31. Kapitel

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31. Kapitel

„Mir ist da nicht gut zumute, dass du gehst, Adin." Die Schamanin schaute dem Mann tief in die Augen. Der Träger war dennoch zu dickköpfig. Er würde nicht bleiben.

„Diese Menschen brauchen mich. Wenn tatsächlich dieses Tor erscheint und die Welt verdorben wird vom Bösen, betrifft es uns alle. Ich muss mit ihnen mitgehen, sonst..." Adin beendete den letzten Satz mit einigen wirren Handbewegungen und einem Gesichtsausdruck, der aussah wie eingefroren. Er schien allgemein recht ernst, es sei denn, er hatte getrunken. Dann war er humorvoller.

„Du willst einfach so vom einen auf den anderen Tag mit den Reisenden mitgehen?"

Adin nickte. „Es mag unüberlegt sein, aber ich werde schließlich nicht für immer fort sein. Ich komme wieder."

Die Schamanin schüttelte den Kopf. Sie schien Adins Entscheidung nicht gut zu finden, wusste aber auch, dass sie wenig tun konnte um ihn hier zu behalten. Sein Schutzgott hatte gesprochen, und etwas dagegen zu sagen wäre Verrat (auch wenn ich nicht an diesen Lotos glaubte). Sogar die Schamanin konnte dagegen nichts tun.

Die alte Frau sah dem Mann vor sich lange in die Augen.

„Und du bist dir sicher, dass du das tun willst? Vielleicht war sein Zeichen anders zu deuten. Vielleicht wollte er nicht, dass du durch dieses leuchtende Tor gehst. Schließlich lag der schwarze Nachthimmel hinter dem Kreis."

„Ich bin mir sicher, ich gehe mit. Sonst wäre er mir nicht im Traum erschienen und hätte gesagt, dass die Tiponi recht hat." Adin war nicht umzustimmen. Hatte er sich etwas in den Kopf gesetzt, wurde das auch durchgezogen. Auch Theo, der neben ihm stand, blickte die Weise eisern an.

Die Schamanin sah zu Boden. Sie wusste mehr als wir, erzählte aber niemanden davon.

Anschließend sah sie zu Adin und Theo hoch und deutete ihnen, sich zu ihr hinunter zu beugen. Sie taten, was sie verlangte, und die alte Dame legte den beiden die Hand auf die Stirn.

„Möge Lotos und die anderen Götter euch beschützen auf eurem Weg." Ihre Augen waren geschlossen, als sie diesen Satz sagte. Dann streckte sie ihre Hände in die Richtung von Ethan, Ian und mich. „Mögen sie euch alle leiten."

Dann richteten sich die beiden jungen Nordjäger auf, verbeugten sich zum Abschied und packten dann die Seesäcke, die nur mit dem nötigsten gefüllt waren. Theo öffnete die Tür und eiskalter Wind peitschte in das große Zimmer. Er redete erneut auf Adin ein, dass ihm nicht wohl zumute war, auf dem Rücken eines Drachens zu fliegen. Als ich hinter'den Zwillingen hinaus treten wollte, hielt mich die alte Schamanin am Arm fest.

„Hast du kurz eine Minute Gehör für mich, junge Dame?"

Ich nickte, schloss die schwere Holztür und setzte mich zu der Frau, die sich ächzend auf einen Schemel niederließ.

„Ich habe da etwas in deiner Tasche leuchten sehen. Schon beim Ritual ist es mir aufgefallen – darf ich es mal sehen?", wollte sie wissen und betrachtete mich mit einem wissenden Blick. Als würde Aris mich steuern holte ich das Gläschen mit dem Eismeerwasser hervor. Noch immer glimmte es vor sich hin in einem eisblauen Farbton. Die Schamanin lehnte sich vor und strich sanft über das Glas. Dann nahm sie das Fläschchen vorsichtig in die Hand, löste den Korken und roch an dem salzigen Wasser.

„Zweifelsohne", flüsterte sie vor sich hin, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder mir zuwandte. „Woher hast du dieses Wasser?"

Warum wollte sie so etwas wissen? „Von der südlichen Eismeerküste."

„Wenn du es besitzt, muss es doch etwas besonderes sein, oder?"

Ich stutzte. Was wollte sie mit diesem Gespräch bewirken? „Eine wissende Frau erzählte mir, es stärke die Bändigung."

„Die Bändigung der Gefühle?"

„Nein." Ich kratzte mich an der Schläfe. „Es ist zu kompliziert, um es zu erklären, und du würdest mir die Geschichte sicherlich nicht glauben."

„Zusammengefasst: Es ist Magisch, das Wasser, nicht wahr?"

Eine Antwort erwartete sie gar nicht. Ihre Augen sahen mich pfiffig an, als hätte sie eine rhetorische Frage gestellt. Trotzdem nickte ich.

„Wie viel möchtest du dafür haben?" Sie drehte das Gläschen interessiert in den Händen, ehe sie mich mit einem dieser besonderen Blicke betrachtete.

* * *

Wir hatten ein langes Seil um die Brust des Drachens gebunden und uns mit starken Eisenketten daran gesichert. Jetzt lagen wir mehr oder weniger bequem auf seinem Rücken und hielten uns an den Stacheln auf seinem Rückgrat fest, damit wir nicht nach unten rutschten. Das Geschöpf schlug kräftig mit den Lederflügeln, die mich an eine Fledermaus erinnerten, und manövrierte uns angestrengt durch den Sturm. Kurz, nachdem die Reise zurück nach Süden gestartet war, hatte es angefangen zu schneien. Zuerst nur einige kleine Flocken, dann wurden sie immer größer und mehr. Mindestens zwei Stunden flogen wir schon und mussten uns nun über dem Eismeer befinden. Nun pfiff uns der Wind um die Ohren, eiskalt und unerbittlich, und Schneeflocken rasten auf uns zu, wie Nadeln bohrten sie sich in unsere Gesichter. Wenn ich über die Schulter des Drachens sah, konnte ich die schwarze, wirbelnde Wasseroberfläche des Eismeers erkennen zwischen und weit in der Ferne eine weiße Schicht – die Brücke aus Eis.

„Kayla", brüllte mir Theo gegen den Wind zu, „Du solltest schlafen. Versuch es wenigstens."

Er musste meine müden Augen bemerkt haben, die zusammengekniffen dem Schneespektakel gefolgt waren. Widerstandslos nickte ich und ließ meine Kopf gegen die dicken Schuppen des Drachens sinken. Wie von selbst umarmte ich den nächstbesten Stachel, um nicht sofort von der Brust der Bestie zu hängen, und schloss die Augen.

Aris, der sich neben mir um die Stacheln bewegte und doch immer wieder viel zu weit weg flog, murmelte mir zu: Ich passe auf dich auf, Tiponi.

* * *

Ich erwachte in dem Boot, das vom Strand davon getrieben war. Der Traum von Myron, er ging weiter. Es schien, als wären nur wenige Minuten vergangen, seit ich den Sturm entdeckt hatte. Aber nun rauschte eiskalter Regen vom Himmel und spielte auf dem wilden Meer ein Lied aus tausenden Tropfgeräuschen. Die Wolken waren so dicht, dass ich meinte, die Nacht wäre hereingebrochen. Hohe Wellen schubsten das Boot von einer Seite zur anderen und ich klammerte mich am Rand fest, um nicht über Bord zu gehen. Wind fegte über das wogende Wasser und ließ den Regen in mein Gesicht peitschen wie tausend spitze Steine. Fest biss ich die Zähne zusammen, um nicht zu schreien vor Angst. Ich erwartete, ein lautes Brüllen zu hören, das die Existenzen ankündigte, oder das Flüstern der Seelen, aber nichts dergleichen kam. Stattdessen schrie eine menschliche Stimme über den Lärm des Unwetters hinweg, die von überall her zu kommen schien. Es war die von Myron.

„Es ist geschehen!", brüllte er und ich hörte die Verzweiflung und Angst nur zu gut heraus. „Es ist geschehen! Er hat die Freiheit gerochen und will sie haben, um jeden Preis!"

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