Melissa Naomi McCartney

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Als ich ins Zimmer kam, war Annabeth schon da und zeichnete Gebäude an ihrem Schreibtisch. Ich biss in meinen Apfel und warf ihn dann in den Müll. Die Federn meines Bettes quietschten, als ich mich darauf warf. Mit einem Griff packte ich meinen Zeichenblock.

"Weißt du, Annie", provozierte ich und öffnete ihn. "Jessie hat mir erzählt, dass es im nächsten Freizeitpark eine neue Attraktion gibt: Ein Freefalltower."

"M-hm", murmelte sie und drehte ihr Blaupapier.

Ich legte die erste Zeichnung links von mir auf das Bett--die würde ich später in einen Hefter legen. Das nächste war bloß eine unvollständige Skizze, also knüllte ich das Papier zusammen und warf es Richtung Mülleimer.

"Tor!", rief ich und wandte mich wieder Annabeth zu, während ich weiter aussortierte. "Ich wollte fragen, ob wir mal dorthin wollen?"

"M-hm", machte sie und beachtete mich nicht weiter. Ich beobachtete sie skeptisch, aber sie ignorierte mich einfach. Seltsam.

Ich machte weiter mit Sortieren bis ich im eigentlichen Block angekommen war. Was ich dort fand, machte mich misstrauisch, denn es gehörte nicht mir.

Es war eine Postkarte, an der mit Tacker ein Foto befestigt war. Das Datum auf der Karte wies ein Datum aus dem Herbst vom letzten Jahr auf.

Das Foto zeigte zwei Personen vor einer Hütte, vor ihnen der Strand und hinter ihnen Wald. Person Nummer 1 war eine Frau mittleren Alters mit braunen Haaren und einem freundlichen Lächeln.

Person Nummer 2 war ein Typ mit schwarzen, zerzausten Haaren. Er saß grinsend vor der Frau--vermutlich seine Mutter--und machte das Peace-Zeichen. Er sah eigentlich ganz gut aus, war allerdings noch zu jung für mich (zumal ich ihn nicht kannte). Dann fiel mir ein, dass er mittlerweile in meinem Alter sein müsste. Ich drehte die Karte um und las.

Hey Neunmalklug,

Mom hat uns die Hütte wieder gemietet! (Ich hoffe bloß, diesmal bleibt Grover im Camp.) Dein Ausflug nach Washington wird sicher super, schick uns unbedingt eine Postkarte.

Bis zum Sommer, Percy

PS.: Das Ganze musste natürlich ich schreiben, Annabeth. Ich wünsche dir alles Gute und ein schönes restliches Jahr, mein Schatz - Sally

Ich begann, eins und eins zusammenzählen. Die Karte gehörte offensichtlich Annabeth, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie sie in meinem Block gelandet war. Sie hatte einmal von einem Onkel erzählt, dessen Familie tot war, und von einer Tante und ihrem Sohn. Konnten das ...

"Annabeth, du hast doch einen Cousin, oder?", fragte ich.

Ihr gesamter Körper spannte sich an und als sie sich umdrehte, zog sich Schreck über ihr Gesicht. "Was?"

Ich hielt die Postkarte hoch. "Sind das deine Tante und dein Cousin?"

Als sie die Karte sah, entspannte sie sich einen Moment sichtlich, bevor sich ihr Gesicht wieder schreckhaft verzog und sie aufsprang. Es war irgendwie lustig, dass zu beobachten.

"Woher zum Hades-" Sie riss mir die Karte aus den Händen und untersuchte sie auf Risse oder irgendetwas, die ich ihr zugefügt haben könnte. Auch das sah ziemlich lustig aus und ich biss ein Lächeln zurück.

"Das sind doch nicht Magnus und ... das ist Percy!", sagte sie zu mir und verstaute die Karte sorgfältig als wäre es eine Bombe in einem Hefter und ihr Blick blieb für einige Sekunden an dem Bild hängen.

"Du benimmst dich komisch", sagte ich schließlich. "Das sieht lustig aus. Wer ist Percy?"

"Mein--bester Freund.", sie zwang die Worte regelrecht heraus und eine Ahnung schlich sich in meine Gedanken. "Er wohnt in New York. Das hier ist schon ein Jahr her. Wir haben uns vor zwei Jahren in meinem Sommercamp getroffen."

Ich lächelte unschuldig, aber innerlich rieb ich mir die Hände. Es war also doch passiert-- "Hast du ein aktuelles Foto?" Sie zögerte keinen Moment und nickte. "Darf ich es sehen?"

Ihre Wangen wurden ein wenig rot und sie fummelte nervös ein Foto aus ihrer Hosentasche. Ich musste mich schwer zurückhalten, damit ich nicht laut Muahaha! machte. Here comes the blackmail ...

Das Foto musste schon oft auf- und zugefaltet worden sein. Es zeigte Annabeth und den Percy-Typen vor einer riesigen Fichte. Hinter ihnen saß ein ziemlich großer, goldener Hund mit dunklen Augen und starrte eine Matte an, die vom Baum herunterhing. Seltsam. Annabeths Aussehen verriet mir, dass das Foto nicht allzu alt sein konnte.

Der Typ mit den zerzausten, schwarzen Haaren war wirklich gut aussehend jetzt; er hatte meergrüne Augen, braune Haut und war ein wenig größer als Annabeth. Er hatte einen muskulösen Arm um Annabeth geschlungen, lachte in die Kamera mit strahlend weißen Zähnen. Ich sah befriedigt, dass Annabeth auf dem Foto ein wenig rot war.

"Mhm", machte ich grinsend und gab ihr das Foto zurück. "Sieht toll aus, dein Percy-Freund."

Sie wurde knallrot. "Nein!", protestierte sie. "Ich meine, ja, aber, nein, aber, ich meine, das ist mir gar nicht aufgefallen."

"Aha", sagte ich. "Überhaupt nicht."

"Nein." Sie verschränkte trotzig die Arme.

Ich zuckte mit den Schultern und holte meinen Mathehefter aus dem Rucksack. "Da", sagte ich. "Die Hausaufgaben sind ganz vorn drin.'

Sie starrte mich an und griff nach dem Hefter. "Soll ich kontrollieren?"

"Nein." Ich verdrehte die Augen. "Du sollst sie machen."

"Nein", widersprach sie sofort. "Das sind deine."

"Ach, tu dir keinen Zwang an."

"Melissa Naomi McCartney, mach deine Hausaufgaben gefälligst selbst!"

Normalerweise wäre ich jetzt wie ein Hundewelpe winselnd zurück gewichen--sofern ich mir diese Frechheit überhaupt getraut hätte. Aber heute lächelte ich bloß.

"Ach, du willst sie nicht machen?", fragte ich.

"Nein!"

"Bist du sicher?"

"Natürlich!"

"Ganz sicher?"

"Ja!" Sie drückte mir den Hefter in die Hand.

Ich zuckte mit den Schultern. "Also soll ich allen von deinem Schwarm erzählen?"

Sie wurde blass. "Was?"

"Dein Schwarm. Percy", sagte ich. "Ich erzähle allen von ihm, wenn du willst."

"Nein!", sagte sie hastig. Dann grinste ich und ihr wurde ihr Fehler klar. "Okay, erwischt", seufzte sie. "Aber bitte nicht erzählen."

"Dann mach meine Hausaufgaben, Lovergirl."

Sie funkelte mich böse an, hob den Hefter auf und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. "Wegen einer Postkarte, wirklich, Annabeth", murmelte sie zu sich selbst. "Das kann doch nicht sein!"

Tja, das war das erste Mal seit drei Monaten, dass meine Mathehausaufgaben komplett richtig waren.

Percabeth One-ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt