Vorbereitungen

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Vorbereitungen

Die Woche verstrich sehr langsam und wollte irgendwie kein Ende nehmen. Aber endlich war das Wochenende in Sicht, der Samstag stand unmittelbar bevor. Sie wollte ein paar Vorbereitungen treffen, für den Fall, dass sie aus irgendwelchen Gründen am Samstagabend nicht zu Hause sein könnte. Kurzerhand rief sie ihren Bruder an, damit er sich notfalls um Purzel kümmern konnte.

„Hallo Devin, wie geht es dir?“ „Gut danke. Was liegt an? Du meldest dich an einem Freitagabend doch nicht ohne Grund, oder? Hast du was ausgefressen?“ „Ach quatsch. Alles gut, ich wollte dich um einen großen Gefallen bitten. Ich bin morgen eine Weile unterwegs und es könnte sein, dass ich vielleicht nicht nach Hause komme. Könntest du dann bitte Purzel versorgen, damit er mir vor Hunger hier die Bude nicht zerlegt? Solle ich zeitig hier sein, rufe ich dich an, ansonsten könntest du Purzel so gegen 20:00 Uhr füttern und am Sonntagmorgen dann auch irgendwann?“ „Kein Problem Schwesterherz. Mach ich doch gern.“ „Ich danke dir. Ich melde mich dann, sobald ich zurück bin. Solltest du länger nichts von mir hören, dann bitte weiter mein Purzelchen versorgen, ok?“

Anisha merkte förmlich, dass ihr Bruder schwer schluckte. Jetzt würde er weiter nachbohren, das war so seine Art. Er war mit seinen 25 Jahren sehr erwachsen und fürsorglich. Besonders wenn es um seine kleine, drei Jahre jüngere Schwester ging.

„Anisha, was ist los? Hast du Ärger? Oder hast du nur jemanden kennengelernt?“ Anisha lachte laut auf. Devin sollte wissen, dass sie lieber für sich war und derzeit keinen „Freund“ an ihrer Seite wollte. Sie war da ganz anders als ihr Bruder. Devin war bereits seit fünf Jahren in einer festen Beziehung. Er und seine Partnerin hatten guten Jobs und sie planten jetzt auch eine gemeinsame Zukunft mit allem Drum und Dran, eben auch Nachwuchs. Anisha hatte sich direkt nach ihrer Ausbildung diese kleine Maisonette-Wohnung gemietet und war gerne für sich alleine. Eben ganz anders als ihr Bruder.

Anisha konnte von ihren Erblebnissen nicht berichten. Sie zögerte, denn eigentlich wollte sie ihren Bruder auch nicht belügen, das hatte er nicht verdient und sie hasste es nicht die ganze Wahrheit sagen zu können.

„Devin, es ist wirklich alles in Ordnung. Du weißt doch, dass ich in Kürze wieder an diesem Überlebenstraining-Workshop teilnehme. Ich werde mich diesmal ein bisschen anders darauf vorbereiten und daher bin ich eben nicht sicher, ob ich zeitig Zuhause bin, oder ob ich sogar vielleicht noch einen weiteren Tag dranhänge. Mach dir jetzt erst mal keinen Kopf. Ich muss Montag ja auch wieder arbeiten.“ Anisha zögerte kurz. Sie musste sich ja eigentlich auch weiter absichern. Sie konnte nicht das Risiko eingehen Montag unentschuldigt nicht zur Arbeit zu erscheinen. Rein vorsorglich weitete sie ihre Anmerkung dann noch aus: „Ähm Devin, sollte ich doch noch einen weiteren Tag dranhängen müssen, was ich nicht glaube, dann solltest du mich in der Praxis und auch in der Galerie krankmelden. Ich gehe aber davon aus, dass ich Samstag schon wieder zurück bin oder spätestens Sonntag.“

Wieder zögerte Devin. Er konnte sich nicht vorstellen, dass alles so mit rechten Dingen zuging. Allerdings wusste er auch ganz genau, dass Anisha ihm jetzt nichts weiter verraten würde. „Schwesterherz, ich glaube nicht so ganz, was ich da höre. Du verheimlichst mir irgendwas. Allerdings wirst du mir erfahrungsgemäß auch nichts weiter erzählen. Ich kenne dich. Also ja, ich werde mich solange um Purzel kümmern, bis du dich meldest und ich werde dich krankmelden, wenn du dich bis Montagmorgen nicht bei mir gemeldet hast. Ok abgemacht. Versprich mir, dass du keinen Ärger hast.“ „Keine Sorge Devin. Ich habe keinen Ärger!“

Die Geschwister beendeten das Telefonat und Anisha wusste, dass Devin sich Sorgen machte. Dennoch konnte sie nichts von ihrem Erlebnis berichten. Das war einfach nicht möglich.

Anisha plante nun weiter und überlegte, dass es doch sehr lästig wäre, eine Tasche mitzunehmen. Sollte ihr am nächsten Tag erneut der Zugang in den Wald gewährt werden, dann wollte sie nicht Taschen oder sonstiges lästiges Zeug mit sich herumschleppen. Sie legte eine dickere Jacke parat für den Fall, dass sie tatsächlich dort über Nacht eingeschlossen sein sollte. Sie wusste ja nicht welche Verhältnisse in dem Gemälde herrschten, ob es dort ebenfalls Nacht werden würde und ob die Temperaturen ähnlich waren wir in dieser Gegend oder in der Gegend von Bayern. Sie hatte auf so Kleinigkeiten, wie die gefühlsmäßigen Temperaturen, bei ihrem Eintritt in das Gemälde überhaupt nicht geachtet.

Sie legte ihre einfache Jeans griffbereit zur Jacke und packte bereits ihr Taschenmesser in die Hosentasche, damit sie es am nächsten Tag nicht vergessen würde. Weiterhin suchte sie Kreide. Anisha dachte sich, dass Kreide vermutlich die beste Möglichkeit war, ihren Weg im Wald zu kennzeichnen. Sie würde damit die Bäume nicht schädigen und musste nicht so viel schleppen. Problematisch würde es nur werden, wenn es in diesem Wald während ihrer Anwesenheit regnen würde. Dann würde die Kreide nicht allzu lange sichtbar sein.

Sie überlegte auch eine Kleinigkeit zu Essen mitzunehmen, dachte dann aber, dass auch der Wald ein bisschen was für den Notfall hergeben sollte. Zum Glück kannte sie durch ihr Überlebenstraining-Workshop was im Wald genießbar war und was nicht. Allerdings war Anisha nicht ganz sicher, ob dieser Wald ein normaler Wald war, oder ob es sich um eine Phantasiewelt handelte. Sie wusste auch nicht, ob ihr möglicherweise Tiere über den Weg laufen würden. Besonderen Respekt hatte sie vor Wildschweinen. Möglicherweise waren aber auch andere Menschen dort gefangen, die in Panik geraten würden oder eben nicht harmlos waren. Vielleicht war dieses Gemälde auch nur der Einstieg in den Wald und wenn man tief hineingehen würde, vielleicht käme man woanders wieder raus. Langsam wurde Anisha ein wenig nervös. „Ist das wirklich richtig, was ich hier mache? Ist es das wert? Ich bin neugierig – ja – aber was erreiche ich damit. Ist Emma wirklich dort verschollen oder ist sie vielleicht dorthin geflüchtet und will gar nicht mehr nach Hause?“ Anisha versuchte sich abzulenken. Sie nahm sich ein kleines Glas Sekt und schaltete den Fernseher ein. Sie zappte sinnlos hin und her, konnte sich aber für kein Programm entscheiden. Selbst Purzel schaute sie nur missmutig an und merkte, dass er sich bei seinem Frauchen gar nicht erst hinlegen brauchte. Anisha hibbelte nur herum und kam nicht zur Ruhe. Kurze Zeit später schaltete sie den Fernseher wieder aus und nahm sich ein Buch. „Keine gute Idee!“ bemerkte Anisha und legte das Buch wieder aus der Hand. Sie hatte vor einigen Tagen ein gruseliges Buch angefangen. Das sollte sie sich jetzt sicher nicht antun. Sie schaute auf die Uhr und überlegte, ob sie denn Purzel überhaupt schon versorgt hatte. Nein, das hatte sie nicht. Der arme Kerl! Allerdings hatte er sich auch nicht bemerkbar gemacht. Normalerweise hätte er schon längst gejammert und sich auf dem Boden gedreht. Vermutlich merkte er, dass etwas nicht stimmte und Frauchen auf Abenteuerreise gehen wollte.

Anisha versorgte ihren Kater und kroch ins Bett. Dort schaltete sie erneut einen Fernseher ein und schaute sich eine Komödie an. Die kannte sie zwar schon, aber zumindest würde der Kram sie auf andere Gedanken bringen. Keiner würde sie am nächsten Tag zwingen in das Abenteuer einzusteigen. Sie könnte jederzeit kneifen und es lassen. Ja – könnte sie – wenn sie nicht Anisha wäre. Anisha würde nicht kneifen. Wenn sie sich was vorgenommen hatte, dann würde sie dies auch durchziehen. 

Wo ist Emma?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt