Verräter

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Verräter

 

Auf der Wache angekommen wurde Anisha erst in die Schleuse geschoben. Sie sollte dort auf ihren Chef warten, der dann auch wenige Minuten später eintraf und ebenfalls in die Schleuse geschickt wurde. Anisha war nach wie vor unsicher, was sie ihrem Chef gegenüber sagen sollte und wie sie sich verhalten sollte. Sie konnte nicht einschätzen, ob er sauer war. Er wirkte zwar nicht so, aber sie kannte ihn zu wenig, um sich ein Urteil bilden zu können. Dennoch - eine Entschuldigung war angebracht und würde auch endlich das fürchterliche Schweigen brechen.

Anisha atmete noch einmal tief ein und wollte gerade eine Entschuldigung herausbringen, als ihr Chef leise zu kichern anfing. Entsetzt blickte sie ihn an, ihre Augen mit großen Fragezeichen aufgerissen. Was war so komisch? Warum lachte ihr Chef?

"Frau Salomon..." äußerte ihr Chef weiter schmunzelnd, "Sie sind wahrhaftig die merkwürdigste Person, die mir je über den Weg gelaufen ist!" Er stoppte sein Gespräch und wartete auf eine Reaktion. Anisha konnte ihn aber nach wie vor nur mit großen Augen anstarren. "Nun starren Sie mich nicht so an! Wenn hier einer einen Grund zum Starren hätte, dann wäre das wohl ich, oder? Ok - um Ihren Schrecken ein wenig einzudämmen: Ich reiße Ihnen nicht den Kopf ab und bin auch nicht sauer. Im Gegenteil. Genau genommen bin ich äußerst amüsiert über die Hilflosigkeit der Polizeibeamten, als sie mir mitteilten, ich müsse die Galerie schließen, weil ein Eindringling die Bilder missbrauche!" Man merkte ihm an, wie amüsiert er war. Er bekam sich vor Schmunzeln gar nicht mehr ein. Er stupste Anisha mit breitem Grinsen seinen Ellenbogen leicht in die Seite: "Mensch Frau Salomon - nehmen Sie es mit Humor! Lachen Sie drüber! Es ist keiner zu Schaden gekommen!" Immer wieder verfiel er ins Kichern, wie ein kleiner Schuljunge.

Sie wusste noch immer nicht, wie sie reagieren sollte, aber immerhin legte sie ihren entsetzten Gesichtsausdruck ab und versuchte es mit einem zaghaften Lächeln. Die Entschuldigung war dennoch angebracht: "Herr Cremer - es tut mir wirklich unendlich leid, dass ich Ihnen Ärger gemacht habe und vor allen Dingen meinen Job bei Ihnen nicht zuverlässig ausgeführt habe. Ich werde für den entstandenen Schaden natürlich aufkommen! Ich bin da irgendwie durch Zufall reingeschlittert..." Ihr Chef unterbrach sie: "Ach, nun hören Sie doch auf! Wie gesagt - es ist kein Schaden entstanden! Im Gegenteil! Wissen Sie was? Nachdem bekannt wurde, dass Sie im Bild spazieren gehen, war die Galerie voll wie nie. Es sind unendlich viele Besucher gekommen und auch viele Spenden eingegangen. Jeder fragte nach Ihnen, dem Bild und dem verschwundenen Mädchen. Und um Ihren Job brauchen Sie sich mal gar keine Sorgen zu machen. Ihre Vertretung hat Sie super vertreten!" "Meine Vertretung?" fragte Anisha erstaunt. "Ja! Ihr Bruder hat sie vertreten. Er hat die Arbeiten genauso zuverlässig erledigt wie Sie. Also - kein Schaden entstanden!"

Erschrocken drehte Anisha sich um: "Wo ist mein Hund?" "Keine Sorge! Ihr Bruder ist zwischenzeitlich auch hier eingetroffen. Er hat ein Halsband und eine Leine mitgebracht, damit der Hund ordnungsgemäß in der Stadt an der Leine geführt werden kann. Er wartet vor der Wache."

Der kräftige Polizeibeamte, der sie auch in der Galerie angesprochen hatte, führte Anisha und ihren Chef durch eine große Halle und dann eine sehr breite Treppe hinauf. Der Boden und Treppenaufgang war mit dunklem Marmor belegt - zumindest sah das Material aus wie Marmor. Die Wache wirkte alt und schäbig. Die Wände waren in einem unmöglichen Farbton gestrichen, den man nirgends einstufen konnte. Um ihn zu beschreiben, könnte man es als eine Mischung aus Ocker und grün bezeichnen. Um den Treppenaufgang herum war viel Platz und an einigen Stellen waren ein paar Tische und Stühle aufgebaut. Ein fleckiger grünlicher Teppichboden bot einen sehr ausladenden Anblick. Der Wartebereich sah so aus, als hätte er keine Wände. Tür an Tür folgte an den Wandseiten. Die Büroräume schienen extrem klein zu sein, so dass nach einer Türe und einem kleinen Stück Wand mit ebenfalls genauso gräßlichem Farbton gleich die nächste Türe folgte. Sie durchquerten den Wartebereich und folgten dem Beamten einen schmalen Gang entlang, der hinter dem Wartebereich zum Vorschein kam. Aber auch in dem schmalen Gang waren dicht aufeinanderfolgende Türen. Aus den Büroräumen drangen stellenweise leise Gesprächsfetzen nach draußen, in einem Büro schallte lautes Gelächter. Sie wurden bis ans Ende des schmalen Ganges geführt und dort in das letzte Büro auf der linken Seite gebeten. Das Büro wirkte erstaunlich groß. Vermutlich war dies das Büro eines besser gestellten Beamten, der sich ein größeres Büro verdient hatte. Die Aktenmenge, die dort zu sehen war, ließ diese Vermutung allerdings nicht in Bestätigung erwachsen. Es sah eher so aus, als hätte dieser Beamte nur mit sonderbaren Fällen zu tun und demnach kaum Arbeit.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 06, 2014 ⏰

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