Die Folgen des Sturzes

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Die Folgen des Sturzes

Vollkommen reglos lag sie da. Ihre natürlichen Schutzreflexe und die Muskulatur erschlafften. Langsam lockerte sich ihre Hand und der verkrampfte Griff um die ergriffene Wurzel löste sich. Die Hand rutschte ab, so dass jeglicher Halt, den sie sich so schmerzvoll erkämpft hatte verloren ging. Dennoch blieb sie genau an der Stelle liegen, ohne weiter abzurutschen, da sie sich nicht rührte. Die Zeit verstrich unerbittlich.

Irgendwann öffnete sie ihre Augen, der Blick fiel in erneut in die Baumkronen. Was war geschehen. Anisha überlegte einen Moment, versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Ihr Schädel brummte mächtig. Sie wollte mit ihrer Hand an den Hinterkopf fassen, um festzustellen, ob sie dort eine offene Wunde hatte. In dieser Sekunde fiel ihr ein, was geschehen war, jedoch zu spät. Durch ihre ruckartige Bewegung rutschte sie erneut weiter den Hang hinab. Die versuchte sich irgendwie zu bremsen und nach irgendetwas zu greifen, jedoch ohne Erfolg. Mit recht hoher Geschwindigkeit ging es bergab. Mitten auf ihrem unfreiwilligen Abwärtsweg stand ein Baum, dem sie unhaltbar entgegen rutschte. Sie knallte heftig gegen den Baum und ihre Talfahrt fand erneut ein schmerzhaftes Ende. Diesmal konnte sie auch nicht weiter abrutschen, denn sie war auf einem breiten und ebenen Pfad gelandet.

Anisha fluchte und schimpfte. Erst jetzt merkte sie, dass sie wohl in erster Linie mit dem Knie gegen den Baum geprallt war. Ihr Kopf schmerzte nach wie vor. Sie richtete sich auf und tastete als erstes ihren Hinterkopf ab. Eine dicke Beule war bereits spürbar, allerdings fühlte sich sonst alles relativ normal an. Die Haare waren extrem zerzaust und etwa nass, was allerdings an dem leicht feuchten Boden des Hangs lag. Sie versuchte jede Stelle am Hinterkopf abzutasten, auch die Stellen, die gar nicht schmerzten. Immer wieder nahm sie ihre Hand nach vorne, um zu schauen, ob Blut an ihren Fingern war. Nichts. Zum Glück. Eine offene Wunde schien nicht vorhanden zu sein.

Dann zog sie langsam die Hose an ihrem rechten Knie hoch, was so fürchterlich brannte. Sie hatte große Sorge, dass ihre Kniescheibe zertrümmert sei oder sonst irgendetwas gebrochen, so dass sie nicht zeitig nach Hause kommen würde. Sie schaute ihr Knie an, es war feuerrot und leicht geschürft. Sie tastete es vorsichtig ab und versuchte die Kniescheibe zu fühlen. Sie war ja kein Arzt, aber für sie schien es, als wäre alles am rechten Platz. Zum Vergleich fühlte sie immer das rechte und das linke Knie, aber alles schien in Ordnung zu sein. Außer einen extrem heftigen Prellung sollte also nichts weiter passiert sein, zumindest hoffte sie das.

Anisha versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Ihr war bewusst, dass sie umkehren wollte, da der Weg zu schmal war und sie dann abgerutscht war. Aber wieso hatte sie einen Filmriss.

Es hatte keinen Sinn weiter zu grübeln. Sie wollte sich aufstellen, um herauszufinden ob sie mit dem geprellten Knie vernünftig vorwärts kommen würde. Sie stützte sich ab, um auf die Füße zu gelangen. Mit einem Mal brannte ihr Arm. Sie schaute auf ihren rechten Arm und sah, dass ihr Pulli blutig war. Vorsichtig versuchte sie herauszufinden welche Ursache diese Flecken hatten, wo sie bluten würde. Sie zupfte an dem Pulli herum, aber irgendwie brannte der ganze Oberarm. Sie musste also den Pulli ausziehen, wenn sie vernünftig nachschauen wollte. Bewegen konnte sie den Arm jedenfalls, er brannte nur einfach fürchterlich. Bei dem Versuch den Pulli auszuziehen zuckte Anisha vor Schmerz zusammen. “Scheiße! Verflixt, ah! Was ist das?“ Der Pulli war irgendwie verhakt. Sie konnte ihn nicht vom Arm lösen. Sie drehte den Arm langsam in alle Richtungen, um irgendetwas erkennen zu können. „Oh nee, das darf doch nicht… verdammt!“

Erst jetzt sah Anisha, dass sich ein kleiner Ast in den Oberarm gebohrt hatte und nun erinnerte sie sich auch wieder, wie und warum sie ihr Bewusstsein verloren hatte. Sie schaute sich das Stöckchen an, was nun Teil von ihr sein wollte. Das Ding stand zu weit raus, als das sie es so lassen könnte. Sie würde vermutlich ständig irgendwie daran kommen und würde damit nur die Wunde vergrößern, oder sogar richtig aufreißen. Ihr war schließlich auch nicht ganz klar, ob nun eine gefährliche Arterie verletzt war, die nur darauf wartet freien Lauf zu erhalten. Sie hätte zwar gerne diesen Fremdkörper rausgezogen, aber ihr war bewusst, dass beim Herausziehen aus der Wunde erst die richtig großen Verletzungen zum Vorschein kommen würden.

In diesem Moment fiel ihr ein, dass sie ja das Taschenmesser eingesteckt hatte. Vorsichtig richtete sie sich auf ohne sich mit dem rechten Arm zu stützen, bis sie sicheren Halt auf den Füßen fand und fischte es aus ihrer Hosentasche und suchte nach der Zangen-Funktion. So dünn, wie der Ast war, sollte es funktionieren diesen einfach kurz hinter der Wunde zu kappen, so dass sie mit dem Teil nicht überall anstoßen würde. Sie wusste, dass das Berühren des Astes schmerzhaft werden würde, da jede leichte Bewegung in der Wunde spürbar war.

Sie positionierte die Zange ihres Multifunktionsmessers direkt hinter der Wunde, biss die Zähne zusammen und dachte dabei an die verrückte Szene aus einem ihrer Lieblingsfilme. „Ok – auf 3!“ Sie lächelte, weil ihr sie ebenfalls – wie in dem Film überlegte ob sie nun „auf 3“ oder „1 – 2 – 3 und dann“ den Ast abknipsen sollte. Sie schüttelte den Kopf. „Du bist eine blöde Nudel – hängst hier mit so ‚nem Mist und denkst an irgendwelche Filme!“ So viele Gedanken, zählen oder nicht. Ohne ihr Gedankenspiel weiter fortführen zu wollen setzte sie die Zange nochmal gezielt an und knipste den Ast nah an der Wunde ab.

Es schmerzte unbeschreiblich, Anisha sackte zusammen auf die Knie. „Aaaah. Verdammt nochmal!“ schrie sie erneut auf und stand in der nächsten Sekunde wieder aufrecht. „Nicht schon wieder das Knie!“ Vorsichtig schaute sie erneut nach ihrem Knie, aber es schien nach wie vor nur eine schwere Prellung zu sein. Wieder schimpfte sie vor sich hin: „Toll Anisha, echt prima. Kopf, Arm, Knie…. Ein tolles Ergebnis für einen Ausflug im Wald, ich hätte besser noch mehr Überlebenstraining-Workshops mitgemacht, bevor ich mich auf so ein Abenteuer einlasse.“

Anisha schaute sich um, schaute sich die Bäume an. Natürlich waren hier nirgends Markierungen. Sie hatte absolut keine Ahnung wohin dieser breite Pfad führen würde. Nach ganz oben würde sie jedenfalls nicht gelangen. Sie musste also von hier aus versuchen den Weg in die Galerie zu finden. Sie fischte ihr Handy aus der Tasche. Empfang hatte sie hier im Wald natürlich nicht, da hatte sie auch nicht mit gerechnet. Außerdem, wer hätte sie hier auch finden sollen? Außer ihr und ein paar anderen Leuten kam vermutlich auch keiner in diesen speziellen Wald. Ein Blick darauf verriet ihr die Uhrzeit. Es war zwischenzeitlich fast 17:00 Uhr. Sie würde die Galerie nicht zeitig erreichen, das war unmöglich. Es sollte also tatsächlich eine erste unfreiwillige Übernachtung stattfinden und das ausgerechnet an einem Sonntag. Sie konnte sich auf ihren Bruder verlassen. Er würde sie für den nächsten Tag erst mal krankmelden, aber was war dann? Sie schaute den Hang hinaus und überlegte, von welcher Richtung sie dort oben gekommen war. Wenn sie ihr Gedächtnis nicht im Stick ließ, dann musste sie nun den Weg nach links gehen. Sie hoffte, dass Serpentinen-Pfade sie wieder noch oben führen würden. Langsam und humpelnd machte sie sich auf den Weg.

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......und??? Wer weiß um welchen Film es bei Anisha's Gedanken ("auf 3") geht

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