28. Kapitel

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28. Kapitel

„Du weißt, wo du bist." Myron stand einige Schritte vor mir am Ufer. Das Wasser platsche in kleinen Wellen an seine Knöchel. Auf seinem Gesicht lag ein trauriger und etwas verzweifelter Ausdruck. Die Arme hingen schlaff und völlig kraftlos an seinem Körper herab. Graue Wolken verdeckten den Himmel und ein wilder Wind fegte über das Meer in Richtung Land.

„Wo sollte ich sein? Ich bin am Strand, bei dir, und ich wette, gleich gibst du mir wieder wahnsinnig schwierige Trainingseinheiten, wovon ich noch Tage später etwas spüre."

Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Es war, als hätte man ihn aus Stein gemeißelt. Kein genervtes Augenrollen, kein Seufzer, kein "Die-Trainingseinheiten-sind-nicht-schwer"-Blick.

„Du bist zu weit gegangen."

Hatte ich etwas ausgefressen? Oder Aris? Davon hatte ich gar nichts mitbekommen und auch mein körperloser Geist hat mir nichts gestanden. Langsam machte ich mir Sorgen um meinen Meister.

„Was ist passiert? Was ist los?", fragte ich vorsichtig und wollte einen Schritt auf ihn zu machen, als ich merkte, dass ich gar nicht das Wasser berührte. Der Boden schwankte, als das Boot sich in den Wellen wiegte.

„Weiter folge ich dir nicht." Trotzig hob er das Kinn und machte somit alle noch unausgesprochene Gegenargumente zunichte.

„Was meinst du damit?", wollte ich wissen und versuchte, aus dem Boot auszusteigen. Der Grund musste nicht weit unter dem hölzernen Schiffchen sein...

Tiefes blau starrte mich an wie eine gähnende Leere. Ich befand mich mitten auf dem Meer.

Als ich aufschaute, entfernte sich der Strand plötzlich immer schneller von mir. Das Wasser zog das Boot weit nach draußen als hätte es sich gegen mich verschworen.

„Was passiert hier, Myron?" Panisch blickte ich um mich und meinte, wieder schwarze Existenzen über dem Wasser schweben zu sehen.

„Ich meide das Ungewisse, musst du wissen." Die Stimme meines Meisters erklang von allen Seiten, obwohl er selbst noch immer als winziger Punkt auf der langen Strandlinie am Horizont stand. „Deshalb gehe ich nicht weiter mit dir mit."

„Du warst nie an meiner Seite! Nicht in der echten Welt!", protestierte ich lautstark und suchte das kleine Bötchen nach Paddeln ab, mit denen ich zurück ans Festland gelangen konnte.

„Myron? Myron! Lass mich hier draußen nicht vermodern!", schrie ich dem Meer entgegen. Nun war gar nichts mehr zu sehen, zu allen Seiten lag das Meer spiegelglatt da. Der Himmel wurde zunehmend dunkler und Furcht einflößender und weit hinten am Himmelszelt erkannte ich, wie ein riesiger Sturm aufzog.

* * *

„Was macht ihr hier?" Ein tiefes Brüllen erklang von der Burgmauer und ein Soldat spähte hinunter zu uns. Seine Rüstung schien abgenutzt zu sein, wenn nicht sogar etwas rostig. Kein Wunder, in dieser ewigen Schneelandschaft wurde Metall sehr schnell von der braun-roten Masse überzogen.

„Wir wollen ins Innere Eurer Stadt!", rief Ethan nach oben. Sein Gesicht blieb dabei hart wie eine Maske, anscheinend betäubte die Kälte seine Trauer noch nicht genug.

„Hier kommt niemand rein", brüllte der Mann von oben zurück. „Wir haben genug Mäuler zu stopfen. Bereits jetzt müssen wir unsere Vorräte auffüllen und schicken immer wieder Karawanen über die Eisbrücke, um Nahrung zu kaufen."

Ian hatte mir erzählt, dass hier nichts wachsen konnte – was mich nicht wunderte. Der einzige Grund, warum hier Menschen lebten, waren die Reichtümer unter der Erde. Wertvolle Edelsteine und Erze lagerten tief unter der Schneedecke, wo das Gestein mindestens doppelt so hart war wie in den Königreichen, was an der Kälte lag.

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