Maulende Myrte

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Manchmal erkenne ich die Person, die ich im Spiegel sehe, gar nicht. Nicht, weil ich mich äußerlich verändere, einfach, weil mir das, was ich mache, manchmal so fremd und unwahrscheinlich erscheint.
Meine Haut war sehr blass, vielleicht lag es aber auch an dem einfallenden Licht von dem großen Fenster hinter dem Spiegel.
Von Malfoy zu Malfoy veränderten sich die Gene nie wirklich stark. Meine Augen, die Nase, die Gesichtsform; fast alles sah vor allem Draco sehr ähnlich, manchmal hasste ich diese Tatsache.
Eine Haarsträhne fiel mir ins Gesicht, eine der pechschwarzen.
Wenn diese wenigstens gleichmäßig wachsen würden, aber nein, wild zwischen der eigentlichen weißblonden Farbe, sprießen die dunklen Streifen.
Es war immer schon schwierig gewesen von ihnen abzulenken, aber wenn ich nach dem Ursprung der Strähnen gefragt wurde, beantwortete ich die Frage meist nicht oder schwindelte.
Ich zuckte zusammen und zog meine Hände vom Wasser weg.
Mit der unverletzten Hand fuhr ich über die andere, um das Blut besser abzukriegen und war mit dem Daumen in eine der Wunden gekommen.
Die zum Glück nicht mehr blutenden, feinen Schnitte erinnerten mich wieder an das Bild, das ich zuvor im Raum der Wünsche gesehen hatte und wieder stiegen mir Tränen in die Augen.
Ich drehte das Wasser ab und ließ mich auf den Boden sinken, wo ich endgültig zu schluchzen begann.
Wir hatten keine Möglichkeiten, keine Hilfe, nichts.
Der linke Ärmel meiner Jacke war etwas verrutscht, was ich erst jetzt merkte. Ein Teil des Körpers der Schlange war zu sehen, womit die Reue in mir erneut zum Vorschein kam und ich den Ärmel zurück bis ans Handgelenk schob.
"Du weißt schon, dass das hier ein Jungenklo ist, oder?", fragte eine hohe Mädchenstimme plötzlich.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die maulende Myrte aus einer der Kabinen zu mir rüber geschwebt kam.
"Ja, weiß ich", sagte ich und versuchte das Schluchzen möglichst zu unterdrücken, nur bebte mein ganzer Körper von oben bis unten. "Verschwinde, Myrte"
"Verschwinde du lieber", meinte der Geist und verschränkte die Arme. "Ich warte nämlich auf jemanden und er könnte jeden Moment auftauchen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass er schon hier wäre, weil ich das Wasser gehört hatte, aber das warst nur du..."
"Tja, Pech gehabt", sagte ich. "Wer ist es? Auf wen wartest du?"
"Das sag ich nicht!", verkündete sie bestimmt.
Sie flog ein Stück weiter weg von mir, zu den Kabinen.
"Unsere Gespräche bleiben geheim. Wir haben nämlich beide niemanden mit dem wir sonst reden könnten...", fuhr Myrte fort. "Naja, aber ich muss schon sagen, wenn du da so wie jetzt weinend auf dem Boden sitzt, erinnerst du mich ein klitzekleines Bisschen an ihn. Aber nur ganz wenig"
Meine Neugier, um wen es sich handeln könnte, ließ mich im Kopf alle Jungen an der Schule, die ich kannte, durchgehen. Doch die Information, dass ich demjenigen ähnlich bin oder sehe, schränkte es gewaltig ein, auf eine Person, um genau zu sein.
"Warte, du meinst doch nicht etwa Draco, oder?", fragte ich ungläubig.
"Nein, meine ich nicht", versicherte Myrte mir mit auf einmal heiserer Stimme, ein eindeutiges Zeichen, dass sie log.
"Oh mein Gott..."
Das war alles was ich im nächsten Moment rausbekam und das auch nur flüsternd.
Mit einem Mal strömten Tausende von Gedanken, Fragen und Bildern auf mich ein.
Er hat also außer einem Geist niemanden hier, mit dem er reden kann. Bin ich etwa Luft, oder was?
Wie oft hatte ich ihm in der letzten Zeit meine Hilfe angeboten, wie oft hatte ich versucht ihn zu beruhigen, wenn er im Raum der Wünsche mal wieder kurz vor dem Nervenzusammenbruch stand?
Ich verstehe einfach nicht, wieso Draco nicht nachgab und uns zumindest die Chance gäbe, uns an unseren letzten Tagen noch zu verstehen. Ich will ihm nicht andauernd nachrennen müssen, sah er es denn nicht selbst, dass wir zusammenhalten mussten?
"Bitte, sag es ihm nicht, dass ich es verraten habe! Es ist doch unser Geheimnis!", bettelte Myrte und schwebte zu mir herüber.
"Über...", begann ich, suchte allerdings nach den passenden Worten, "worüber redet ihr... wenn er - wenn Draco zu dir kommt?"
Der Geist ließ mit der Antwort auf sich warten und starrte ihre Schuhe an, offenbar hin und her gerissen, ob sie etwas sagen sollte oder nicht.
"Myrte?", hakte ich nach.
Sie murmelte etwas unverständliches, langsam konnte ich verstehen warum keiner das Mädchen leiden konnte.
"Was hast du gesagt? Lauter", verlangte ich.
"Über dich", wiederholte sie und schaute immer noch ihre Füße an - oder durch sie hindurch.
"Was?", entfuhr es mir, bevor mir für einige Sekunden fast die Luft wegblieb.
"Er sagt immer, dass euch nicht mehr viel Zeit bleibt für eure Mission. Dass eure Tage eigentlich schon gezählt sind, und er es nicht ertragen würde, wenn ihr weiterhin zerstritten bleibt ... aber er weiß nicht, wie er es dir sagen und mit dir reden soll", erklärte Myrte niedergeschlagen.
Eine, und dann eine zweite Träne flossen meine Wangen entlang nach unten.
Ich weiß auch nicht, wie ich mit ihm reden soll, aber er lässt es mich ja auch nicht mal versuchen.
Stattdessen geht er zu einem Geist.
"Oh, es geht ihm so schlecht... Wie kann ich ihm bloß helfen...?", sagte Myrte traurig.
"Danke für dein Mitleid", meinte ich sarkastisch. "Ich hab die selben scheiß Probleme"
Ich schaute hinunter in meinen Schoß, auf meine nassen und kalten Hände.
"Tut es weh?", fragte ich leise, doch meine Worte hallten in dem gefliesten Raum laut wieder. "Sterben?"
"Oh ja, es ist schrecklich", antwortete der Geist verträumt kichernd, schwebte zurück zu den Toiletten und tauchte mit hinterher spritzendem Wasser darin ab.
"Das ist jetzt keine große Hilfe", dachte ich.

Hey Brother (Harry Potter Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt