Der Jäger

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Ja, der erste Versuch war gewaltig schief gegangen. Das Verschwindekabinett war ernsthaft beschädigt worden, obwohl man nichts kaputtes daran sehen konnte.
Wenn wir statt dem Buch einen Menschen durchgeschickt hätten... Was wäre dann von ihm zurückgekommen? So früh wollte ich nicht an sowas denken, nicht vor dem Frühstück, solange ich noch Appetit hatte...
Draco und ich einigten uns darauf einmal pro Woche gemeinsam zum Raum der Wünsche zu gehen, wie oft man alleine, allerdings in Begleitung von Crabbe und/oder Goyle, raufging, war einem selbst überlassen.
Ich war im Laufe der Woche noch ein zweites Mal hochgegangen, schickte eine Schreibfeder und ein Tintenfass von dort nach London, und bekam nur das Glas zurück, das allerdings nur halbvoll und mit Tinte vollgeschmiert war.
"Hey, Lu, aufwachen", sagte Daphnes Stimme neben meinem Bett.
"Aber es ist Wochenende", gab ich zurück und zog mir demonstrativ die Decke bis zum Kinn, öffnete aber halb verschlafen die Augen.
Daphne kniete direkt vor meinem Kopfpolster auf dem Boden.
"Aber es ist schon acht Uhr. Die Quidditchauswahl fängt bald an", sagte sie.
"Stimmt, das wollten wir uns ja ansehen...", gähnte ich und setzte mich auf.

Vom Frühstückstisch stahl ich noch ein paar Früchte als Snack für die Tribüne, bevor ich und Daphne zum Quidditchfeld gingen.
Obwohl es erst Anfang September war fror ich etwas, doch ich biss die Zähne zusammen und versuchte mich auf das Auswahlspiel zu konzentrieren.
Ich warf einen Blick um mich auf die anderen Tribünenplätze und sah links von und eine Reihe über mir ein paar Plätze entfernt Draco und Pansy sitzen.
Anstatt aufzustehen und die wenigen Schritte zu ihnen rüber zu gehen, nahm ich ein paar Weintrauben aus meinem Schoß, wo ich das Obst liegen hatte, und warf sie in Dracos Richtung.
Ich hatte Glück, zwei Trauben hatten ihn seitlich am Kopf getroffen, worauf er sich genervt umdrehte und vermutlich einen frechen Erstklässler vermutete.
Ich fing seinen Blick auf und nickte zuerst zum Feld und den Spielern hinunter und danach fragend zu ihm. Hoffentlich verstand er so meine Frage, ob er sich dieses Jahr denn nicht für das Team meldete, richtig.
Anscheinend ja, denn er schüttelte den Kopf und zuckte kurz mit dem linken Arm, eine eindeutige Anspielung.
Ich wandte den Blick wieder aufs Feld, wo gerade die Jäger ausgesucht und aussortiert wurden.
Mir kam es jetzt schon vor, als würde diese Aufgabe das einzige sein, das jetzt noch für Draco und mich zählte, wir mussten es unseren Freunden verheimlichen und viele Stunden unserer Freizeit dafür opfern.
Es war nun beinahe ungewohnt Draco nicht dort unten auf dem Feld zu sehen, wo er es doch seit der zweiten Klasse immer ins Team geschafft hatte.
In den Sommerferien hatten wir auch manchmal eins gegen eins hinter dem Haus gespielt, wo uns die Muggel, die in vereinzelten Häusern in der Umgebung wohnten, nicht sehen konnten, mit unseren Freunden drei gegen drei, Mädchen gegen Jungs. Auch das war diesen Sommer nicht mehr passiert.
Auf dem Spielfeld vor mir stiegen gerade die Sechst- und Siebtklässler, die sich als Jäger gemeldet hatten, in die Luft.
Von weitem konnte ich Theo erkennen, der auch letztes Jahr schon in der Mannschaft war, und entsprechend selbstsicher auf seinem Besen saß.
Diesmal entdeckte er mich leider nicht, aber ich drückte ihm selbstverständlich die Daumen.

Nach weiteren anderthalb Stunden war die Auswahl beendet und das Team, das uns dieses Jahr zum Quidditchpokal führen sollte, zusammengestellt.
Eine weitere halbe Stunde später kamen die Spieler von den Duschen zurück. Ich blieb noch vorerst ohne Reaktion auf dem Sofa sitzen und ließ mich vom Kaminfeuer wärmen, während ich Theo beobachtete, wie ihm ein paar Mitschüler stolz auf Schulter und Rücken klopften.
Sobald sie jedoch weg waren, stand ich auf und ging zu ihm.
"Glückwunsch! Jäger wieder, hm?", sagte ich und lehnte mich leicht an die Wand neben uns.
"Danke, ja. Hab zwar immer noch nicht den Körperbau für einen, weshalb manche schon letztes Jahr an mir gezweifelt hatten, aber naja", antwortete Theo und lächelte.
"Aber deine Schüsse gehen fast immer rein, ist mir auch schon letztes Jahr aufgefallen. Und manchmal fliegst du so schnell, dass ich dich fast nicht mehr erkenne", gab ich zu.
"Wirklich?", meinte er skeptisch. "Mein Besen ist aber schon etwas älter und steuern lässt er sich auch nicht mehr so gut wie früher..."
"Ich könnte dir meinen geben.", schlug ich vor. "Den brauch ich heuer sowieso nicht"
"Echt? Was für einer denn?"
"Nimbus 2001", sagte ich.
"Wow...", sagte Theo etwas überwältigt.
"Aber erst in einer Woche oder so. Wer weiß, wie lange der hierher braucht, bei den Postkontrollen jetzt.", fügte ich hinzu.
"Das würde gut passen, Training beginnt in genau einer Woche", sagte er.
"Ich schreibe auch gleich heute noch nach Hause", sagte ich.
"Apropos Zuhause...", begann Theo vorsichtig.
"Ja?"
"Weißt du schon mehr über...?"
"Oh, ja - ähm, nein.", sagte ich und schüttelte den Kopf. Natürlich hatten wir, wenn auch nur einmal kurz, über die Geschehnisse im Ministerium geschrieben. "Es gäbe zwar Besuchszeiten, aber... ich glaube meine Mutter will das auch nicht"
Theo nickte während ich sprach matt mit dem Kopf.
"Hey, stimmt, wie ist das eigentlich bei dir zu Hause?", fragte ich erschrocken, da mir das erst jetzt klar wurde. "Du warst in den Ferien ja ganz allein, oder?"
"Ja, schon. Manchmal sind die Nachbarn zu mir gekommen und haben gefragt wo mein Vater sei. Ich sagte immer, dass er auf Reisen war und bald zurückkommen würde. Mit der Wahrheit hätten die wenig angefangen...", erzählte Theo.
Nach ein paar Sekunden fuhr er fort und änderte das Thema in etwas erfreulicheres: "Ich hab gehört, dass in gut einem Monat der erste Ausflug nach Hogsmeade stattfindet. Vielleicht können wir dort ja gemeinsam hin?"
"Ja, das wäre cool", antwortete ich und lächelte.

Hey Brother (Harry Potter Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt