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Jungkook

Etwas lustlos stochere ich im Salat vor mir herum und versuche, meine Gedanken nicht ständig zu diesem Jungen von heute abschweifen zu lassen.

Wie hat er sich noch gleich vorgestellt? Taeyang? Irgendetwas in dieser Art auf jeden Fall.

"Hallo-ho, Erde an Kookie", trällert nun Jimins Stimme und ich schrecke hoch. Der Ältere sieht mich mit schief gelegtem Kopf an und seine Hand wedelt hektisch vor meinem Gesicht umher, bis ich sie energisch wegschlage.

"Was?!", bringe ich angestrent und genervt hervor, froh darum, dass es auch einsilbige Worte gibt, bei denen nicht einmal ich viel falsch machen kann.

Er seufzt und stützt seinen Kopf auf der Hand ab. "Na, wie war dein Schultag?", will er wissen. Dabei muss ihm schon längstens klar sein, wie unwohl ich mich gefühlt habe. Dieser Kerl neben mir hat es praktisch darauf abgesehen, ein Gespräch mit mir zu führen und da bin ich wohl wirklich der Falsche.

"W-wie wo-wohl?", zische und und verkrämpfe mich dabei. Augenverdrehend denke ich daran zurück.
Bevor dieser Typ aufgetaucht ist, war alles gut. Ich hatte Jimin und Namjoon und alles war in Ordnung. Ich hatte einen Pult für mich, keiner hat mich gestört und jetzt hockt sich dieser Schnösel da hin und versteht nicht, dass ich kein Interesse an einem Gespräch habe.

Na gut, Interesse hätte ich vielleicht schon...
Ich habe nur schreckliche Angst. Ich kann keinen, noch so kleinen Satz hervorbringen, ohne fürchterlich zu stottern. Ich schäme mich so verdammt sehr wegen dem, dass ich regelmässig das Vorsingen in Musik schwänze. Meine Noten in dem Fach sind tief im Keller und das obwohl ich gerne singe.

Aber eben nur in meinem Zimmer, wenn mein Gestottere niemand ausser mir hören kann.

Immerhin zählt Musik bei mir nicht, auch wenn mein Lehrer mich beim Vorsingen hören will. Und deswegen tauche ich nie auf, wenn eines ansteht.

"Was ziehst du denn für ein Gesicht?", erklingt Namjoons ruhige Stimme. Langsam schaue ich von meinem Salat auf, und schaue in das Gesicht des Schülersprechers. Der Blonde sieht fragend auf mich herab und stellt sein Tablet neben das meine.

"Erzähl schon", fordert er mich auf, "Was ist los?"
Ich seufze und nuschle bloss: "T-tisch...n-nachb-bar" Nicht einmal ein Wort bringe ich ohne eine dumme Pause dazwischen zustande.

"Oh", meint Namjoon, "Er redet viel?"

"Er will vielmehr ein Gespräch mit Jungkook anfangen", erklärt Jimin glücklicherweise, "Dreh dich um, da hockt der Typ. Braunhaarig, gross, gebräunte Haut. Der Kerl ist verdammt heiss."

Namjoon und ich drehen uns um und sehen durch die Mensa, bis ich den Braunhaarigen entdecke. Er sitzt bei einigen Typen am Tisch, jedoch ziemlich abseits und tippt konzentriert auf dem Handy herum.

"Und der soll dir so den Tag vermiest haben?", fragt Namjoon. Jimin seufzt leicht. "Na ja, eher Kookie hat ihm den Tag vermiest", bemerkt er, woraufhin ich mich wieder zu ihm umdrehe. "Wie bi-bitte?!", hake ich verärgert nach.

Wer hat mir den die Bleistiftspitze in die Seite gebohrt? Wer konnte nicht verstehen, dass ich nicht reden möchte?

Das war er.

"Du warst schon ziemlich fies zu ihm", stellt Jimin ruhig klar. Ich verdrehe die Augen und lege meine Essstäbchen zur Seite. "Was h-hätte ich de-enn tun s-sollen?!", will ich wissen.

"Ein normales 'Hallo' hätte gereicht", meint der Orangehaarige beinahe missbilligend.
Das reicht.

Ich springe so schnell auf, dass mein Stuhl scheppernd umkracht. Mir ist egal, dass mich nun beinahe alle anschauen, meine Aufmerksamkeit gehört nur Jimin, der mich überrascht anblickt.
"No-normal?!", wiederhole ich so leise, dass er nur ein Zischen ist. Als Jimin realisiert, was er gesagt hat, weicht beinahe jede Farbe aus seinem Gesicht.
"Nein, Jungkook, so war das nicht gemeint!", rudert er zurück, aber da packe ich schon meinen Rucksack und stürme aus der Mensa.

Noch während ich vor meinem besten Freund und den vielen Blicken flüchte, spüre ich schon, wie mir die Tränen kommen, bis schliesslich die erste sich aus meinem Augenwinkel löst.
Ich kralle meine Fingernägel in meine Handballen, um sie zu unterdrücken, doch ich scheitere kläglich.

Stattdessen kommt mir auch der erste Schluchzer über meine Lippen. Verzweifelt stosse ich die Tür zum Männerklo auf und stolpere hinein. Meinen Rucksack lasse ich achtlos zu Boden plumpsen, bevor ich zu den Waschbecken taumle und mich an diesen festklammere.

Energisch wische ich meine Tränen an meinem Ärmel trocken, bevor ich langsam aufsehe, zum Spiegel und meinem Abbild darin, mit verheulten, roten Augen und einem verzweifelten Ausdruck in ebendiesen.

Normal.
Ein normales Hallo.
Normal.

Ich lache bitter auf, beim Gedanken an dieses Wort. Vielleicht führe ich ein normales Leben, sehe normal aus, verhalte mich normal.
Aber ich werde dennoch nie normal sein.
Einfach, weil ich nicht normal reden kann. Ich bringe kein normales Hallo über die Lippen.

Ich stottere, verflucht nochmals!

Ich weiss, Jimin hat es nicht so gemeint, aber es hat dennoch so verdammt weh getan. Wie damals, als sie mich für meinen Sprachfehler ausgelacht haben, als dumm bezeichnet haben.
Genauso hat es sich angehört zuvor.

Bedrückt schiebe ich einen meiner Ärmel hoch und mustere die verblassten, dennoch sichtbaren Narben auf meinem Arm. Sie gehen nicht mehr weg. Sie werden für immer auf meiner Haut haften, sie werden mich immer daran erinnern, dass ich nun mal nicht, wie die anderen bin.

Sie erinnern mich daran, wie oft ich damals geweint und gebetet habe, dieser Sprachfehler möge aufhören. Unzählige Therapien haben meine Eltern mir bezahlt, doch keine hat angeschlagen. Man sagte, in der Pubertät hört es vielleicht endlich auf, doch nichts hat sich verändert und mittlerweile bin ich 18.

Ich beisse mir auf die Unterlippe und schliesse die Augen.

Normal. Wie gerne wäre ich normal.

Noch während ich mit geschlossenen Augen am Waschbecken stehe, geht plötzlich die Tür auf und ich vernehme ein leises: "Ist alles in Ordnung?"

Bitte nicht.
Nicht der Trottel auch noch.

Stutter [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt