°13

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Jungkook

Seufzend gehe ich meine alten Zeichnungen durch, die ich aus den Tiefen meines Schrankes hervor geholt habe. Ich besitze eindeutig zu viele, weshalb ich beschlossen habe, die schlechtesten auszusortieren und damit wieder Platz für neue Bilder in den Mappen voller Zeichnungen zu machen. 

Skeptisch mustere ich in diesem Moment den Sonnenuntergang, den ich mit Aquarellfarben gemalt habe. Er ist noch gar nicht so lange her, aber wenn ich ihn mit einem zweiten Bild, ebenfalls ein Sonnenuntergang und ebenfalls mit Aquarell gemalt, vergleiche, ist das zweite meiner Meinung nach schöner. 

Also lege ich das erste Bild ohne weiter darüber nachzudenken auf den bereits recht grossen Stapel der aussortierten. Dann nehme ich mir ein weiteres Bild zur Hand und beäuge es kritisch. Diesmal ist es die frühere Skizze von Jimin, der tief schlafend auf meinem Bett gelegen hat. Würde ich es mit einer Skizze von heute vergleichen, wäre diese hier potthässlich, soviel ist sicher, trotzdem zögere ich damit, sie auf den Stapel zu legen.

Es war eine meiner ersten Zeichnungen eines Menschen. Klar, die Jahre über bis jetzt konnte ich mich stark verbessern, aber es ist Jimin, den ich gezeichnet habe und so schlecht diese Skizze auch ist, es hat ihn damals so gefreut, diese zu sehen. 

Ich will es gerade seufzend dank meiner Loyalität meinem besten Freund gegenüber zuunterst in eine der drei Mappen schieben, als meine Tür aufspringt. Erschrocken fahre ich hoch und starre Jimin und hinter dem auch Taehyung an, die in mein Zimmer rauschen.

"Hey, Kooks alles in Ordnung?", fragt Jimins helle Stimme sofort fürsorglich, als er sich auf das Bett setzt und seine Hand an meinem Nacken platziert, den er daraufhin sanft krault. Verwirrt sehe ich ihn an, bevor mir klar wird, dass sie meinen überstürzten Abgang von heute meinen müssen. Ich nicke zaghaft und mein Blick huscht beinahe ängstlich zu Taehyung. Der Ältere steht noch immer in der Mitte des Raumes, die Hände in den Hosentaschen und mich mit einem derart intensiven Blick musternd, dass es mir kalt den Rücken hinunter läuft. 

Räuspernd schlage ich meine Augen nieder und blicke wieder auf die Skizze in meinen Händen, bis mein Handy eine Nachricht ankündigt. Augenblicklich greife ich nach dem Gerät und entsperre es, um die von Jimin angezeigte Nachricht zu sehen. Perplex starre ich ihn von der Seite an, doch sein Blick ist auf das Handy in seinen Händen fokussiert, wo er wohl auf eine Antwort von mir wartet.

Ist wirklich alles in Ordnung?

Ja. Hat Taehyung etwas gefragt?

Er hat mich praktisch ausgequetscht

Die Antwort lässt mein Herz aussetzen und leer schluckend starre ich die Worte erst an, bevor mein Blick kurz zu Taehyung huscht, der jedoch bloss still meine Zeichnungen mustert. Er scheint gar nicht mehr wahrzunehmen, dass Chim und ich ebenfalls hier sind, oder er beachtet uns absichtlich nicht, um uns unsere Privatsphäre zu geben, während er sich im Schneidersitz auf den Boden setzt und meinen Stapel in die Finger nimmt, um die Zeichnungen ebenfalls zu mustern.

Wehe du hast ihm etwas gesagt! Jimin, ich bringe dich um!

Bleib ruhig, ich sagte, du seist bloss extrem nervös gewesen. Er hat es dann dabei belassen.

Wieso darf er es nicht erfahren?

Ich will einfach nicht, dass er es weiss. Du darfst es ihm nicht verraten, niemals, verstanden? Ich zähle auf dich!

Ehrenwort

Beruhigt aufatmend lege ich das Handy zur Seite, während der Braunhaarige neben mir aufspringt und sich vor mir stellt. "Wo das geklärt wäre", lächelt er frech und bückt sich, um mich zu umarmen, was ich sofort erwidere, "Ich muss los. Tanztraining. Bis dann ihr zwei!", verabschiedet er sich und Tae schafft gerade noch ein "Bye", zu sagen, und ich zu winken, als der Kleinere auch schon zur Tür hinausstürmt.

Zwischen Taehyung und mir herrscht nun eine ziemlich peinliche Stille, ich wage kaum zu Atmen. Irgendwie wirkt der Raum mit Jimins Verlassen viel kälter und ich bin mir sicher, dass ich gerade angestarrt werde, denn Taes Blick bohrt sich praktisch in meine Schulter. Mit meinen Fingern spielend, sehe ich langsam von der Bettdecke auf und in sein Gesicht. 

Ich hatte Recht. Er starrt mich an. Und wie er das tut.

Er sieht mich an, als würde er versuchen, auf den Grund meiner Seele blicken. Es wirkt, als will er eine Erklärung, eine Antwort, aber auf was?

Schliesslich ist es dann auch er, der die Stille bricht. "Ich werde nicht fragen", nimmt er vorneweg und ich seufze erleichtert, "Ich weiss, dass Jimins Erklärung, du seist nervös, eine Notlüge ist. Aber du willst es mir nicht sagen, also werde ich nicht fragen", spricht Tae weiter, ruhig und mit einer neutralen Stimme.

Dankbar senke ich kurz den Kopf, während er leise murmelt: "Ich wusste nur nicht, dass du so grosse Angst davor hast, zu Reden, dass dir sogar kleinste Worte nicht über die Lippen kommen." Ich sehe ihn von unten an, während er wieder konzentriert auf die Zeichnungen schaut.

Ich habe keine Angst. Ich hasse es lediglich.

Na gut, vielleicht habe ich Angst, zu sprechen, wenn Taehyung es hören kann.

"Das ist schön", bemerkt er dann und hält den Sonnenuntergang hoch, den ich zuvor aussortiert habe. Hastig nehme ich mein Handy in die Finger und tippe einen kurzen Satz in die Memos, ehe ich ihm das Gerät hinhalte.

Du kannst es haben.

Seine Augen weiten sich und er schaut zu mir auf. "Wirklich?", hakt er nach, woraufhin ich zaghaft lächelnd nicke. Er beginnt zu strahlen und steht auf. "Ich hab noch was für dich, wenn du mir das schon schenkst", meint er und zieht einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Hosentasche.

Er hält ihn mir hin und ich entfalte das Papier neugierig. Doch gleich darauf, erkenne ich es sofort wieder. Ich wollte das Graffiti noch im Müll loswerden, denn meiner Meinung nach ist es überhaupt nicht hübsch geworden. Es muss mir wohl irgendwie abhanden gekommen sein und er hat es dann gefunden.

Normal

Unsicher sehe ich von dem Wort auf, in sein Gesicht. Es wirkt sanft und verständnisvoll, als er leise meint: "Es ist absolut nichts schlimm daran, anders zu sein. Du musst nur lernen, das zu akzeptieren, Jungkook - genauso wie ich auch."

Mit diesen Worten dreht er sich grusslos um und verschwindet mit seinem Bild aus meinem Zimmer.

Stutter [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt