19. Kapitel

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19. Kapitel

„Aufstehen, Geisterbändigerin!", brüllte eine weibliche, starke Stimme und klopfte polternd an die Zimmertür. „Es geht ans Training."

Ich schreckte so sehr auf aus dem Schlaf, dass ich von dem Stuhl fiel. Dabei riss ich das dicke Buch von gestern mit, welches mit einem dumpfen Laut auf dem Boden aufkam. Die Sonne ging gerade auf und schien hell durch das Fenster über dem Bett herein. Ihre Rot- und Orangetöne tauchten das Zimmer in ein warmes Licht.

„Ähm...Kayla?", rief die Stimme erneut und ich rappelte mich langsam auf. „Alles in Ordnung?"

„Ja", antwortete ich. „Ich komme sofort."

Danach gab die Stimme vor der Tür keinen Laut mehr von sich. Schnell zog ich die Kleidung an, die die Dame von gestern mir gegeben hatte, und legte den Waffengürtel an. Das Kurzschwert und meine Tasche ließ ich in dem Zimmer liegen, denn ich würde sicherlich am Ende des Tages hierher zurückkehren. Die schmutzige Wäsche legte ich neben den Beutel, denn auch die Ersatzkleidung müsste ich heute noch waschen.

Anschließend öffnete ich die Tür und erblickte eine junge Frau Mitte zwanzig, die gelassen an der Flurwand lehnte. Sie war sehr hellhäutig wie fast jeder in dem Dorf, hatte dunkles, schulterlanges Haar, stechend blaue Augen und war etwa einen halben Kopf größer als ich. Außerdem trug die Frau eine sehr dunkle, lange Hose, feste Stiefel, ein weites, hellgraues Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren und Handschuhe, bei denen die Finger frei blieben. Ein rotes Band als Gürtel ließ darauf schließen, dass sie nicht nur in der Streitmacht der Bändiger war, sondern auch, dass sie das Feuer beherrschte. Mit einem strengen, aber freundlichen Blick schaute sie mich an.

„Ah, gut, du bist fertig." Keine Regung zeigte sich in ihrem Gesicht. „Ich bin übrigens Akina, deine Trainerin", meinte sie nur, ehe sie sich von der Wand abstieß und den Gang hinunter stiefelte. „Komm mit."

Ohne zu fragen folgte ich ihr aus dem Haus, verabschiedete mich im Gehen von der freundlichen Hausfrau und rannte anschließend mit der jungen Frau bis zum Übungsplatz der Bändigerschüler. Dort angekommen lotste sie mich nach links um die Burg herum direkt an die hohe, steinerne Mauer, an der viele verschieden große, getöpferte, ungefüllte Behälter standen. Alle sahen danach aus, als ob sie nur von einem kräftigen Riesen wie Miro es war, getragen werden konnten.

„Also, hier wären wir", fing die Frau an und drehte sich zu mir um. Anscheinend wusste sie, dass ich einige Antworten haben wollte. „Ich bin eine Feuertrainerin, die dir zugeteilt worden ist von Adrion. Eigentlich unterrichte ich junge Leute aus meiner Bändigungskategorie, aber ab heute hat sich das wohl geändert."

„Es gibt momentan also keine Geisterbändiger hier?", fragte ich erstaunt. Ich hatte gestern gelesen, dass es sie nicht oft gibt, aber bei der doch schon relativ großen Bevölkerung hier hätte ich schon vermutet, dass es wenigstens einen oder zwei gäbe.

„Nein. Schon seit etwa dreißig Jahren sind keine Geisterbändiger mehr geboren worden hier." Akinas Stimme war etwas bedrückt und nachdenklich, aber ihr Gesicht zeigte davon nichts.

„Was werden wir dann heute hier tun?", wollte ich weiter wissen, denn ich konnte mir schlecht vorstellen, wie eine Feuerbändigerin einer "Geisterbändigerin" etwas über das Beherrschen der dritten Sorte an Wesen beibringen wollte.

„Heute werde ich dich zuerst prüfen, was du bereits alles kannst, und anschließend die Grundlagen des Bändigens beibringen", klärte mich die dunkelhaarige Frau auf und stellte sich etwa vier Fuß entfernt von den Behältern und der Mauer hin. „Versuch einfach mal, diesen Krug hier zu bewegen. Wenn du's hinbekommst, kannst du ihn auch gleich schweben lassen."

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