Papagei

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Ich war nicht zu Snape gegangen. Alleine deshalb, weil ich keine Lust mehr hatte irgendwo anders hinzugehen als ins Badezimmer oder ins Bett.
Am nächsten Tag hatte ich zum Glück auch kein VgddK, weshalb ich ihm auch erstmal nicht gegenübertreten musste.
Meine Schritte hallten als einziges Geräusch in dem Korridor wider, in den Stockwerken, in denen sich kein Gemeinschaftsraum befand, war am Nachmittag und am Abend fast nie jemand.
Jeden Tag ging ich den selben Weg, jeden Tag sah ich die selben Bilder, jeden Tag erzielte ich den selben Fortschritt.
Ich hatte den siebten Stock erreicht, der Eingang zum Raum der Wünsche befand sich nur drei Korridore vom Treppenaufgang in das Stockwerk.
Ich verlangsamte meine Schritte und wurde leiser, da sich der Gemeinschaftsraum der Gryffindors ebenfalls in der Nähe befand.
Ich bog um die zweite Ecke und konnte bereits einen der beiden Wasserspeier sehen, als ich plötzlich leise Schritte und schwaches Geflüster von genau dort vorne wahrnahm.
Erschrocken blieb ich stehen und lauschte nach weiteren Geräuschen, doch es kamen keine weiteren.
Wer war dort vorne um die Ecke? Draco konnte es nicht sein, ich hatte ihn noch vor ein paar Minuten im Gemeinschaftsraum gesehen und würde er einen anderen - schnelleren - Weg nach oben kennen, hätte er ihn mir verraten.
Ich schlich bis zum Wasserspeier und schaute vorsichtig um die Ecke. Wen ich dort sah, war Harry, der mit seinem Tarnumhang in der Hand, weil diese unsichtbar war, vor der scheinbar leeren Wand stand.
Schnell sprang ich einen Schritt zurück und drückte mich an die Wand, um mögliche Schatten von den Lampen, die in seine Richtung geworfen wurden, zu verhindern.
Was machte er hier oben? Klar, letztes Jahr war er dauernd im Raum der Wünsche, aber diese Unternehmungen waren mit dem Ende des Schuljahres aufgeflogen. War er uns etwa auf die Schliche gekommen? Wenn doch genau Harry fast die Nummer eins auf der Liste war, vor denen wir das geheim halten sollten?
Etwas panisch überlegte ich was ich tun sollte. In den Raum der Wünsche zu flüchten war nun keine Option. Was wenn Harry mich gesehen hatte und jeden Moment im selben Korridor auftauchen könnte?
Ich entschied mich wieder so schnell wie möglich zu verschwinden und lief los in Richtung Treppe. Vielleicht dachte er dann, es wäre nur ein anderer Gryffindor auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum.

Erst im Kerkergeschoß unten wurde ich langsamer, um wirklich sicher zu sein, dass Harry mir nicht gefolgt war.
Ich lehnte mich einen Moment an die Mauer, um wieder Luft zu schnappen, da ich von dem Laufen ein bisschen außer Puste gekommen war.
"Hat Ihnen etwas den Atem geraubt, Lucie?", fragte jemand ein paar Meter weiter. Snape stand in der Tür zu seinem Büro und sah mich an. "Sie sind doch nicht etwa durch das Gebäude gerannt? Denn Sie wissen doch hoffentlich, dass das grundsätzlich nicht erlaubt ist"
"Nein, Sir, bin ich nicht", log ich.
"Kommen Sie bitte in mein Büro", forderte er mich auf und trat zurück in den Raum, doch er ließ die Tür offen.
Widerwillig ging ich ihm nach, irgendwie war es klar, dass ich seinem Willen, mich zu sprechen, nicht lange ausweichen konnte.
Ich schloss die Tür hinter mir, blieb allerdings bei ihr stehen. Snape hatte mir den Rücken zugekehrt und sortierte etwas in den Regalen an der Seite.
"Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie soeben - obwohl Sie es mir versichert haben - acht Stockwerke in Rekordzeit durchquert haben?", fragte er mich. "Ich habe Sie vor wenigen Minuten den Gemeinschaftsraum verlassen sehen und mein logischster Schluss wäre gewesen, dass Sie vorhatten, in den Raum der Wünsche zu gehen. Dürfte ich erfahren, was Sie davon abgehalten hat?"
"Harry Potter war im selben Korridor wie der Eingang zum Raum der Wünsche", antwortete ich.
"Verstehe", meinte Snape und ging zu einem anderen Regal. "Sie hätten sich ohne weiteres vor ihm verteidigen können. Vielleicht wäre es Ihnen leichter gefallen, wenn Sie nicht alleine gewesen wären."
"Crabbe und Goyle müssen Nachsitzen, Sir.", sagte ich, langsam fühlte ich mich wie in einem Verhör.
"Oh, aber wie ich vor wenigen Monaten bereits von Ihrem Bruder erfahren habe, haben Sie beide noch andere Leute auf Ihrer Seite, oder nicht?", meinte Snape. "Sie sind ebenfalls töricht genug wie Draco, um einen Versuch zu wagen ohne Begleitung nach oben zu gehen und zu riskieren entdeckt zu werden."
Ich sagte nichts und schaute irgendwo in eine Ecke, nur nicht zu Snape.
"Warum glauben Sie versuche ich Ihnen Hilfe anzubieten?", fuhr er fort. "Sehen Sie mich wenigstens an, wenn ich mit Ihnen rede"
Ich zwang mich dazu eine eher ausdruckslose Miene aufzusetzen und drehte mich zu Snape.
"Ich hatte immer gedacht, Sie wären die Unabhängigere von Ihnen beiden, Lucie.", sagte er ruhig. "Aber schlussendlich stellte sich für mich heraus, dass Sie, mehr als Sie zugeben wollen, wie ein Papagei des Bruders sind, und der wiederum wie der des Vaters. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass für Ihr gestriges Nichterscheinen Draco verantwortlich war."
Jetzt sah Snape mich mit einem durchdringenden Blick an.
"Ich biete Ihnen ein letztes Mal meine Hilfe an, wenn Sie mir im Gegenzug nur verraten, welches Vorhaben Sie im Raum der Wünsche erledigen", bot er an.
"Nein", sagte ich. "Danke, Sir, aber wir benötigen keine Hilfe."
Ein paar Sekunden vergingen, in denen ich mich bemühte für einen Moment alles fallen zu lassen.
"Ah, natürlich", brach Snape das Schweigen. "Natürlich hat Tante Bellatrix auch Ihnen Okklumentik beigebracht"
Weitere Sekunden vergingen, vermutlich wartete er darauf, dass ich doch etwas preisgab, doch nach Snapes eben gesprochenen Aussagen, wollte ich ihm erstrecht nichts mehr anvertrauen.
"Nun, dann wüsste ich nichts, was wir uns noch zu sagen hätten", meinte er. "Es sei denn, Sie wollen noch etwas loswerden?"
"Nein, Professor", lehnte ich ab.
"Schön", sagte er mit offener Unzufriedenheit. "Sie können gehen"

Als ich die Bürotür wieder hinter mir geschlossen hatte, wollte ich sie am liebsten eintreten.
Draco hatte in dem Punkt recht gehabt, Snape wollte nur dasselbe von mir, Informationen über die Mission.
Aber es lag nicht an ihm, dass ich nicht zu Snape gegangen war. Gut, vielleicht auch, weil er gesagt hatte, ich soll es nicht tun. Aber hab ich jemals sonst auf das gehört, was Draco von mir wollte? Nein. Also war ich definitiv kein Papagei...

Hey Brother (Harry Potter Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt