Ermittlungsbehörde

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Ermittlungsbehörde

Auf dem Weg nach Hause gingen Anisha unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Sie hatte auch überlegt mit Freddy nochmal zu sprechen, aber er hatte vorher so komisch reagiert und wollte wohl auch nicht darüber reden. Sie fragte sich warum Freddy sie nicht gesehen hatte im Waldbild? Wollte er sie nicht sehen oder konnte er es nicht? Wieso gab es überhaupt diesen Zugang zu dem Wald. Wenn Anisha von dieser Galerie aus in den Wald gelangte, waren dies der gleiche Wald und das gleiche Gemälde wie das in Bayern? War Emma in diesem Wald oder besser in diesem vermeintlichen Stillleben verschwunden? Hatten die Mutter oder die Ermittlungsbehörden das Kunstwerk untersucht? Konnte jeder dort eintreten und war dies zu jeder Zeit möglich?

Fragen über Fragen. Anisha beschloss einen kleinen Umweg zu machen und die Polizei aufzusuchen. Allerdings fragte sie sich, wie sie den Beamten denn erklären sollte, dass sie in ein Gemälde gegangen sei und natürlich auch wieder dort rausgehen konnte. Man würde sie doch glatt für verrückt erklären.

Sie beschloss ein wenig taktisch vorzugehen und erst einmal nur Andeutungen zu machen. Allerdings könnte auch dies nach hinten losgehen. Anisha hatte Sorge hinterher als Schuldige dazustehen. Dennoch wollte sie nichts unversucht lassen. Es war schon traurig genug, dass ein 10-jähriges Mädchen überhaupt in einer abgesperrten Galerie verschwinden konnte. Andererseits konnte Anisha sich auch nicht vorstellen, dass die Ermittlungsbehörden das Gemälde nicht untersucht hätten, gerade weil die Mutter berichtete, dass Emma so fasziniert davon war und immer Selbstgespräche geführt hatte. Vielleicht waren dies ja auch gar keine Selbstgespräche.

Zwischenzeitlich hatte sie die Polizeistation erreicht. Sie zögerte – sollte sie wirklich die Behörde betreten und Vermutungen äußern? Auf Fragen würden man ihr sicher keine Antworten geben – natürlich Datenschutz. „Was hab ich zu verlieren, außer mich lächerlich zu machen?“ Anisha ging auf die gläserne Türe zu und öffnete sie. Eine zweite Glastüre blieb verschlossen. An der rechten Seite öffnete sich eine kleine Glastüre wie eine Schleuse. Sie trat ein und stand hinter einer recht hohen Theke. Ein junger, allerdings etwas pummeliger Beamter kam freundlich auf sie zu und grüßte höflich. „Wie kann ich Ihnen helfen junge Dame?“ Tja, wie sollte man jetzt anfangen? Sie sortierte ihre Worte und stammelte etwas unsicher und leise vor sich hin: „Ich war in der Galerie. Ein Gemälde steht dort mit einer Tafel, ein Mädchen wird vermisst. Ich würde gerne bei der Suche helfen, also wenn das möglich ist und mir ist da was aufgefallen…“ Anisha stockte. Sie hörte sich selbst reden und dachte nur „nee halt besser die Klappe, du verhaspelst dich hier gerade“. Sie schwieg. Der Beamte schaute sie an und wartete scheinbar darauf, dass sie weiter redete. Ein kurzer Moment der Stille. Anisha las auf dem Namensschild des Beamten PHK Schmitz. Der Beamte Schmitz brach das Schweigen. „Junge Dame, zuerst verraten Sie mir bitte mal ihren Namen!“ „Mein Name ist Anisha Salomon. Entschuldigung, dass ich hier so einfach reingeplatzt bin, aber das Gemälde hat mich fasziniert und – hm… also ich dachte, ich könnte vielleicht helfen.“ Frau Salomon, Sie glauben gar nicht, wie viele Leute hier herkommen und meinen irgendwelche Hinweise geben zu können. Sie sprechen von dem Wald-Gemälde, vermute ich. Menschen kommen hierher und behaupten, in dem Bild habe sich irgendetwas bewegt. Den Behörden wird unterstellt nicht ausreichend gesucht oder recherchiert zu haben. Um die ganze Sache abzukürzen, das Gemälde ist regelrecht auseinandergepflückt worden. Man hat diesem Kunstwerk auch einen anderen Rahmen gegeben, weil man es vollständig untersucht hat. Es gibt auch Verrückte, die spekulieren das Kind sei in das Bild gegangen. Ich hoffe nicht, dass Sie auch zu den verrückten Leuten gehören, die jetzt irgendwelche Thesen oder Behauptungen aufstellen. Und nochmal – Sie dürfen uns gerne glauben, dass wir unsere Arbeit ordentlich und ausreichend gemacht haben. Am Rande bemerkt: in dieses Bild kann man nicht hereinspazieren. Das ist absoluter Humbug! So – haben Sie jetzt noch Fragen oder Anregungen?“

Der eigentlich freundliche Beamte wirkte plötzlich gar nicht mehr so freundlich, sondern reichlich genervt. Anisha wollte in den Boden versinken. Wenn sie jetzt berichten würde, dass sie sehr wohl in dieses Stillleben eintauchen konnte, wird er sie vermutlich ebenfalls als Verrückte einstufen. Mit einem leisen: „Tut mir leid, ich wollte nur helfen! Aber nein, ich habe keine weiteren Anmerkungen, danke für ihre Geduld“ drehte sie sich um und verließ die Wache.

„Was für eine blöde Idee. War doch absolut klar. Wie bescheuert sich das angehört hat. Man war das peinlich.“

Sie machte sich auf den Weg nach Hause. Die Laufrunde konnte sie sich heute sparen. Zum einen war sie viel zu frustriert und genervt von sich selbst und zum anderen war sie mit ihren Gedanken noch im Wald. Was war da bloß geschehen. Ihr Purzelchen war sicherlich auch schon wieder vollkommen ausgehungert und würde wieder ein großes Gejammer veranstalten. Sie beschloss zu Hause noch ein wenig Fernsehen zu schauen und eine Kleinigkeit zu Essen.

Am nächsten Tag würde sie erneut einen Ausflug in den Wald wagen. Aber diesmal wollte sie sich vorbereiten. Eine Taschenlampe und ein Taschenmesser wollte sie auf jeden Fall mitnehmen. Außerdem vielleicht ein Tuch oder ähnliches, damit sie den Einstiegsbaum markieren konnte. Außerdem sollte sie vielleicht irgendwas mitnehmen, um den Weg zu markieren. Sie war froh, dass sie bei ihrem Erlebnis im Wald so ruhig geblieben war. Aber vermutlich war ihr Vorteil, dass sie bereits zweimal an einem Überlebenstraining-Workshop teilgenommen hatte. Außerdem war sie immer schon sehr besonnen an fremde Dinge oder Begebenheiten herangetreten. Ihre Mutter pflegte damals immer zu sagen „für Panik bleibt später noch genug Zeit, wenn man merkt, dass nichts mehr geht, solange die Sache nichts aussichtslos ist – Ruhe bewahren“. Mit dieser Lebensweisheit konnte sie sich sehr gut identifizieren.

Anisha packte eine kleine Umhängetasche zusammen, die nicht allzu auffällig sein durfte. Appetit hatte sie nun doch keinen mehr. Sie versorgte ihren Stubentiger und setzte sich auf ihren gemütlichen Fernsehsessel. Purzel verputzte seine Ration und kuschelte sich anschließend bei Anisha auf dem Schoß ein. Das Fernsehprogramm präsentierte nur langweilige Filme oder uralte Reportagen. Gedankenversunken an das mysteriöse Gemälde fiel Anisha langsam in den Schlaf. Gegen Mitternacht wachte sie auf, schluffte ins Bad und kroch anschließend ins Bett.

Wo ist Emma?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt