Jungkook
Tief durchatmend lese ich mir im Stillen den einfachen Satz wieder und wieder durch. Er ist gar nicht so schwer. Den könnte selbst ein Erstklässler ohne Schwierigkeiten vorlesen.
Ich setzte den Finger unterhalb die Zeile, um ja nicht irgendwie falsche Worte zu lesen, bevor ich den Mund aufmache und einen Moment innehalte, um mich zu sammeln.
Ich verkrampfe mich, während ich versuche, mein Gestotter zu unterdrücken und schliesslich ist meine Stimme nur ein unterdrücktes Zischen, als ich hervorpresse: "D-die we-weiss-e K-katz-katze..."
Weiter mache ich gar nicht. Ich stoppe nach den drei Worten, lege frustriert seufzend den Kopf in den Nacken und schliesse die Augen. Wieso schaffe ich das nicht? Wütend sehe ich wieder hinunter auf die aufgeschlagene Seite, lese die Worte und nehme einen weiteren Anlauf.
Doch auch dieses Mal scheitere ich nur schon beim ersten Wort, woraufhin ich aufseufzend das Buch von der Matratze fege. Es kommt mit dem Buchrücken oben und aufgeschlagen auf dem Parkett auf und bleibt schliesslich so liegen, während ich mich auf den Rücken in die Kissen falle.
"Ein normales Hallo hätte gereicht."
Normal.
Welcher Mensch auf dieser Welt will schon normal sein? Jeder will etwas Besonderes sein, jeder möchte es zu etwas bringen. Jeder will wie die coolen Leute sein, jeder will Ansehen.
Und dann gibt es mich.
Ich will einfach nur normal sein. Ich will wie jeder andere, Achtzehnjährige sein. Ich will einfach nur normal sprechen können.
Seufzend richte ich mich wieder auf, stehe vom Bett auf und laufe zum Schreibtisch, wo ich in einer Schublade das nächstbeste Blatt hervorkrame und mich dann hinsetze, einen Stift zur Hand nehme und beginne, mit schwungvollen Strichen das auf das Blatt zu übertragen, was mein Kopf sehen will.
Ich konzentriere mich so sehr auf die schwarzen Buchstaben auf dem Blatt, dass ich es vollkommen überhöre, wie die Tür zu meinem Zimmer aufgeht. Erst als Jimin laut fragt: "Was zeichnest du denn da?", schrecke ich hoch und sehe ihn, sowie Namjoon hineinkommen.
"Ni-nichts!", antworte ich hastig und drehe das Blatt um, sodass sie nichts mehr erkennen können. Während Namjoon es bei dieser Antwort belässt, ist Jimin schon eine Runde hartnäckiger und will sich den Fetzen gerade schnappen, als ich seine Finger wegschlage, das Papier zerknülle und in meine Hosentasche stecke.
"E-es ge-geht d-dich n-nichts an!", sage ich stur, woraufhin er einen Schmollmund macht, jedoch nachgibt und sich zu Namjoon aufs Bett wirft. "Was macht das Buch auf dem Boden?", erkundigt sich ebendieser.
"I-ich hab ve-ver-sucht z-zu l-lesen", erkläre ich und der Älteste von uns seufzt. "Und in deiner Wut hast du es weggeschmissen?", schlussfolgert er, woraufhin ich nicke. "Jungkook, du hast doch schon so viel probiert. Wieso willst du nicht akzeptieren, dass du stotterst?", fragt Jimin nun unsicher.
Ich sehe ihn nicht an, als ich leise erwidere: "W-w-weil i-ich ni-nicht so s-ein will."
Nun seufzen sie beide, bis ich frage: "W-wie war Mu-musik, Ch-chim?" Seine Miene wird nicht heller, nein, sie scheint sich noch zu verdunkeln. "Wir haben nächstes Mal Vorsingen", erklärt er mir mit unheilvoller Stimme.
Ich seufze tief. Dann werde ich wohl wieder einmal Zuhause rum hocken. "Kookie, du kannst dich nicht ewig verstecken", wirft Namjoon ein, der mein Vorhaben einmal mehr durchschaut hat. Diesem Typen kann ich wirklich nichts vormachen, oder? Ich sehe ihn an. "Wa-s s-soll i-ich so-sonst tun?", will ich von ihm wissen und lege dabei ironisch den Kopf schief, als würde ich tatsächlich eine Antwort wollen.
Dabei will ich nur, dass sie mich in Ruhe lassen. Ich möchte nicht vorsingen und das aus einem guten Grund. Ich werde ein stammelndes Durcheinander sein, dass vermutlich vor Nervosität nicht einmal die Töne trifft und darauf kann ich gut verzichten.
"Es einfach versuchen?", schlägt er vor, woraufhin ich auflache. "Du kannst dich auch nicht ewig vor Taehyung verstecken", fügt Jimin nun hinzu. "Wa-was hat e-er de-denn j-jetzt d-dam-it z-zutun?", frage ich ärgerlich und verschränke die Arme vor der Brust. "Ach komm, du kannst froh sein, dass er dein stummes Dasein ohne Fragen hinnimmt!", lässt Jimin verlauten, "Er hätte eine Erklärung verdient, findest du nicht?"
"E-er wü-ürde s-sich do-doch nur ü-über mich l-lustig ma-achen", murmle ich betrübt und sehe zu Boden. Der Ältere schnaubt und nickt ironisch. "Ja, klar", antwortet er, "Weil ich das ja auch gemacht habe!"
Ich verwerfe die Arme und funkle die beiden wütend an. "W-was wo-wollt i-i-ihr von mir?!", fauche ich verzweifelt, "V-verda-ammt, d-denkt i-ihr d-das m-acht Spass?!" Sie antworten mir nicht, allerdings ist mir das auch egal. Ich spüre nur diese riesen Verzweiflung, die mich bald wahnsinnig mach.
"Ein normales Hallo hätte gereicht."
Wieso muss ich stottern? Ich meine, womit habe ich sowas verdient? War ich etwa ein so schlechter Mensch im letzten Leben, dass man sich dachte, diese Strafe wird mich lehren, nie wieder gemein zu sein? Verdammt, was ich auch angestellt habe, es tut mir leid. Ich habe es gelernt, ich will, dass das endlich aufhört.
Wieso kann ich nicht wie jeder andere normal reden? Mich normal mit Menschen unterhalten? Wieso müssen die Leute mich irritiert anschauen, wenn ich den Mund aufmache, warum muss ich mich vor Scham nicht trauen, überhaupt etwas zu sagen?
Natürlich hätte Taehyung eine Erklärung verdient, natürlich würde ich der Sache auf den Grund gehen und bin ihm dankbar, dass er das anscheinend nicht tut. Aber ich will nicht, dass er mich mit anderen Augen sieht. Mitleid wird mir nicht helfen. Und ich will nicht, dass er sich über mich lustig macht.
Er hat einfach diese Ausstrahlung an sich, die mich einschüchtert und die mir sagt, dass er genau das tun wird. Er wirkt so stark, so furchtlos, wie könnte er sich da nicht über jemanden wie mich lustig machen?
Und als wäre meine jetzige Aufregung nicht schon genug, muss in diesem Moment mein Handy piepen.
Aufgebracht schnappe ich mir das Teil vom Tisch und tippe die Nachricht an, welche von Taehyung stammt, während ich Jimin und Namjoon vollkommen ignoriere, die mich neugierig mustern und sich bestimmt wundern, wer mir nun geschrieben hat.
Du warst heute nicht in der Schule. Ist alles in Ordnung?
Seufzend fahre ich mir durch die Haare. Er ist andererseits so fürsorglich, er könnte doch niemals einen anderen Menschen verletzen, indem er ihn für seine "Behinderung" hänselt.
Ja, ich habe mich nur nicht sonderlich fit gefühlt
Lüge. Ich hatte nur zu wenig Mut. Ich wünschte, ich hätte Mut, genug, damit es mir egal wäre, was andere von mir denken. Genug Mut, um Taehyung in die Augen zu sehen und einfach drauflos zu reden.
Ich besitze diesen Mut nur nicht.

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Stutter [Vkook]
FanfictionEr redet nicht. Das ist wohl das erste, was Taehyung einfällt, wenn man ihn fragt, wie sein neuer Tischnachbar ist. Er scheint nicht einsam zu sein, bloss sehr schweigsam. Was Taehyung nur nicht weiss, ist, dass es Jungkook sehr schwer fällt, zu s...