Es tut mir leid

305 18 0
                                    

Draco war schwerer als ich gedacht hatte. Mit Mühe zog ich ihn auf die Beine, sodass er halbwegs aufrecht stand. Seinen linken Arm legte ich um die Schulter, damit er sich beim Gehen abstützen konnte.
Ich spürte, wie meine Schulter und der Teil des Rückens, wo er den Arm abgelegt hatte, schnell kalt und feucht vom Wasser wurden. Wasser tropfte von Dracos Haaren und er hinterließ nasse Fußspuren auf dem Stein.
Alle paar Sekunden schluchzte er, ich merkte wie er versuchte es zurückzuhalten, vermutlich wegen mir.
Ich konnte nichts denken, alles war weggeblasen. Noch nie hatten wir in so einer Lage gesteckt, noch nie hatten wir uns gegenseitig so sehr gebraucht.
Meine linke Schulter schmerzte leicht. Draco klammerte sich richtig daran fest und inzwischen konnte ich nicht mehr auseinanderhalten, ob er es war, der so zitterte oder ich.
Langsam hob ich meine Hand hoch und berührte die seine leicht. Er ließ meine Schulter los und ergriff meine Hand sofort.
Dracos Hand war eiskalt und wir beide zitterten extrem, aber trotzdem war unser Griff so fest, dass wir nicht loslassen konnten oder wollten.

Besonders das Treppensteigen schien Draco Schmerzen zu bereiten, weshalb wir uns Zeit ließen. Das, was Snape vorhin aufgesagt hatte, hatte zwar die Blutungen gestoppt, allerdings wollte ich nicht wissen wie es jetzt unter dem nassen Hemd aussah.
Ich war mir nicht sicher, ob ich die Schule schon einmal so leer erlebt hatte. Nur Draco und ich waren auf den Gängen unterwegs, man hörte nichts, außer unsere Schritte, atmen und hin und wieder ein Schluchzen.
Doch die Stille begleitete uns nicht allzu lange.
Wir waren bereits im vierten Stock angelangt, als von unten Stimmen und Getrampel von Kindern zu hören war. Um nicht in die Menge zu geraten, mussten wir wohl oder übel einen Umweg nehmen, solange die anderen den kürzeren Weg gingen.
Bald schon gingen wir durch ein kleines Labyrinth aus Korridoren, fern ab von den anderen Schülern. Wir konnten sie nicht hören, sie konnten uns nicht hören.
"Es tut mir leid", flüsterte Draco plötzlich, mit brüchiger Stimme. "Ich kann das nicht ... Ich kann das nicht" Er wurde immer leiser und schüttelte leicht den Kopf dabei.
Ich sagte nichts, ich wusste nicht was. Ich bekam eine Gänsehaut und ich glaubte mein Herz zu spüren, wie es einen Schlag aussetzte.
Es war einfach schrecklich, unter welchen Umständen das eben geschah, warum er das gesagt hatte. Ich konnte einfach nicht glauben, was geschehen musste, damit wir uns besser verstanden, endlich miteinander redeten, uns endlich gegenseitig halfen.
Es war okay, dass Draco den Auftrag nicht erledigen konnte und wollte, auf den Zeitpunkt, an dem ihm das ebenfalls klar wurde - auf den jetzigen Zeitpunkt - hatte ich mich die ganze Zeit über vorbereitet.
Ich wäre bereit, alles aufzugeben und hinter mir zu lassen und ich glaube Draco ist es auch.
Ich drehte den Kopf ein bisschen und sah zu ihm rüber. Draco hatte den Kopf vornübergebeugt, den Blick auf den Boden gerichtet. Die Haare hörten allmählich auf zu Tropfen und er gewann wieder etwas an Farbe im Gesicht.

Es gab keine Hoffnung mehr für uns, gab es von Anfang an nicht. Uns blieb nichts anderes übrig, als die kurze Zeit, die uns jetzt noch blieb, zu nutzen und uns allmählich unserer Angst zu stellen.
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Snape uns wirklich half? Was sollte er für uns tun können? Und selbst wenn wir am Leben blieben, unsere Familie hatte inzwischen keinen sonderlich guten Ruf mehr beim dunklen Lord, unser Leben wäre also die reinste Hölle.
Ich stieß die Tür zum Krankenflügel auf. Diesmal kostete es mich mehr Kraft als sonst, da ich nur eine Hand frei hatte.
Wir hatten es unentdeckt und ohne größere Probleme in den dritten Stock geschafft. Ich konnte gar nicht einschätzen, wie viel Zeit wir für den Weg brauchten, doch nun hatten wir unser Ziel endlich erreicht.
"Madame Pomfrey?", rief ich die Heilerin, noch während ich in der Tür stand. Sobald sie mich und Draco sah eilte sie zu uns und half mir ihn auf eines der Betten zu legen.
"Zieh sofort die nassen Sachen aus, Junge", sagte Pomfrey, sobald er saß. "Was ist denn überhaupt geschehen?"
"Ich... ich weiß auch nicht genau", begann ich mit schwacher Stimme. "Als ich da ankam, war -"
"Bei Merlins Bart, ach, du liebes bisschen...", unterbrach mich Pomfrey. "Leg dich hin, schnell"
Sie ging mit schnellen Schritten zu ihren Medikamentenschränken und durchsuchte diese.
Ich kann ihre Reaktion gut verstehen. Draco hatte sich das durchnässte Hemd ausgezogen und es auf den Boden geworfen. Über seine Brust und den Bauch zogen sich mehrere große Schnittwunden. Sie bluteten zwar nicht, sahen aber so aus, als hätte sich eine Art unsichtbare Barriere gebildet, die das Blut am Austritt aus der Wunde hinderte.
Ich setzte mich jetzt ebenfalls, an das Fußende des Bettes, allerdings um nicht plötzlich ohnmächtig umzufallen.
Pomfrey kam zu uns zurück, mit einer ähnlichen Dose in der Hand, wie die, mit dessen Inhalt sie mir meine Verbrennung behandelt hatte.
Sie setzte sich an den Bettrand und nahm etwas von der Creme in dem Tiegel auf ihre Finger.
Sobald diese einen Schnitt auf Dracos Brust berührt hatten, fuhr er vor Schmerz zusammen und verkniff sich einen Aufschrei.
"Entschuldige, ich dachte, wenn ich dich nicht auf den Gedanken brachte, dass es wehtun könnte, tut es das vielleicht auch nicht so", gestand Pomfrey.

Nach wenigen Minuten war es schon erledigt und wie ein Schutzschild hatte sich die Creme über jede der Wunden gelegt.
"So, das wäre erledigt...", sagte Pomfrey, stand auf und brachte die Dose zurück zu den Vorräten.
Draco hob den Kopf und sah sich seinen Oberkörper kurz an. Erleichtert aufatmend ließ er ihn zurück auf den Kopfpolster sinken.
Die wenigen Schnitte an den Armen hatte Pomfrey ebenfalls behandelt und es wunderte mich wirklich, dass ihr das Dunkle Mal nicht aufgefallen war.
Ja, es war riskant Dracos Arm nicht zu verbergen, aber wenn sie es sieht, dann sieht sie es eben, wir haben sowieso nichts mehr zu verlieren.
Ich stand nun ebenfalls wieder langsam auf, aber ich wusste nicht recht, was ich jetzt tun wollte.
Ich ging um das Bett herum und hob das Hemd vom Boden auf.
"Ich geh dann jetzt, okay?", sagte ich leise.
Draco nickte leicht, inzwischen hatte er die Augen geschlossen.
Die Tür zum Krankenflügel öffnete sich, wie üblich laut, und ich drehte mich um, um zu sehen wer eintrat.
"Es ist Pansy", sagte ich zu Draco und im nächsten Moment stand sie schon neben uns.
"Ich hab's schon gehört. Was ist denn passiert? Geht's dir gut?", fragte sie gleich los.
Als ich an ihr vorbeigehen wollte, hielt sie mich noch kurz auf.
"Hey, wirklich, was ist passiert?", flüsterte sie.
"Später, Pansy", antwortete ich kopfschüttelnd.
"Okay. Daphne ist unten, bei den anderen", sagte Pansy, ich ging weiter und verließ den Krankenflügel.

Hey Brother (Harry Potter Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt