Kapitel 7

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Ich:

„Hallo?" Bei dem Klang von Harrys Stimme hätte ich am liebsten sofort wieder aufgelegt. Ich wusste selbst nicht einmal wieso ich mich letztendlich doch dazu entschlossen hatte ihn anzurufen. Jeder normale Mensch hätte den Zettel mit seiner Nummer weggeschmissen und versucht die seltsame Begegnung zu vergessen. Genau das hatte ich auch vorgehabt, als ich gestern einen heftigen Streit mit meiner Mutter wegen des Zuspätkommens hatte, welcher schließlich auf eine Woche Hausarrest für mich hinauslief. Zu dem Zeitpunkt war ich wirklich sauer auf Harry gewesen. Doch irgendwas hatte dieser Junge an sich, dass ich ihn einfach nicht aus meinen Gedanken verbannen konnte...

„Hi", antwortete ich zögernd. „Ich bin's. Anna."

„Anna", wiederholte Harry leise und ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.  Automatisch stellte ich mir sein Gesicht dazu vor. Ich lächelte ebenfalls. „Wie geh...", setzte Harry an, wurde dann aber von einer Stimme im Hintergrund unterbrochen. Er war also nicht alleine. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie macht mich die Gewissheit nervös, dass noch jemand alles mithören konnte, was Harry sagte. Ich konnte nicht verstehen, was die Stimme sagte, doch es schien Harry zu verärgern, denn als er wieder ins Telefon sprach war seine Stimme kühl. „Warte einen Moment, Anna. Ich muss kurz was klären."
Bevor ich etwas erwidern konnte, erklang vom anderen Ende der Leitung ein dumpfes Rauschen, was bedeuten musste, dass Harry den Lautsprecher mit der Hand abdeckte. Wieso wollte er nicht, dass ich mitbekam was geredet wurde? Was auch immer es war, das er „klären" musste, schien langsam außer Kontrolle zu geraten, denn die Stimmen wurden immer lauter. Neugierig presste ich mein Handy ans Ohr und versuchte etwas zu verstehen. Und tatsächlich drangen einzelne Wortfetzten zu mir durch. Allerdings konnte ich nicht zuordnen welche Stimme was sagte. „...vertrau mir....nicht sicher...alles lügen...meine Entscheidung..." Mir schwirrte der Kopf von den ganzen zusammenhangslosen Wörtern und wieder einmal bereute ich es, Harry überhaupt angerufen zu haben. Ich holte tief Luft und wollte gerade auflegen, als sich Harry überraschender Weise wieder zu Wort meldete.
„Anna? Bist du noch dran?" Seine Stimme klang heiser und erschöpft.
„Ja." Ich klang unfreundlicher als beabsichtigt. „Alles klar bei dir?", fügte ich schnell hinzu um meine bissige Antwort ein wenig abzuschwächen.

„Ja. Sorry wegen eben. Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit."
„Kein Problem." Ich fing an auf einem Fingernagel rum zu kauen, etwas was ich mir schon lange abgewöhnen wollte. Eine Weile sagte keiner von uns beiden etwas.

„In letzter Zeit noch irgendwelche fremden Mädchen geküsst?", startete ich schließlich den halbherzigen Versuch einen Scherz zu machen, um die angespannte Stimmung aufzulockern. Harry ging gar nicht erst drauf ein.

„Hey, ich habe eine Frage", sagte er stattdessen. „Ich weiß, wir haben uns erst gestern kennen gelernt und das unter seltsamen Umständen... aber hättest du vielleicht Lust dich nächstes Wochenende mit mir zu treffen und mir die Chance zu geben den Kuss wieder gut zu machen? Ich würde dich gerne wiedersehen und ein paar meiner Freunde würden dich auch gerne kennenlernen." Irgendetwas daran schien lustig zu sein, denn im Hintergrund ertönte ein Lachen. Ich blinzelte verwirrt. Er wollte sich tatsächlich mit mir treffen? Nächstes Wochenende schon? Und mich dann auch noch seinen Freunden vorstellen? Irgendwie ging mir das alles zu schnell.

„ich weiß nicht...", antwortete ich ausweichend. „Ich habe Hausarrest und ich glaube nicht, dass meine Mutter im Moment in der Stimmung ist Ausnahmen zu machen."

Harrys leises Atmen am anderen Ende der Leitung verriet dass er nachdachte.
„Du hast meinetwegen Hausarrest", stellte er schließlich leise fest. Ich widersprach ihm nicht. Er atmete einmal hörbar aus. „Also ist es meine Aufgabe es wieder gut zu machen."

„Wie meinst du das?" Ich verstand nicht worauf er hinaus wollte.
Harry lachte leise. Meine Verwirrung schien ihn zu amüsieren. „Ich hole dich am Sonntag ab und rede dann persönlich mit deiner Mutter. Ich bin sicher, ich kann sie dazu überreden dich gehen zu lassen. Ich kann sehr überzeugend sein wenn ich will." Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wartete darauf, dass Harry das Gesagte als Scherz abtun würde. Doch das tat er nicht. Er schien es tatsächlich ernst zu meinen.
„Ich.. also.. meine Mutter...", stammelte ich total überrumpelt.
„Vertrau mir. Bis Sonntag dann", unterbrach Harry sanft mein Gestotter und im nächsten Moment hatte er aufgelegt. Ich blinzelte ein paar mal und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Langsam realisierte ich, was er gerade gesagt hatte. Ich würde Harry wiedersehen und seine Freunde kennenlernen. Trotz meines Schocks breitete sich Vorfreude in mir aus.


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