Kapitel 40

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Harry:


Nachdem wir uns weit genug von Anna entfernt hatten, sodass sie unmöglich unser Gespräch mithören konnte, blieb ich stehen. Louis stellte sich so vor mich, dass wir uns direkt anschauten und warf prüfend einen Blick hinter mich zu Anna.
„Ist alles okay zwischen euch beiden?“, fragte er stirnrunzelt, als wäre ihm auf einmal etwas aufgefallen. „Ich meine, ich habe euch küssen gesehen, aber irgendwie strahlt ihr nicht die Glücklich-schnulzig-rosarot-frischverliebte-Pärchen-Aura aus, wie sonst immer.“
Er lachte über seine eignen Wortkreation, schien allerdings eine ernstgemeinte Antwort hören zu wollen.

Ich seufzte. War es wirklich so offensichtlich? Einen kurzen Moment zog ich es in Betracht Louis tatsächlich zu erzählen, was eben vorgefallen war. Aber ein ungutes Gefühl in der Magengegend hielt mich davon ab. Auch wenn Louis und ich uns derzeit so gut verstanden wie schon lange nicht mehr, hatte ich doch seine Ansichten und sein Verhalten von den Tagen, als ich Anna neu kennengelernt hatte, nicht vergessen. Außerdem hatte ich inzwischen das Gefühl die Situation wieder ganz gut im Griff zu haben und von daher sah ich nicht mehr die Notwendigkeit, irgendwem davon zu erzählen. Ich hatte Annas Gesicht gesehen, als Bree angerufen hatte. Sie war komplett gegen die Idee gewesen zum Konzert zu gehen und das gab mir die Hoffnung, dass sie am Ende tatsächlich nicht gehen würde. Je mehr ich mir das selbst einredete, desto mehr glaubte ich inzwischen daran.
Anna würde einen Weg finden, nicht zu dem Konzert gehen zu müssen und ich würde noch einmal haarscharf davon gekommen sein.
„Ja alles okay“, antwortete ich betont unbekümmert. „Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, nichts von Bedeutung.“
Louis nickte und ließ das Thema fallen.

„Was ich dir gleich sagen werde, wird dir nicht gefallen“, kam er zu dem eigentlichen Grund seines Auftauchens und ich merkte augenblicklich wie sich mein ganzer Körper anspannte. Konnte ich nicht wenigstens ein verdammtes Mal einen ganz normalen, ruhigen Tag mit meiner Freundin im Park verbringen, ohne dass irgendetwas dazwischen kam?
„Bei der Planung für die Tour ist etwas schief gelaufen. Der ganze Zeitplan ist komplett durcheinander. Anscheinend haben wir morgen schon die ersten Pressekonferenzen und Interviews in Amerika“, fuhr Louis vorsichtig fort und ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen.
Ich schloss die Augen und atmete einmal tief ein und aus. Schon bevor Louis weitersprach, wusste ich worauf es hinauslaufen würde.
„Wir müssen heute Abend schon fliegen. Die Flieger stehen schon bereit. Du hast 3 Stunden um dich fertig zu machen und zu packen.“
Obwohl ich damit gerechnet hatte, fühlte es sich trotzdem an wie ein Schlag ins Gesicht. Ich starrte ihn fassungslos an. „Nur 3 Stunden???“
Louis zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Wir fliegen doch in verschiedenen Fliegern. Du hast sogar noch den spätesten Abflug bekommen. Ich muss schon in einer Stunde los.“
Mit zusammen gepressten Lippen nickte ich und zwang mich dazu meine Wut bloß nicht an Louis auszulassen. Er konnte am aller wenigsten was dafür.

Louis warf erneut einen Blick hinter mich und griff dann nach meinem Arm.
„Harry, beruhig dich. Anna sieht aus als würde sie jeden Moment rüber kommen wollen.“
Ich drehte mich ebenfalls um und warf Anna ein beruhigendes Lächeln zu, das diese stirnrunzelnd zur Kenntnis nahm.
„Gibt es eine Möglichkeit den Flug zu verschieben?“, fragte ich und drehte mich wieder zu Louis. Schon während ich die Frage aussprach, dachte ich fieberhaft darüber nach.
„Ich könnte sagen, dass ich mich nicht gut fühle und deswegen erst morgen fliegen kann.“
Louis verzog zweifelnd das Gesicht.

