Kapitel 1

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Unbekannte Stimmen schwirrten mir im Kopf. Noch bevor ich meine Augen öffnen konnte, hörte ich Thomy reden und mein Herz wurde sofort leichter. "Ich glaube Loki wird wach." Zögernd sah ich mich in einem kleinen mir unbekannten Zimmer um. Neben meinem Bett saß eine ältere Frau mit vielen Falten im Gesicht, welche meinen Bruder auf dem Schoß hielt. Misstrauisch blickte ich sie an. "Wer sind Sie?" Thomson rutschte von ihr herunter und grabbelte aufs Bett. Ich nahm ihn zu mir in den Arm. "Ich bin Tabea. Du warst schwer verletzt doch ich habe dich soweit geheilt. Du bist außer Lebensgefahr." Mit einem zuversichtlichem Lächeln sah sie mir zu als ich unter dem Brustkorbverband nachsah und tatsächlich war die Wunde gesäubert und genäht worden. Auch das Rascheln beim Atmen war nicht mehr da. "Wo sind wir denn?" fragte ich sie als Nächstes. Es kam mir immer noch komisch vor, jeder normale Mensch hätte mich doch ins Krankenhaus gebracht. "Du bist bei mir Daheim. Unsere Jungs haben dich und deinen Bruder im Wald gefunden und zu mir gebracht. Wir wohnen in Macville einer Kleinstadt. Kennst du sie?" Ich überlegte kurz wie viel ich ihr sagen konnte, doch diese alte gebrechliche Frau schien mir keine Gefahr zu sein, sonst hätte sie mich doch gewiss schon getötet. "Ich komme nicht von hier, aber Macville ist mir bekannt weil wir hier im Ort Urlaub gemacht haben, bei meiner Großmutter Trina Larsen. "Oh Trina. Trina ist eine sehr gute Freundin von mir. Wir sind sozusagen zusammen groß geworden. Ein Moment." Die Frau erhob sich und ging aus dem Zimmer, dabei fiel ihr langes schwarzes Haar über ihren Rücken in Wellen hinab. Ungewöhnlich für ihr Alter. Dann kam sie mit einem kleinen eingerahmten Foto zurück. "Hier, siehst du?" Sie reichte mir ein altes Foto wo man eindeutig sie sehen konnte. Sie legte beide Arme um eine jüngere Ausgabe meiner Oma und beide schienen fröhlich zu sein. Die Tatsache, dass sie meine Oma gut kannte, beruhigte mich etwas. "Lass mich kurz deine Oma anrufen, dann kommt sie dich sicher abholen. Du solltest dich dennoch ins Krankenhaus fahren lassen für eine Untersuchung." Abermals verließ sie den Raum. Ruckartig drehte ich Thomsons Kopf in meine Richtung. "Weißt du noch was gestern passiert ist?" zögernd nickte Thomson. "Wir hatten einen Unfall und dann bist du mit mir in den Wald gerannt." Entschlossen stimmte ich ihm zu. "Ja und dann? Weißt du noch wie ich dich in den Baum gehoben habe und was dann passiert ist?" Wieder nickte Thomson. "Du bist eingeschlafen wie Lilith, nur du bist wieder wach. Lilith nicht." Mein Herz blutete als ich hörte, was er von Lilith sagte. Aber dennoch stimmte was nicht. Er hat einen großen Teil übersprungen. "Ja aber hast du nicht den Mann gesehen mit dem ich geredet habe? Oder die... die Wölfe?" Auf die Frage antwortete er nicht direkt. Kurz sah er zurück und blickte in die dunkelbraunen Augen Tabeas. Dann sah er wieder zu mir. "Ich weiß nicht was du meinst. Du bist eingeschlafen und dann kamen uns  Männer abholen, einer von ihnen heißt Miles und die haben uns hier hingebracht." Ich hatte das ungute Gefühl als würde mich mein 5 Jähriger Bruder anlügen. Aber es gab wichtigere Dinge im Moment. Oder vielleicht hat mein Gehirn mir etwas vorgesponnen, da ich ja schwer verletzt war. Da sind Halluzinationen nichts Ungewöhnliches. "Thomson hat Hunger, Loki. Setz dich doch zu uns. Eure Oma ist auf dem Weg, es könnte aber noch dauern, weil ich sie geweckt hab." Schnurstracks glitt mein Blick zur Uhr. Es waren gerade mal viertel vor sechs Uhr morgens! Langsam stand ich vom Bett auf und begleitete Tabea in das angrenzende Zimmer. Ihre Küche war klein mit einem viel zu großen Tisch. Alles war aus hellem Holz geschnitzt und sah sehr altmodisch aus. Auf dem Tisch lagen mehrere Brotscheiben und eine Käse und Wurst Platte. Aber Auch Marmelade und Honig standen auf dem Tisch. Ich setzte mich neben meinen Bruder, doch ich hatte keinen Hunger. In Gedanken ging ich die heutige Nacht nochmal durch. Warum sind wir nur so spät abends von Oma weggefahren? Wir hätten einfach morgens losfahren und den Verkehr in Kauf nehmen sollen. Aber mein Vater meinte natürlich erst fahren zu müssen wenn die Straßen leer sind. In meinen Gedanken spielte sich immer wieder der Moment ab, als mein Vater reglos auf dem Boden lag und dieser Fremde auf mich starrte. Papa ist tot, meine Mama ist tot und Lilith ist tot. Ich fing an zu weinen, da ich jetzt erst begriff, was ich eigentlich heute Nacht alles verloren hatte. Erst waren es nur ein paar Tränen die über meine Wange kullerten, doch dann wurden es immer mehr, bis ich mich schließlich schluchzend auf die Holzbank hinlegte, schrie und heulte. Tabea kam zu mir und zog mich zu sich. "Du bist in Sicherheit Liebes, es ist ok du darfst weinen. Jetzt mag es für dich schwer sein und ein Leben ohne sie scheint dir unmöglich zu sein, aber es wird wieder. Du musst jetzt tapfer sein, für Thomson. Er brauch dich jetzt." Diese Worte ließen mich verstummen. Sie hatte Recht. Ich wusste nicht wie ich weiter machen sollte. Wie sollte ich ein Leben weiter führen, welches meine Eltern und meine Schwester nicht teilhaben konnten. Wie sollte ich je wieder glücklich sein, ohne sie dabei zu haben? Und wie sollte ich mich um Thomson kümmern, wie sollte ich es ihm erklären? Thomson hörte auf zu essen und starrte mich wieder von unten aus mit seinen großen blauen Augen, die er von meiner Mutter geerbt hatte, an. "Alles wird gut werden!" flüsterte ich zu ihm. Jedoch war ich mir unsicher, ob diese vier Wörter an ihn oder an  mich gerichtet waren. Eine Autotür schlug laut zu und ich horchte auf. Ohne zu klingeln flog die Tür auf und meine Oma Trina stürmte herein. Mit blauen rotverquollenen Augen sah sie mich an und ich wusste, dass sie es wusste. "Wo wart ihr hin?" waren die ersten Worte meiner Oma. "Es wurden Suchtrupps geschickt um euch zu finden. Wieso bist du vom Unfallort weggelaufen nach deinem Anruf. Ich habe mir solche Sorgen gemacht auch noch euch drei zu verlieren." Omas hysterische Stimme schlug beim Ende eine ganze Oktave höher. "Lilith ist auch tot. Ich konnte sie nur nicht einfach dort zurücklassen." antwortete ich nur und wiegte Thomson in meinem Arm. Anstelle noch lauter zu werden, ließ sie ihre Schultern hängen und kam zu mir geeilt. Tabea stand auf, damit sie neben mir Platz nehmen konnte. In einer langen Umarmung landete ich. Eine Zeit lang hörte man nur das Ticken der Standuhr und das schmatzende Geräusch von Thomsons Kauen. "Wieso bist du denn nicht da geblieben?" Zunächst war ich unsicher, ihr das zu erzählen. Doch ich wusste wie mein Vater gestorben war. Er hatte den Unfall selbst überlebt. "Da standen zwei Männer auf der Straße, weshalb wir von der Straße abgekommen sind. Und als ich dann Thomson, Lilith und mich aus dem Wagen befreit hatte, sah ich diesen Fremden und Papa hat gesagt ich soll weglaufen und dann hat dieses Ding Papa getötet. Und dann bin ich gerannt. Ich muss zur Polizei Oma. Ich muss das doch melden." Hysterisch sprang ich auf und zog an meiner Oma damit sie meine Dringlichkeit verstand. "Erst mal fahren wir mit dir ins Krankenhaus. Tabea sagt du seist auch sehr verletzt gewesen." Trina blickte zu ihrer Freundin mit einem besorgten Blick. Ich fühlte mich, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen. Wieso glaubte sie mir denn nicht. "Mein Enkel ist bei der Polizei Loki. Ich schicke ihn zum Krankenhaus, wenn dich das beruhigt." Dankend sah ich zu Tabea. "Danke. Dann lass uns sofort losfahren." Thomson nahm meine Hand und wir traten raus um in Trinas Auto zu gelangen. Als Thomson eingestiegen war, ging ich ein paar Schritte zurück zu Tabea. "Wo ist .. Lilith?" "Mein Enkel, von dem ich dir eben erzählt habe, der bei der Polizei arbeitet, hat sie schon mitgenommen. Vielleicht ist es besser wenn du sie so in Erinnerung behältst, wie sie vor dem Unfall aussah." Ich zog meinen Mund zu einem dünnen Strich um nicht wieder mit dem Weinen anzufangen. Dafür war es sowieso zu spät. Ihr geschundener Körper hat sich wie mit einem heißen Eisen in meine Gedanken gebrandmarkt. Langsam stieg ich auf die Beifahrerseite ein. Unwohlsein erfüllte mich, als Oma den Motor startete. Scheinbar wohnte Tabea nicht direkt in der Stadt selbst sondern mit ca. 50 anderen Häusern etwas abseits. Als eine Art Siedlung. Polternd bewegten wir uns vorwärts und fuhren an einer Gruppe junger Männer vorbei. Diese starrten alle unser Auto an oder genauer gesagt mich. Weshalb ich mich noch tiefer in meinem Sitz verkroch. Besonders die graugoldenen Augen schienen mich anzuziehen. An diesen blieb ich auch haften, bis mir im Kopf plötzlich ein Bild von einem Wolf auftauchte. Ich zuckte zusammen und sah auf der anderen Seite des Wagens hinaus. Was war bloß los mit mir? Wurde ich verrückt?

MAC TÍREWo Geschichten leben. Entdecke jetzt