Jungkook
Mein Atem geht keuchend, meine Beine schmerzen und auch meine Lunge brennt wie Feuer. Trotzdem verlangsame ich mein Tempo nicht, während ich seit gefühlten Stunden durch die Stadt renne, als sei jemand hinter mir her.
Die Strecke, die ich sonst immer mit dem Bus zurücklege, renne ich nun zu Fuss, so schnell ich kann. Ich habe nicht darauf geachtet, zur Bushaltestelle zu laufen und dort noch überflüssigerweise auf einen Bus zu warten.
Ich war so darauf fixiert, zu flüchten, dass ich einfach los gerannt bin, so schnell ich konnte, dass mir ja keiner nachkommt und vor allem nicht Taehyung. Und selbst jetzt, wo alles in mir nach Erholung schreit und meine Beine vor Überanstrengung und Erschöpfung beinahe zusammenzubrechen drohen, drossle ich mein Tempo keine Sekunde lang. Ich hetze weiter, zwischen den Leuten hindurch, nur daran denkend, so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen.
Verdammt, wieso kann ich nicht einmal eine einfache Zahl über die Lippen bringen? Die Lösung für diese dumme Aufgabe wäre ein 4x gewesen, nicht einmal das schaffe ich. Viel lieber haue ich so schnell wie möglich ab. Wieso wollte diese dämliche Frau auch nicht kapieren, dass ich ihr diese Lösung nicht sagen will? Jeder meiner Lehrer weiss, ich beteilige mich nicht am Unterricht und jeder kennt auch den Grund dafür.
Natürlich werde ich manchmal aufgefordert, aber es reicht, ein Kopfschütteln von mir zu geben, damit ein anderer gefragt wird. Wieso wollte sie mich diesmal praktisch zwingen? Wieso konnte sie nicht verstehen, dass ich mich nicht so blamieren will, dass ich keine Schwäche vor Taehyung zeigen will?
Taehyung... Toll, dem schulde ich auch noch eine Erklärung.
Was soll ich ihm denn bitte wieder sagen? Ich hatte Angst, die falsche Lösung zu sagen und bin deshalb vor Angst abgehauen? Klar, dann hält er mich ja für völlig verrückt.
Ich schluchze beinahe auf, vor Erleichterung als ich in unsere Strasse einbiege und unser Haus weiter vorne erkenne. Ich achte nicht mehr auf die Autos, die vorbeifahren, als ich darauf zu renne. Dementsprechend kann ich nur noch knapp ausweichen, als ich das Hupen eines Autos vernehme und dieses direkt auf mich zufahren sehe. Es bremst scharf, ich stolpere zur Seite und eile weiter, ohne darauf zu achten, dass der Typ das Fenster hinunter fährt und mir eine Standpauke hält, von Weitem.
Ich stolpere am Ende meiner Kräfte die Stufen zur Haustür hinauf, öffne die Tür und komme erst im Eingangsflur nach Luft japsend zum Stehen. Mein Herz rast und hämmert dadurch schmerzhaft gegen meinen Brustkorb, als wolle es hinausspringen, ich habe das Gefühl, nicht genug Luft in meine Lungen zu bekommen, und alles fängt an, sich zu drehen. Jetzt, wo ich mich nicht mehr aufs Rennen konzentriere, nehmen die Schmerzen in Beinen und Lunge Überhand und ich wimmere erstickt, während ich immer noch keuchend nach Luft schnappe.
"Jungkook?", höre ich die Stimme meiner Mutter, "Du bist schon hier?"
Geräuschvoll lasse ich die Haustür zu schwingen, schaffe es allerdings nicht, zu antworten. Meine Stimme versagt komplett, stattdessen hole ich weiter pfeifend Luft und sehe, wie sie den Eingangsflur betritt. Die Verwunderung in ihrem Gesicht, aufgrund meiner verfrühten Rückkehr wird mit Sorge ersetzt, kaum sieht sie die Tränenspuren aufgrund der Schmerzen und wohl auch meinen gesamten, restlichen Anblick.
Meine Mum endlich zu sehen, sorgt dafür, dass die Tränen nicht nur dank der Schmerzen in mir aufsteigen, sondern auch vor Verzweiflung. Bevor sie überhaupt weiss, wie ihr geschieht, stolpere ich schon auf sie zu, mit einem erstickten "M-m-Mum!" und schlinge aufschluchzend die Arme um sie.
"Jungkook, was ist denn los?", fragt sie hörbar überrascht, bevor ich spüre, wie sie ihre Arme ebenfalls um mich legt und mir sanft über die Haare streicht, so wie früher, wenn ich mich heulend in ihre Arme begeben habe und Trost gesucht habe.
Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr vor ihr geweint, es ist bestimmt Jahre her, seit ich das letzte Mal ihre Nähe aufgrund meiner Verzweiflung oder Schmerzen gesucht habe, aber jetzt, wo ich es erstmals wieder tue, tut die Liebe, die sie alleine schon ausstrahlt mehr als gut. Ich fühle mich verstanden und akzeptiert, so wie ich nun mal bin. Und das habe ich gerade am Dringendsten gebraucht.
Meine Schluchzer werden mit einem Mal nur noch lauter, meine Tränen wollen nicht mehr aufhören und ich festige den Griff um den zierlichen Körper meiner Mutter ein kleines bisschen. Früher, als ich noch Sieben oder Acht war, war Mum grösser als ich, doch jetzt ist es ihr Gesicht, dass an meiner Brust versteckt wird, während ich bloss den Kopf senke und sie an mich drücke.
"Jungkook?", versucht sie es ein weiteres Mal sanft und ich gebe nur ein klägliches "Hmm?", von mir. "Was ist los?", wiederholt sie ihre vorherige Frage leise. Schniefend gebe ich zurück: "W-wieso ka-kann ich n-ni-nicht wie an-deren J-jungs se-sein? Wa-war-um m-m-muss i-ich sto-stottern?"
Ich höre, wie sie seufzt und sich dann vorsichtig von mir wegdrückt. Wenn auch widerwillig lasse ich dies geschehen und sehe hinab, in ihr Gesicht. Meine Mum ist eine schöne Frau, mit dunklen Augen, genauso dunklen, mittellangen Haaren, einer zierlichen Statur und dem schönsten Lächeln, dass ich kenne.
In diesem Moment schenkt sie mir ein solches Lächeln, ein sanftes, aufmunterndes und doch so strahlendes Lächeln, mit einem Blick voller Liebe, der mich nicht ganz so kläglich und selbsthassend fühlen lässt. "Von allen Leuten, die es hätte treffen können, stotterst ausgerechnet du, weil du stark genug bist, dieses Leiden in deinem Leben zu ertragen, Jungkook", murmelt sie, platziert ihre Hände an meinen Wangen und wischt so die verbliebenen Tränen weg. Anschliessend stellt sie sich auf die Zehenspitzen und zieht meinen Kopf zu sich hinab, sodass sie meine Stirn küssen kann.
"Du magst es als Schwäche ansehen, du magst dich dafür schämen, aber eigentlich bist du dadurch tausendmal stärker als jeder andere, Jungkook. Du kannst nichts dafür, wozu solltest du dich schämen? Wer dich nicht so akzeptiert und mag, wie du bist und das ist auch mit deinem Stottern, der ist nicht menschlich. Du bist perfekt, auf deine eigene, spezielle Art und Weise."

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Stutter [Vkook]
FanfictionEr redet nicht. Das ist wohl das erste, was Taehyung einfällt, wenn man ihn fragt, wie sein neuer Tischnachbar ist. Er scheint nicht einsam zu sein, bloss sehr schweigsam. Was Taehyung nur nicht weiss, ist, dass es Jungkook sehr schwer fällt, zu s...