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Namjoons P.O.V.

Das Erste, was ich wahrnehme ist der Gestank. Es riecht nach Abfall. Nach Gülle. Dann die Kälte. Meine Sachen sind klamm und kleben an meiner Haut. Ein Steinchen drückt an meine Wange, die auf dem kalten Boden liegt. Ich niese und Schmutz wird aufgewirbelt. Ich niese erneut und öffne meine Augen. Über mir ist Stahl. Die Rückseite einer Brücke. Nachdem ich mich hochgehievt habe, taumele ich rückwärts, da mir kurz schwarz vor Augen wird. Ich kralle mich irgendwo fest und versuche mich zu ordnen.

Ich laufe an dem kleinen Kanal entlang, bis ich in der Dunkelheit einen Aufstieg zur Straße finde. Bevor ich die Böschung hinaufklettere, erleichtere ich mich an einem Strauch. Wie geht's jetzt weiter? Xiumin hat mich ganz offensichtlich hier ausgesetzt, damit ich sein Geld auftreibe. Gut. Und woher kriege ich jetzt soviel Geld in so kurzer Zeit? Es gäbe eine Möglichkeit. Eine, die schnell und einfach ist. Erschrocken über mich selbst, dass ich so etwas überhaupt in Betracht ziehe, verbanne ich den Gedanken schnell aus meinem Kopf. Das bisschen Würde, das mich davon abhält, besitze ich dann doch noch. Eine andere Möglichkeit wäre Jin. Vielleicht könnte ich zu ihm gehen und um Geld bitten? Aber, nein, das ist zu demütigend. Außerdem würde er wissen wollen wofür ich es brauche und das kann ich ihm nicht erzählen. Zu seinem Schutz. Also irre ich mehr oder weniger ziellos durch die Straßen. Vor einem kleinen Kiosk mache ich halt und grinse. Genau hier habe ich mir vor ein paar Wochen Einlass verschafft und ein wenig Geld mit genommen. Ok, um ehrlich zu sein alles. Leider war nicht viel da und ich musste mich mit ein paar tausend Won zufrieden geben. Meine Mundwinkel biegen sich allerdings schnell wieder nach unten, weil, eigentlich ist nicht witzig. Überhaupt nicht. Deshalb wurde ich schließlich von der Polizei gesucht oder werde es immer noch, ich weiß es nicht.

Ich schiebe meine Hände tief in die Hosentaschen und ziehe die Schultern gegen den Wind hoch. Einen Laden nach dem anderen lasse ich hinter mir, obwohl ich etwas zu essen schon vertragen könnte. Vom Trinken ganz zu schweigen. Vor mir erstreckt sich irgendein Park und hinter mir leuchtet der Mond. Ich suche mir eine Bank und setze mich darauf. Sie ist hölzern, mit gusseisernen Verzierungen. Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke in den dunklen Himmel. Sterne... Mond... Milchstraße...

Als ich aufwache, ist es schon fast hell und schnell rappele ich mich auf. Immer noch unschlüssig, was ich jetzt machen soll, jogge ich einfach in irgendeine Richtung um die Kälte aus meinen Gliedern zu vertreiben. Ich renne vorbei an Bäumen, Büschen, raus aus dem Park, Straßenlaternen, Häusern und plötzlich ist er vor mir. In ca. 30 Metern Entfernung steht Jin mit einem anderen Mann und redet auf zwei jugendlich Halbstarke ein. Abrupt bleibe ich stehen und verstecke mich hinter einer Hausecke. Was um alles in der Welt macht er da? Um diese Uhrzeit? In diesem Stadtteil? Ihn hätte ich hier am wenigsten erwartet anzutreffen. Ich beobachte die vier. Es scheint so, als ob Jin die beiden etwas fragt, doch plötzlich werden sie laut und machen aggressive Gesten. Jins Begleiter will ihn wegziehen, hat aber keinen Erfolg. Auch Jin wird lauter und geht einen Schritt auf die beiden Jugendlichen zu, als einer auf einmal seine Faust schüttelt und zuschlägt. Jin taumelt zurück und hält sich die Nase.

Ich sehe rot. Wütend gehe ich von hinter der Ecke hervor und auf das Szenario zu. Ich schubse den Typ, der noch einmal seine Faust gegen Jin erheben wollte, weg und schlage mit voller Wucht in sein von Pickeln besetztes Gesicht. Überrascht schreit er auf und stolpert rückwärts. "Verpisst euch!", knurre ich. Der andere lacht gehässig. "Was willst du denn jetzt? Misch dich nicht ein!" Ich gehe auf ihn zu und packe ihn am Kragen. Leise zische ich ihm etwas ins Ohr und er erblasst. Dann stoße ich ihn weg und er fällt zu Boden. Er kriecht rückwärts von mir weg, rappelt sich auf und rennt weg. Der, mit der Akne steht noch unschlüssig rum und blickt mich zweifelnd an. Ich mache einen Schritt auf ihn zu. "Buh.", sage ich. Er zuckt zusammen, macht einen Schritt zurück und fällt dabei über einen auf dem Boden liegenden Ast. Ich gehe zu ihm, ziehe ihn an der schwarzen Jacke hoch und hebe meine Hand. Er kneift ängstlich die Augen zusammen und dreht den Kopf zur Seite. Doch ich schlage nicht zu, sondern lasse ihn los und knurre nochmal: "Verpiss dich!"

Als er ebenfalls, wie sein Freund, das Weite gesucht hat, drehe ich mich zu Jin um. Er lächelt mich an. "Ich wusste, du würdest zurückkommen." Ich schüttele nur den Kopf und deute auf den stillen, brünetten Mann. "Und wer ist er?" "Das ist Jimin. Er ist Polizist. Eigentlich müsstest du ihn kennen von der ... Kontrolle damals." "Aha", sage ich einfach nur, "Und was macht ihr hier?" "Wir haben dich gesucht." "Toll, jetzt habt ihr mich gefunden und könnt wieder nach Hause gehen." Bevor Jin etwas erwidern kann, mischt sich Jimin ein: "Also ich weiß ja nicht, warum du gegangen bist und warum du plötzlich hier auftauchst und zwei Jugendliche vertreibst oder warum du nur ein T-shirt trägst bei diesen Temperaturen, aber Jin hat sich die ganze Zeit über große Sorgen gemacht. Um dich. Warum auch immer. Und jetzt bist du so abweisend?! Warum Namjoon?" Wütend blicke ich ihn an. "Und was geht dich das an?", zische ich und balle meine Hand zur Faust. Da legt Jin seine Hand auf meinen Arm und blickt mir traurig in die Augen. "보고싶다.", sagt er. "Ich vermisse dich." Ich blicke ihn an und gehe einen Schritt zurück. Dann drehe ich mich um und gehe. Einfach so. Wortlos.

Another Day // Namjin ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt