Kapitel 1: Das Feuer im Kamin

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Als sie die Augen öffnet, tanzt eine Schneeflocke vor ihr und schwebt langsam herab, um, sobald sie gelandet ist, zu schmelzen.
"Scheiße.", zischt Eden und richtet sich auf. Von dem dicken Schlafsack, in dem sie übernachtet hat, rutscht eine dünne Schneeschicht zu Boden. Schnee kann sie jetzt gar nicht gebrauchen. Wirklich gar nicht. Denn das heißt, sie muss jetzt schleunigst ein Winterquartier finden. Sie hatte es schon befürchtet als es in den letzten Tagen immer kühler wurde. Aber sie hatte gehofft, dass das vorüber ginge. Schließlich müsste es gerade erst Oktober sein, höchstens Anfang November.
Sie klopft den Schnee vom Schlafsack. Wenigstens ist sie nicht erfroren. Der Schlafsack taugt also etwas. Da hat sich die ganze Sache letztendlich also doch gelohnt.
Sie schält sich aus dem Schlafsack und verliert dabei für einen Moment das Gleichgewicht. Um ein Haar wäre sie abgestürzt, fängt sich aber noch im letzten Moment.
"Auf Bäumen übernachten ist weder bequem noch praktisch.", grummelt sie, während sie den Schlafsack zusammenrollt und an ihren Rucksack schnallt. Binnen Minuten hat sie ihr Hab und Gut verstaut, sodass nur die schneefreie Stelle und die quer über die Astgabel gelegten Äste verraten, dass hier jemand war. Sie nickt zufrieden, stößt sich von dem Ast ab, auf dem sie steht, und landet geräuschlos im Schnee.

Der Wald wirkt mit seiner Schneedekoration so friedlich, so still, dass man denken könnte, die Welt wäre über Nacht wieder in Ordnung gekommen.
Das ist sie natürlich nicht.
Das Virus ist ausgebrochen. Viele Menschen sind gestorben. Und sind zurückgekommen. Als Kreaturen, die nur noch eines kennen: Hunger. Zombies, Untote, Beißer. Jeder hat einen anderen Namen für diese lebenden Toten. Sie streifen durch die Welt und stürzen sich auf alles, was lebt, was atmet, was rennt, was schreit. Am Anfang hatte Eden wirklich Angst vor diesen Kreaturen, deren Körper stetig stärker zerfallen und verwesen, was sie jedoch nicht davon abhält, durch die Gegend zu schlurfen und, sollte man das Pech haben von ihnen erwischt zu werden, Menschen bei lebendigen Leibe aufzureißen. Aber mittlerweile sind sie zu einem alltäglichen Anblick geworden. Sie sind ein Teil dieser Welt. Das, was einmal war, ist nicht mehr.

Früher, da hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, welches Kleid sie im College tragen sollte. Sie war am Boden zerstört gewesen, als der Typ, auf den sie total abgefahren war, sie nicht angerufen hatte - obwohl er ihr am Abend zuvor schöne Sachen ins Ohr gesäuselt hatte, um sie ins Bett zu kriegen. Sie hatte sich mit ihrem älteren Bruder Todd stundenlang über den Irak-Krieg, Pazifismus und Politik gestritten. Damals hatte sie sich geärgert, wenn es in einem Café kein WiFi gab.
Wie nichtig ihr all dies jetzt vorkommt. Jetzt macht sie sich Gedanken darüber, wie man diesen verfaulenden, beißenden Kreaturen am besten aus dem Weg geht oder wie man ihnen schnellstmöglich etwas Spitzes ins Hirn rammt. Sie denkt ständig darüber nach, wo sie als nächstes etwas zu Essen findet und wo sie die Nacht über bleibt. Politik spielt keine Rolle mehr, denn die gibt es nicht mehr. Sie weiß nicht einmal, ob es Todd noch gibt. Ob er es geschafft hat. Gerade heute schwirren ihr diese Gedanken und Fragen durch den Kopf. Eigentlich versucht sie, möglichst selten über das was war und das was ist nachzudenken, es infrage zu stellen. Doch heute bekommt sie die Gedanken einfach nicht aus dem Kopf. Das ist schlecht, wirklich schlecht. Ihr Überleben hängt davon ab, wie wachsam, konzentriert sie ist. Man ist nie hundertprozentig in Sicherheit. Auch wenn die Beißer langsam und laut und furchtbar dumm sind- es kann immer passieren, dass man in ein Rudel von ihnen gerät und dann hat man ein Problem. Eden hat in den letzten Monaten schon vielen Menschen beim Sterben zugesehen. Sie will nicht die nächste sein.

Die kleine Siedlung liegt direkt am Waldrand. Die unebene Straße, die zu den fünf Einfamilienhäusern führt, liegt unter der dünnen Schneeschicht versteckt. Eden ist schon öfters hier gewesen. In den Häusern sucht sie ab und an Zuflucht, auch wenn sie dies nicht unbedingt gerne tut. Nicht wegen der Beißer, die sind überall und nirgendwo. Die laufen lauten Geräuschen oder Lichtquellen hinterher. Oder dem Geruch von Leben. Manchmal begegnet man einem Einzelnen, manchmal einer ganzen Horde. Je dichter das Gebiet besiedelt war, umso mehr Beißer streifen dort umher.
Dieses Gebiet war nie dicht besiedelt. Die nächste größere Stadt ist Meilen entfernt. Hier gibt es nur Wälder, Felder, ein paar Farmen, kleinere Dörfer und Städte. Aber diese Siedlung ist viel zu leicht zu finden. Die unebene Straße führt von einem ehemals viel befahrenen Highway weg. Es wäre also ein leichtes, ihr zu folgen und dann würde man schon von weitem die kleine Siedlung sehen. Es ist kalt, es schneit und Eden ist mit Sicherheit nicht die Einzige, die einen Unterschlupf sucht.

The Girl With The Bat (TWD/Negan FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt