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Taehyung

Neugierig beobachte ich den hochgewachsenen, leicht muskulösen Jungen neben mir, der konzentriert über seinen Matheaufgaben brütet.

Er ist bereits um einiges weiter als ich, aber vermutlich ist sogar ein Erstklässler schneller als ich in Mathe.

Der Typ ist wirklich, wirklich seltsam. Ein anderes Wort habe ich nicht, um ihn oder sein Verhalten zu beschreiben. Zuvor ging ich davon aus, dass er nicht reden will und jeden abblockt. Aber anscheinend scheint nur mich zu meiden. Immerhin ist in der fünf Minuten Pause ein Schüler an unseren Pult gekommen - er hat sich als Park Jimin vorgestellt - und mit dem hat Jungkook sich unterhalten.
Na gut, unterhalten kann man das nicht nennen. Jimin hat ihn voll gelabert und Jungkook hat artig zugehört und hin und wieder den Kopf geschüttelt oder genickt. Obwohl Jimin doch um einiges mehr spricht und vermutlich weitaus anhänglicher ist, hat es Jungkook anscheinend nichts ausgemacht.

Und bei mir reicht ihm schon ein "Hi", um mich zu meiden?
Wie gesagt: Seltsam.

Neugierig mustere ich sein Seitenprofil weiter, studiere seine braunen Haaren, die einen fuchsroten Schimmer besitzen, worauf ich zurückschliesse, dass er sie vor einiger Zeit gefärbt haben muss. Er ist bestimmt kein Schwächling und anhand seines Aussehens hat er bestimmt einige Verehrerinnen. Auch fällt mir die kleine Narbe an seiner Wange auf, bevor ich mich dazu entschliesse, einen weiteren Gesprächs-Versuch zu starten.

Angriffslustig stupse ich ihm meine Bleistiftspitze ganz sachte in die Seite und warte seine Reaktion ab.
Es kommt nur keine.

Ein Augenverdrehen unterdrückend sehe ich ihn beinahe missbilligend an, was er jedoch auch nicht wahrnimmt. Ich bohre ihm die Bleistiftspitze ein weiteres Mal in die Seite, diesmal fester. Das muss er spüren.

Doch auch diesmal reagiert er nicht.

Ganz klar, der Idiot ignoriert mich ohne einen mir bekannten Grund nach Kräften.

Also probiere ich es ein drittes Mal. Es muss ihm nun bestimmt wehtun, als ich die Spitze in seine Seite drücke, doch er bewegt sich keinen Milimeter. Der Typ steckt wohl so einiges einfach so weg...

"Hey!", zische ich, "Jungkook, richtig?"

Nun seufzt er tief und scheinbar auch genervt, bevor er den Stift hinlegt und sich zu mir dreht, um den Blickkontakt herzustellen, wobei er ebenfalls genervt und trotzdem fragend die Augenbrauen hochzieht.
Es ist tatsächlich faszinierend, wie er seine Gefühle bloss mit seinen Augen so gut zum Ausdruck bringen kann. Erst habe ich Angst in ihnen gesehen, dann Trauer, nun sehe ich Abweisung.

Er räuspert sich leise und holt mich damit zurück in die Gegenwart. Seine Finger trommeln ungeduldig auf der Tischplatte herum, während er wohl auf eine Erklärung meinerseits wartet, wieso ich ihn gestört habe.

Ich sehe auf mein Blatt und tippe die nächste Aufgabe an, die auf mich wirkt, als wären es Hyroglyphen, die ich entschlüsseln muss. "Ich verstehe die nicht", wispere ich, "Und du hast die schon."

Er runzelt die Stirn und nickt langsam, als ich fortfahre: "Kannst du sie mir erklären?"

Er weitet die Augen und sieht mich erschrocken an, bevor er den Kopf schüttelt und sich wieder zu seinen Aufgaben dreht.
Verdutzt starre ich ihn an, sehe wie er kurz überlegt und dann eine Zahl aufschreibt, ohne mir weiter Beachtung zu schenken.

Das ist jetzt nicht sein Ernst oder?
Was ist falsch mit dem Kerl?!

"Nein?", hake ich zischend nach, "Du hast die Aufgabe doch schon! Kannst du sie mir nicht erklären?" Er schüttelt wieder den Kopf, woraufhin ich fassungslos mit dem Stift in meinen Händen spiele. Was hat er? Wieso will er mir nicht einmal eine Aufgabe erklären?

"Ich mein das Ernst", raune ich, "Ich verstehe das nicht und du kannst es mir erklären. Bitte", versuche ich es wieder. Er packt ein Blatt und schiebt es zu mir, woraufhin ich dieses verwirrt mustere und feststelle, dass er mir seine Lösungen dazu gegeben hat.

Genervt kritzle ich eine Nachricht auf sein Blatt.
Ich will das nicht abschreiben. Ich will das verstehen.

Damit gebe ich ihm das Blatt zurück. Er will es wohl gerade verstauen, als ihm meine Nachricht auffällt. Er liest sie sich durch, und antwortet dann darauf.

Dann frag jemand anderen.

Als ich den kurzen Satz gelesen habe, blicke ich zu ihm auf und sehe direkt in seine Augen. Seine Miene ist kalt und seine Augen funkeln voller Abweisung.

"Was ist dein Problem?", frage ich leise, "Hab ich dir was getan oder so?"
Kaum habe ich zu Ende gesprochen, geht die Klingel los, die zum Mittagessen einlädt. Jungkook steht auf, packt seine Blätter ein und stürmt dann ohne weiteres aus dem Raum. Ich dagegen bleibe verwirrt sitzen und sehe ihm nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwindet.

Kopfschüttelnd stehe ich ebenfalls auf und räume mein wenig benutztes Mathezeug weg. Während die Meisten bereits das Zimmer verlassen, lasse ich mir Zeit mit einpacken, als plötzlich eine helle Stimme erklingt.

"Hey!" Fragend sehe ich auf und blicke in das Gesicht von Jimin. Er schenkt mir ein verlegenes Lächeln und fährt sich durch die oragenen Haare. "Nimm es nicht persönlich", meint er ruhig. Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt, fügt er hinzu: "Das mit Jungkook..."

Ich runzle die Stirn. "Was hat er denn?", frage ich direkt. Jimin seufzt und zuckt hilflos mit den Schultern.

"Er hasst das Reden."

Stutter [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt