."
"Also hat er es verdient."
"Ja. Ja, verdammt. Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns benehmen wie die Tiere? Aber...", er fährt sich über die Augen.
"Ich finde, du hast richtig gehandelt."
Negan sieht erstaunt auf. Hat er gerade seinen Mord als richtig bezeichnet? Wie kann man das...
"Die Welt hat sich verändert, Negan.", fährt Sebastian fort, "Die alten Regeln und Gesetze gibt es nicht mehr. Dies lässt bei vielen sämtliche Hemmungen fallen, sie geben sich ihren Trieben hin.
Als Anführer einer größeren Gruppe musst du neue Regeln aufstellen, einen Moralkodex haben- ohne geht es nicht, nur so kannst du auch die Schwachen schützen. Und musst dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Du musst ja nicht jeden Verstoß mit dem Tod bestrafen...aber du darfst auch nicht nachlässig sein. Dir darf nichts entgehen. Und du musst dafür sorgen, dass sich die, die gegen deine Regeln verstoßen, an ihre Strafe erinnern. Eine Tracht Prügel reicht manchmal nicht aus."
"Du meinst...sowas wie brandmarken?"
"Zum Beispiel. Wer dazu gehören will, wer den Schutz der Gemeinschaft genießen will, muss nach den Regeln spielen. Und die, die das nicht tun, gehören auch nicht mehr dazu."
Negan seufzt und streicht sich erneut über's Gesicht. Das Zittern lässt langsam nach. Sebastian hat wie immer recht. Aber scheiße, das ist so dermaßen abgefuckt!
"Es hat mir Spaß gemacht.", gesteht er leise, "Sebastian. Bin ich ein Psychopath?"
Es ist die Frage, die ihn seit dieser Vorlesung beschäftigt. Sebastian schweigt und mustert ihn.
"Glaubst du, dass jemand mit einer solchen Persönlichkeitsstörung diese Frage stellen würde?"
Wahrscheinlich nicht. Und Leute, die Fragen mit Gegenfragen beantworten, sollte man an den Eiern aufhängen.
"Und was stimmt dann nicht mit mir?", knurrt Negan gereizt.
Sebastian lehnt sich zurück und legt die Fingerspitzen aneinander.
"Ich vermute, dass deine Persönlichkeitspathologie ..."
"Du bist hier nicht in der verdammten Uni! Rede so, dass ich's auch raffe!"
Sebastian seufzt ergebens.
"Alfred Adler sagte einst: Alle menschlichen Verfehlungen sind das Ergebnis eines Mangels an Liebe. Ich denke, dass das auch bei dir der Fall ist. Ich denke, dass du ein- oder mehrere- Traumata durchlebt hast und diese deine Persönlichkeit verändert, geprägt und gestört hat. Und ja, auf dieser Grundlage würde ich tatsächlich von einer Persönlichkeitsstörung sprechen."
"Ein Kindheitstrauma? Ist das dein verfluchter Ernst?"
"Negan. Wie viele wirklich tiefgehende Beziehungen gab es bisher in deinem Leben? Beziehungen, die auf Vertrauen und Liebe aufbauten? In denen du dich wertgeschätzt gefühlt hast? Dich nicht verstellen musstest? Wo es dir leicht gefallen ist, zu bleiben? Wie viele Menschen haben dir wirklich etwas bedeutet?"
"Eine.", gibt er kleinlaut zu.
Sebastians Gesichtsausdruck ist undefinierbar. Negan springt gereizt auf und beginnt, auf und ab zu gehen. 
"Und dann hältst du es für klug, dass ich hier die Verantwortung trage? Dass ich Anführer bin? Ich...weißt du, was ich manchmal tue? Ich reibe manchmal meinen Schwanz an diesem verfickten Baseballschläger! Das macht mich zu einem verdammten, objektophilen Psycho!"
Sebastian bleibt trotz seines Geständnisses, trotz seiner gereizten Stimmung, absolut ungerührt. Er sitzt entspannt da, mustert ihn und hat noch immer die Fingerspitzen aneinander gelegt.
"Wir wissen beide, dass dieser Baseballschläger mehr für dich ist, als ein Objekt. Dass du die Gefühle, die du für 'diese Eine' hattest, auf ihn projizierst. Weil du sie verloren hast. Weil sie das einzige war, dass dir je etwas bedeutet hat. Um das zu ertragen, tust du das. Um nicht noch mehr zu zerbrechen."
Negan bleibt abrupt stehen und starrt ihn an. Er weiß nicht, was er gerade fühlt. Nicht mal, was ihm gerade durch den Kopf geht. Was soll er schon sagen? Rumpelstilzchen hat mal wieder den Finger auf der Wunde.
"Und ja- ich halte es für klug, wenn du Anführer bist. Deine Rationalität, dein mangelndes Schuldgefühl, deine Fähigkeit die Schwächen anderer Menschen zu erkennen und sie beeinflussen zu können, all das kann dir jetzt vom Vorteil sein. Damals wäre das was anderes gewesen...aber jetzt, jetzt ist es ein Vorteil."
Negan lacht bitter.
"Als du damals gesagt hast, ich hätte Potential, hast du also gemeint, dass ich das Zeug zum Serienkiller hab.", stellt er frustriert fest.
"Oh nein. Negan, du warst schon immer zu Großem berufen."
"Ich frag mich langsam, ob ich der Irre bin, oder du."
Sebastian grinst schief und streicht sich über sein Ziegenbärtchen. Er zuckt die Achseln.
"Wer weiß. Vielleicht sind wir ja beide irre, vielleicht überleben nur noch die, die durchgeknallt genug dafür sind. Aber: Wenn es verrückt ist, aber funktioniert, dann ist es vielleicht gar nicht so verrückt."

The Girl With The Bat (TWD/Negan FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt