Die Nacht im Wald

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Die Nacht im Wald

„Nebel ist immer Kalt, Anisha jetzt reiß dich zusammen! Du bist hier nicht im Horrorfilm und Nebel im Wald ist nicht ungewöhnlich.“ Anisha schritt voran. Auch wenn der Nebel den Boden bedeckte und ein dünner Schleier immer wieder ein Stück an ihren Beinen hochkroch konnte sie noch genug sehen.

Sie folgte dem Pfad der zwischenzeitlich etwas schmaler geworden war. Die Fahrspuren waren aber nach wie vor zu erahnen. Anisha schaute nach oben in die Baumspitzen. Es sah aus, als würden die Bäume nach einander greifen und sich festhalten wollen, um einen Tunnel zu bilden. Sie schaute nach vorne und sah, dass der Tunnel sie weiter begleiten würde, doch ein Ende schien in Sicht. Vielleicht noch fünfhundert Meter, dann schien der Tunnel zu enden. Sie war gespannt, was sie dort erwarten würde. Es war schon sehr dämmrig, aber es sah aus, als würde am Ende des Tunnels eine Lichtung auf sie warten.

Anisha malte regelmäßig ihre Markierungen auf und setzte ihren Weg zügiger fort als bisher. Mittlerweile brachte das Knie nicht mehr allzu viele Beschwerden, oder sie hatte sich einfach an den Schmerz gewöhnt. Ihr verletzter Oberarm schmerzte schon lange nicht mehr so sehr. Es war ein leichter Druck zu spüren, mehr nicht.

Sie behielt die Lichtung im Auge und verfiel fast in einen holprigen Laufschritt. Mit einem Mal machte sich ein tosendes Geräusch über ihr breit. Anisha erschrak fürchterlich, zuckte zusammen und duckte sich hektisch. Natürlich war da für ihr Knie nicht so günstig, es schmerzte wieder heftig. Sie schaute hoch und sah, dass eine große Masse Fledermäuse durch ihr nicht gerade leises Laufen aufgeschreckt worden waren und nun wie verrückt über ihren Kopf hinwegrasten. Sie blieb in geduckter Haltung, schützte ihren Kopf und verharrte ruhig, bis sich die schwarzen Lufträuber wieder ruhig in die Bäume hingen oder davonflogen.

Es waren sicherlich zehn Minuten verstrichen, bis sich auch die letzte Fledermaus verzogen hatte. Anisha richtete sich langsam auf und setzte ihren Weg möglichst leise Richtung Lichtung fort. Sie näherte sich der Lichtschneise. Der Tunnel schien sich zu öffnen. Es schien, als würde der Wald dort enden.

Tatsächlich! Anisha stand vor einem riesigen Feld. Es war mittlerweile so dunkel geworden, dass das Feld im Nichts zu enden schien. Sie konnte in der Ferne absolut gar nichts erkennen. Egal wohin ihr Blick schweifte, außer einem in leichtem Nebel getauchten riesigen Feld war absolut nichts zu erkennen.

Normalerweise befanden sich an Waldrändern zu einem offenen Feld hin Hochsitze, um Wild beobachten zu können. Sollte dieses Waldgemälde also irgendwie doch ein normaler Wald sein, dann hoffe Anisha einen Jägersitz in der Nähe finden zu können. Anisha musterte den Waldrand in beide Richtungen, aber aufgrund der mittlerweile erheblichen Dunkelheit konnte sie nicht viel erkennen. Sie entschied sich für den Weg nach links, weil die Fahrspuren nach rechts führten. Anisha vermutete, dass irgendein Hochsitz nicht direkt an der Fahrspur aufgestellt war, sondern eher etwas abgelegen. Der Pfad nach links zeigte jedenfalls nur eine leichte Spur. Der Großteil des Pfades erstreckte sich in recht hohem Gras. Anisha folgte dem Pfad und schaute dabei immer wieder in den Wald hinein, um eine zurückliegende Jagdkanzel erkennen zu können.

Sie hatte durch ihre Bummelei sehr viel Zeit verloren. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass es mittlerweile nach 22 Uhr war. War es so Emma ergangen? War sie gestürzt und hatte sie sich verlaufen? Hatte der Wald sich so sehr verändert, dass ihr der Weg nach Hause verborgen blieb? Anisha wusste nicht, wie sie am nächsten Tag wieder den richtigen Pfad finden sollte. Musste sie den Weg zurückgehen und den Abhang, den sie hinunter gerutscht war, vielleicht wieder hinaufklettern? Keine Chance. Diesen Hang würde sie ohne entsprechende Ausrüstung nicht bewältigen können.

Immer weiter folgte sie dem Pfad entlang dem Waldrand und hoffte irgendwann einen Schlafplatz zu finden. Natürlich hatte sie bereits in ihrem ersten Workshop gelernt, wie sie sich einen Unterschlupf bauen könnte. Allerdings fühlte sie sich so angeschlagen, dass ihre Motivation auch noch im Geäst herumzubasteln nun wirklich auf der Strecke blieb. Sie schaute erneut auf ihre Uhr, eine weitere halbe Stunde war verstrichen. „Ach du Scheiße, wie groß ist der Wald? Irgendwann muss doch mal ein Ende des Waldes in Sicht sein oder irgendetwas anderes als nur Wald.“

Wo ist Emma?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt