Es war dunkel.
Meine Hände zitterten, aber ich griff nach den Leitersprossen, die gerade in die Dunkelheit hinein führten. Der Fuß hob sich und ich erkannte, dass ich rund drei Meter über dem Boden war.
Großartig, dachte ich. Dann fehlen ja nur noch an die siebzig Meter. Einfach.
Ich kicherte ein wenig, denn, jeder braucht etwas Freude im Leben. Nicht, dass es die richtige Situation dafür war, immerhin schwebten meine Freunde in Lebensgefahr. Aber trotzdem.
Im kurzen Lichtschein kletterte ich weiter und raute mir die Hände am Rost auf. Der Fuß senkte sich wieder und ich wurde nach hinten geschleudert. Mein Kopf kollidierte mit dem harten Metall von Talos' Unterschenkel und ich sah Sternchen.
Dann erhellte ein silberner Schein den Hohlraum und der Schmerz wurde zu einem dumpfen Brummen. Der Segen der Artemis. In all dem Chaos mit Nico, Annabeth und Talos hatte ich beinahe vergessen, dass ich einen Segen trug.
Ich kletterte weiter und weiter, ein Zeitgefühl hatte ich längst verloren, und der Lichtschein, wenn Talos den Fuß hob, war nur ein sanftes, schwer erkennbares Leuchten viele, viele Meter unter mir.
Meine Angst nahm mit jedem Schritt zu, aber ich ging weiter. Ich musste diejenige sein, die hier starb, meine Freunde durfte ich nicht mit in den Tod reißen. Sie hatten es verdient, ihren eigenen persönlichen Auftrag zu erfüllen.
Irgendwann, als das Licht nur noch ein Kreis von zwei Zentimetern Durchmesser war, spürte ich Leere um mich herum. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich etwas bewegen sollte, ohne etwas zu sehen. Ich hatte gedacht, es gäbe einen Lichtschalter oder das Ding hier wäre wunderbarerweise beleuchtet, die Augen wären wie eine Art Scheibe bei Autos--obwohl ich das nicht ausschließen konnte, denn sie war so dick mit Staub bedeckt, dass nicht ein Körnchen Licht in diesen Hohlraum fiel.
Ohne große Hoffnung begann ich, zu meinem Vater und Artemis zu beten, dass sie mir halfen. Aber Artemis war gefangen und ob sich mein Vater noch um mich kümmerte, nachdem ich siebzig Jahre im Lotos Kasino verbracht hatte, wusste ich nicht. Theoretisch war nicht mal sicher, dass ich ohne das Hotel noch leben würde, wenn man diese Große Prophezeiung und mein Alter bedachte.
Ich schüttelte den Kopf, damit ich diese wirren Gedanken loswurde. Plötzlich fiel mir ein Licht auf, dass von meinen Händen ausging. Ich hob sie auf Augenhöhe und mir klappte vor Überraschung der Mund auf. Dunkles, kaltes Feuer waberte wie Nebel von meiner Hand durch den Raum. Es hatte keinen Rauch und ich wusste, dass es alles nur noch dunkler machte--aber trotzdem sah ich. Als ob meine Augen sich in Nachtsichtbrillen verwandelt hätten.
An den Wänden hingen Baupläne von den kuriosesten Teilen des Riesen, darunter waren einige interessante Notizen über Sonderkräfte zu erkennen. Auf dem Boden lag neben Staub und Schmutz in Tonnen auch einige Werkzeuge und sogar ein oder zwei Nachbildungen des Riesentalos.
Ich stolperte einige Schritte vorwärts, als Talos wieder heftig auftrat. Von draußen hörte ich Rufe und Schmerzensschreie. Das brachte mich wieder zur Besinnung und ich erinnerte mich an meine Aufgabe. Ich ignorierte das seltsam kalte Feuer an meinen Händen und suchte das Schaltpult.
Das erste was mir auffiel, war ein großer Knopf mit der Aufschrift: Automatische Verteidigung, der offensichtlich nach unten gedrückt war. Fieberhaft suchte ich das Pult ab, aber ich sah keinen Abschaltknopf. Ich versuchte den Knopf wieder herauszuzerren, aber es funktionierte nicht. Großartig. Einfach großartig.
Vor Wut hob ich einen Schraubenzieher auf und schleuderte ihn auf den Knopf. Kein erfolgbringendes Ergebnis. Welch Überraschung.
Ich suchte die Schalttafel weiter ab. Es gab wirklich kein winziges Knöpfchen, dass mir helfen könnte. Außer ...
Aufgeregt und trotzdem voller Angst schlug ich mit den Schraubenzieher gegen das Scheibenauge. Noch mal. Noch mal. Kleine Splitter fielen ab, aber sonst tat mir nur der Arm weh. Ich hob einen Mini-Talos auf und schleuderte ihn. Nichts.
Verzweifelt sprang ich auf den Drehstuhl, der sinnloserweise dort herum lag und rammte meine Schulter gegen die Scheibe. Ich wimmerte vor Schmerzen, aber das Glas hatte ein wenig nachgegeben. Ich warf mich noch einmal mit der anderen Schulter dagegen. Noch ein Knacks.
Vor Schmerzen keuchend hob ich den Stuhl auf Brusthöhe und schlug ihn gegen das Glas. Splitter schlugen mir ins Gesicht und ich schützte mich mit meinem rechten Arm.
Endlich sah ich meine Freunde. Talos jagte Grover. Percy wollte ihn ablenken, aber der Riese hatte sein Ziel anvisiert.
Ich wandte den Blick ab und suchte das Gebiet ab. Ich hatte vorhin nicht genau mitgekriegt, was passiert war, aber ich dachte, Strommasten und Kabel gesehen zu haben.
"Bingo", flüsterte ich und bewegte ruckartig den Hebel, der für die Bewegung zuständig war, nach links. Talos erstarrte einen Moment und taumelte dann zur Seite. Ich nahm den Minihebel nach oben und das Schwert hob sich hoch in die Luft.
Von außen hätte er mich an die Freiheitsstatue in New York erinnert, die ich von Apollos Sonnenwagen aus gesehen hatte.
Die Strommasten kamen näher. Die Hebel wurden kälter als Eis und ich hob einen Moment die Hände, damit sich das Metall wieder erwärmen konnte.
Etwas nagte an meinem Unterbewusstsein, als ich das kalte Feuer betrachtete. Etwas, dass ich mit meinem Vater in Verbindung bringen konnte.
Damals, als ich noch mit Nico und meiner Mutter in Italien zusammengelebt hatten, hatte ich in der Schule gelernt, wie die Christen sich den Tod vorstellen. Meine Erinnerungen daran waren verschwommen, aber ich glaube, man kam entweder in den Himmel--die Guten--oder in die Hölle--die Bösen. Möglich war aber noch das Fegefeuer, wo man seine bösen Taten bereuen konnte und doch noch in den Himmel kam. Beim Anblick des dunklen Lichtes fragte ich mich, ob die Griechen so etwas auch hatten.
"Höllenfeuer", flüsterte ich.
Ich wurde wieder in die Gegenwart geschleudert, als Talos über einen Masten stolperte. Vor Angst drehte sich mein Magen um, das war noch schlimmer als die Fahrt mit Apollo. Ich kam mir vor wie in einem Fahrstuhl, der zu schnell nach unten fuhr. Ich fiel.
Draußen flogen Schrotthügel, der Himmel und meine Freunde als buntes Gewirr vorbei. Meine Füße berührten den Boden nicht mehr. Dann kam Talos plötzlich auf dem Boden auf und ich wurde auf die Knie geschleudert. Blaue Funken tanzten um mich herum, als sich die Elektrizität durch den Metallriesen fraß. Mein Herz pumpte zu schnell wegen der zusätzlichen Energie und Anstrengung. Meine Kleider rauchten. Das war pure Folter.
"Höllenfeuer", wiederholte ich leise und zog meine Hände näher zu mir. Augenblicklich wurde mir kälter und der Strom wurde in meine feurigen Hände gesaugt.
Meine Haut brannte wie Feuer. Meine Haare rauchten, waren aus ihrem Zopf gelöst und standen sich kräuselnd von meinem Kopf ab. Ich verlor jegliches Gefühl in meinem Körper und atmete zittrig ein.
Das Gefühl von Kälte brannte sich in meine Brust, wanderte tiefer in mein Herz und zerrte an meiner Seele. Tränen brannten auf meinen Wangen und hinterließen knallrote Streifen der Verbrennung. Ich tat einen letzten Atemzug und ließ meine Seele los, das einzigste, was mich mit dieser Qual verband.
Als ich starb, galt mein letzter Gedanke nicht Artemis, Zoë, Thalia, Grover oder irgendeiner Jägerin. Dieser Platz gehörte auch nicht dem baldigen Pärchen Percy und Annabeth, nein.
Mein letzter Gedanke galt Nico.
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Percabeth One-Shots
FanfictionSüße, kleine One-Shots über das berühmteste Halbgottpärchen unserer Zeit. Götter, Halbgötter und Sterbliche treffen auf Percy Jackson und Annabeth Chase. Neuestes Kapitel: Lilith Talamonté trifft das entspannteste Pärchen aller Zeiten. *** Mit frei...