„Jane ist schon so außer sich vor Wut. So wie sie im Moment drauf ist, würde sie dich sogar mit gebrochenem Bein und blutender Platzwunde ins Flugzeug stecken.“

Er wandte sich zum Gehen. „Sorry, Harry. Aber ich glaube, du hast keine andere Wahl.“ Er schenkte mir ein letztes, ermutigendes Lächeln. „Man sieht sich in Amerika.“
Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Bäumen und ließ mich fassungslos zurück.
Ich wusste nicht wie lange ich schon dastand und auf die Stelle starrte, auf der Louis eben noch gestanden hatte. Doch irgendwann hörte ich Anna hinter mir langsam näher kommen. Ich schloss die Augen, als sie ihre Arme von hinten um mich schlang und versuchte das Gefühl von ihren warmen Händen an meiner Brust in mein Gedächtnis zu brennen. Viel zu lange würde es dauern, bis ich ihr wieder so nahe sein konnte. Wenn überhaupt jemals wieder… viel konnte in einem halben Jahr passieren. Der Gedanke war mit so viel Schmerz verbunden, dass ich ihn auf der Stelle beiseiteschob und mich stattdessen zu einem Lächeln zwang.
„Hey, kleiner Klammeraffe“, sagte ich sanft, löste ihre Arme von mir und drehte mich zu ihr um. „Ich muss mit dir reden.“
Annas Gesichtsausdruck wurde augenblicklich wachsam und ihr Blick sagte mir, dass sie bereits mit irgendetwas gerechnet hatte.

„Was hat Louis gesagt?“, fragte sie leise.
Ich schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Hand, die leicht zitterte.
„Du musst mir jetzt ganz genau zuhören“, begann ich und schaute ihr fest in die Augen. „Das hier hat nichts mit Louis noch mit sonst irgendwem etwas zu tun. Am allerwenigsten mit dir, okay?“
Anna antwortete nicht, nickte aber leicht.
Ich seufzte und fuhr mir mit meiner freien Hand nervös durch die Haare.
„Ich muss für eine Weile vereisen. Wir werden uns eine ganze Weile nicht sehen können.“ Ich atmete tief ein und schaute auf den Boden. „Ich würde es verstehen, wenn du erste Mal eine Pause in unserer Beziehung machen willst… Wir sind beide junge und lernen dauernd neue Leute kennen, wenn eine Fernbeziehung nicht das Richtige für dich ist, dann akzeptiere ich das. Du solltest nur wissen, dass ic…“
„Ich werde nicht mir dir Schluss machen, Harry“, unterbrach Anna mich ruhig. Obwohl ihre Augen feucht schimmerten, schaute sie mich fest an. „Ich liebe dich. Daran wird auch deine Abwesenheit nichts ändern.“ Ihre Stimme brach bei den letzten Worten leicht weg, was zeigte, dass ihre Gefasstheit auch nur Fassade war.
Ich stieß den Atem aus, den ich bis zu dem Moment unbewusst angehalten hatte und zog Anna fest an mich. „Ich liebe dich auch“, flüsterte ich und vergrub ein letztes Mal mein Gesicht in ihren Haaren, um ihren betörenden Duft einzuatmen.
Gott, ich vermisste sie bereits.
„Pass auf dich auf“, murmelte ich, als ich mich langsam wieder von ihr löste.
Aus ihrem Augenwinkel drohte sich eine Träne zu lösen, deshalb wandte ich mich schnell von ihr ab. Ich konnte es nicht ertragen, sie weinen zu sehen.

Der erste Schritt war der schwerste. Aber sobald ich erst einmal eine gewisse Entfernung zwischen mir und dem Mädchen, das ich liebte gebracht hatte, wurde es leichter. Zwar hatte ich immer noch das Gefühl, mit jedem Schritt den größten Fehler meines Lebens zu begehen, aber mit der wachsenden Entfernung konnte ich wieder freier atmen.
Kurz bevor ich aus ihrem Sichtfeld verschwunden wäre, drehte ich mich noch ein letztes Mal zu ihr um. Selbst aus der Entfernung raubte mir ihre Schönheit den Atem. Sie stand regungslos da und blickte mich an.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich sie ab jetzt jede Sekunde vermissen würde. Jeder einzelne Gedanke würde ihr gehören, bis ich sie endlich wieder sehen konnte. Und aus irgendeinem Grund, machte mir das absolut nichts aus.

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