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Taehyung

Ich betrachte das grosse Gebäude vor mir mit einem skeptischen Blick. Die Lust, den grauen, emotionslos wirkenden Klotz da zu betreten, habe ich eigentlich gar nicht. Es ist bestimmt das vierte Mal dieses Jahr, dass ich mich in dieser Situation befunden habe.

Neues Haus, neuer Ort, neue Schule, neue Leute.

Manchmal verfluche ich den Job meines Vaters. Wieso müssen wir auch so viel umziehen? Kann er denn nicht zuhause seinen Papierkram oder was auch immer das ist, erledigen? Ich war nie ein Fan davon, ständig die Schule zu wechseln, wirklich nicht.

Ich habe meine Eltern schon fast auf Knien angefleht, mir diesmal endlich einen Privatlehrer zu holen, aber sie blieben strikt.

"Sozialer Kontakt tut dir gut, Taehyung", meinten sie. Das ich nicht lache. Welcher soziale Kontakt?

Ich war nie gut darin, mir Freunde zu machen, es dauerte immer Monatelang, bis ich mich etwas öffnen konnte. Doch immer genau nach drei oder vier Monaten zogen wir um und ich liess jeden Freund wieder zurück. Lustig war das nicht, also habe ich mit der Zeit beschlossen, mir nicht einmal mehr die Mühe dazu zu machen, Freunde zu finden. Mir reichten die wenigen, die mich aufgrund meiner ständigen Umzieherei noch nicht im Stich gelassen hatten, die mit mir schrieben und telefonierten, selbst wenn es mir unmöglich war, sie zu sehen.

Sie sind noch heute gut mit mir befreundet und bessere Menschen könnte ich mir nicht vorstellen, immerhin sind sie trotzdem für mich da, obwohl wir uns seit meinem Umzug nicht mehr gesehen haben.

Allerdings habe ich mit der Zeit gemerkt, wie einsam das macht, wie alleine man ist. Man ist ein leichtes Opfer, man kann gut verletzt werden und wird immer angestarrt, weil man alleine ist. Also habe ich auch diese Taktik rasch aufgegeben. Ich habe mir wieder Leute gesucht, doch mit diesen habe ich mich nie so eng angefreundet, wie mit den Ersten. 

Und nun stehe ich hier, vor der nächsten Schule, nicht wissend, wie lange ich die besuche. 

Etwas missmutig betrete ich das grosse Gebäude und werde direkt von lautem Stimmengewirr begrüsst. Auf dem Zettel, der uns geschickt wurde stand das Zimmer 11 das wäre, dass ich aufsuchen muss, also mache ich mich daran, die kleinen Schildchen mit den schwarz eingravierten Zahlen neben den Türen anzusehen und diesen zu Folgen, bis ich bei der kleinen, schwarzen Elf angelangt bin. Mittlerweile bin ich nicht mehr nervös, wenn es darum geht, mich vorzustellen. Mit den Jahren habe ich das so oft getan, dass es mir beinahe schon egal ist, was alle von mir denken. Ich bleibe doch sowieso nicht lange hier.

Es hat noch nicht geklingelt, weswegen alle noch wild durcheinander plappern und sich amüsieren. Ich dagegen bleibe beim Türrahmen stehen und warte auf den Lehrer. Ich habe keine Lust das Zimmer zu betreten und von allen nur dumm angestarrt zu werden.

Seufzend lasse ich meinen Blick durch den überfüllten Flur wandern und erkenne bald darauf eine junge Frau, mit ihrer Tasche, die auf mich zukommt. Als sie vor dem Zimmer steht legt sie den Kopf schief und mustert mich. "Kim Taehyung, nicht wahr?", fragt sie und ich nicke bestätigend. Sie lächelt freundlich und streckt mir die Hand hin, die ich ergreife. "Mrs. Lee", stellt sie sich vor und winkt mich dann mit sich. Lustlos betrete ich nach ihr das Klassenzimmer, während sie um Ruhe bittet.

Ich schliesse die Tür hinter mir und mustere die Klasse vor mir. "Stell dich doch vor", verlangt die junge Lehrerin und ich unterdrücke ein Seufzen, bevor ich mich leicht verbeuge. "Kim Taehyung", stelle ich mich vor, "Ich komme aus Daegu und bin hier, wegen der Arbeit meines Vaters." Da es nicht viel mehr über mich zu wissen gibt, sehe ich nun wieder unschlüssig zu Mrs. Lee, welche nach hinten auf einen freien Platz an einem Zweiertisch weist. "Du kannst dich neben Jungkook setzen."

Ich nicke und laufe nach hinten in die letzte Reihe, wo der besagte Junge hockt und eifrig auf einem Blatt herumkritzelt. Als Mrs. Lee seinen Namen genannt hat, hat er nicht einmal aufgeschaut. Ich lasse mich auf den Stuhl neben ihm fallen, woraufhin er langsam aufsieht und mich eingehend mustert.

Komischerweise erkenne ich Angst in seinen Augen. Er schluckt leer, wie ich sehen kann und mit einem Blick auf seine Hände, erkenne ich, wie er sich anspannt, denn er ballt sie zu Fäusten. "Hallo", lächle ich schief und versuche möglichst nett zu klingen. Er zuckt kurz zusammen und entspannt sich dann. Anstelle von Angst erkenne ich in dem dunklen Braun nun Trauer, als er mir lediglich zunickt und seine Aufmerksamkeit dann wieder dem Papier auf dem Pult widmet.

Verwundert sehe ich ihn an, traue mich aber nicht, ihn noch einmal anzusprechen. Nicht, weil er mir Angst macht, viel mehr, weil er diese Abweisung ausstrahlt. Als möchte er gar keinen Kontakt. Vielleicht hat er ja einfach einen schlechten Tag und er will mit niemandem reden, das könnte es erklären.

Stutter [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt