Astronomieturm

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"Kann ich jetzt den Astronomieaufsatz abschreiben, Lucie? Wo hast du ihn?", überfiel mich Daphne gleich mit Fragen sobald ich den Gemeinschaftsraum betreten hatte.
"Klar, in meinem Kopf ist er, hol ihn raus. Ich hab den selbst noch nicht geschrieben", sagte ich lachend.
Ich ging in den Schlafraum und holte meine Schultasche. Im Gehen durchsuchte ich sie gleich nach meinem Astronomiebuch, in dem ich mir Notizen zum Aufsatz gemacht hatte.
"Mist", murmelte ich und stellte die Schultasche neben Daphne beim Sofa ab.
"Hm?", fragte sie.
"Ich finde mein Buch nicht", sagte ich und hielt kurz inne, um mich zu erinnern. "Ich hab's sicher in die Tasche getan. Ah, oder..."
"Wo hast du's?", wollte Daphne wissen.
"Ich fürchte, ich hab's auf dem Turm vergessen...", seufzte ich. "Ich geh noch schnell und hol's, hoffentlich ist es auch wirklich da oben"

Der Aufgang zum Astronomieturm befand sich im sechsten Stock, wobei sich aber der Teil des Turmes mit der Aussichtswarte auf gleicher Höhe mit dem siebten Stockwerk befand, ein weiteres Mysterium des Schlosses, welches ich nie verstanden habe.
Schon am Fuß der alten Holzstufen zur Warte hoch, kam einem ein kühler Luftzug die Treppen runtergeweht, Anfang März hätte ich auch kein wärmeres Wetter erwartet.
Das Holz knarzte bei jedem Schritt unter meinen Füßen, manchmal wenn ich hier hochgehe, habe ich sogar Angst, es würde jeden Moment alles zusammenbrechen.
Oben angekommen überkam mich sofort eine Gänsehaut, hier war das Wetter deutlich kälter als auf der engen Stiege.
"Oh, du bist es", sagte eine Stimme drüben am Geländer, eine sehr vertraute Stimme.
Etwas erschrocken drehte ich mich in die Richtung, ich hatte nicht bemerkt, dass ich nicht alleine war. Ich sah wie er gerade seinen Zauberstab wegsteckte, aus Reflex hatte er ihn wahrscheinlich hervorgeholt, als er mich gehört hatte.
"Hast du vielleicht ein Buch hier irgendwo liegen sehen?", fragte ich Draco und trat zu ihm ans Geländer.
"Ja, hier ist eins", sagte er und zeigte links neben sich auf die Stelle, an die ich mich gerade gestellt hatte.
"Ja, das ist meines", meinte ich, als ich es vom Boden aufgehoben und den Namen auf dem Einband überprüft hatte.
"Sag mal, bist du oft hier oben?", fragte ich.
"Manchmal", antwortete Draco.
"Ah", sagte ich, "glaub nicht, dass mir das nicht auffällt, wenn du später als ich wieder runter kommst, obwohl wir gemeinsam oben waren"
Er zuckte nur mit den Schultern und sah in die Ferne.
Durch das Mondlicht wirkte er noch blasser als sonst, wäre er durchsichtig gewesen, hätte er als Geist durchgehen können.
"Ich war gerade vorhin bei Snape", sagte ich, obwohl ihm das eigentlich egal sein könnte.
"Du warst doch bei ihm?!", gab er zurück und sah mich, so wie er Pansy gestern angesehen hat, an.
"Ich wollte nicht zu ihm", versicherte ich, "aber er hat mich im selben Gang wo sein Büro war, erwischt, und da konnte ich schlecht aus. Und - ja - du hattest Recht, er wollte wissen was wir machen"
"Das hast du ihm aber nicht verraten", sagte Draco schlussfolgernd.
"Nein, wozu kann ich denn Okklumentik", sagte ich.
"Gut...", meinte er und richtete den Blick wieder geradeaus.
"Aber da ist noch was, was du wissen solltest", begann ich. "Wir müssen aufpassen. Davor - also, bevor ich bei Snape war - wollte ich in den Raum der Wünsche. Harry war dort und hat versucht rein zu kommen."
"Potter?! Mein Gott, wieso hast du ihn davonkommen lassen?"
"Ich war mir nicht mal sicher, was er dort gemacht hat! Vielleicht wollte er ja nicht mal wegen uns rein", überlegte ich.
"Das kannst du nicht wissen! Du hättest ihn trotzdem mal endlich zur Rede stellen können", meinte Draco.
"Wieso soll ich ihn zur Rede stellen? Ich hab ihm nichts zu sagen", erwiderte ich. "Ihr zwei solltet mal miteinander reden, jedesmal geht ihr aufeinander los und was bringt es euch? Gar nichts, und deshalb passiert es wieder und wieder und wieder. Wie zwei Kleinkinder, echt jetzt!"
"Ich hab mich wenigstens nicht mit dem Typen angefreundet", sagte Draco.
"Tja, weißt du, genau das wäre der Plan damals gewesen, falls du dich noch erinnern kannst.", meinte ich. "Aber jetzt haben wir größere Probleme als dieses ewige hin und her wegen Harry.", hängte ich noch an, um wieder von dem Thema wegzuleiten.
"Wäre dir schon mal aufgefallen, dass Potter was mitgekriegt hat von uns? Dass er schon mal mitgekriegt hat, dass wir zum Raum der Wünsche gehen?", fragte er und schien offenbar auch nicht weiter diskutieren zu wollen.
"Nein, also, dass er mir gefolgt wäre hab ich noch nie bemerkt. Aber er hat ja seinen Umhang, also, vielleicht weiß er ja schon mehr, als wir glauben", antwortete ich.
"Im Zug", fiel Draco ein. "Im September im Zug hat er auch mitgehört"
"Ja, stimmt", bestätigte ich. "Seien wir jetzt einfach vorsichtiger und aufmerksamer"
Darauf folgte Stille, in der nur der Wind zu hören war. Ich überlegte, ob ich vielleicht nur ganz kurz Nachfragen sollte, wie er mit seinem Teil voran kam, doch ich hielt es dann doch nicht für eine so gute Idee. Einen kleinen Überblick über Dracos Versuche hatte ich ja. Das im Oktober in Hogsmeade, wo Katie Bell verletzt worden war, war er, schließlich war die Übergabe des Paketes auch die Aktion, bei der ich Wache gestanden hatte.
Vor wenigen Tagen ging eine Nachricht durch die gesamte Schule, dass Weasley vergiftet worden war. Nach kurzer Überlegung wurde mir klar, dass das stinkende Gemisch, mit dem ich Draco im Dezember erwischt hatte, vielleicht Gift hätte sein können.
Ich verwarf die Erinnerungen wieder und richtete den Blick nun ebenfalls nach vorne und schaute auf die dunklen Umrisse der Hügel, die die Ländereien Hogwarts' begrenzten. Am Fuß derer lag das fernere Ufer des großen Sees, auf dessen Oberfläche sich der Mond unscharf spiegelte.
"Mir ist nie aufgefallen, wie schön die Aussicht von hier oben ist. Fast wie ein Traum", sagte ich, doch der Wind schien meine Worte schnell davon zu tragen.
"Das ist kein Traum in dem wir leben, Lucie", antwortete Draco wenige Sekunden später.
"Alpträume sind auch Träume", sprach ich in die Nacht hinein.

Hey Brother (Harry Potter Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt