Der Weg ins Ungewisse
Anisha war nur wenige Minuten weggenickt und wachte etwas verwirrt wieder auf. Das Feuer brannte noch, allerdings waren die Flammen kleiner geworden. Sie wollte aufstehen, um noch einmal den Feuchtigkeitsgehalt ihrer Klamotten zu testen, als ihr Blick auf den Wolf fiel. Er war hatte sich entspannt auf die Seite gelegt und hatte seine Augen zu. Wie fest war wohl der Schlaf eines Wolfes?
Anisha betrachtete das Tier und sie bemerkte, dass an seinem Hals etwas Rötliches durchschimmerte. Vorsichtlich rutschte sie ein Stück näher an ihr heran, um zu sehen, was es sein könnte. Etwas verwundert flüsterte sie: „ein Halsband? Gibt’s doch gar nicht!“ Vorsichtig legte sie ihre Hand auf den Hals und hob das dichte Fell ein wenig an. In dem Moment öffnete der Wolf seine Augen, blieb aber vollkommen entspannt liegen. Sie zögerte kurz, schaute sich dann aber weiter das Halsband an. Es war eher ein gummiertes dünnes Etwas, was sich wie ein Gummi dehnte. Sie taste am Halsband entlang und suchte nach einem Verschluss. Es schien aber nichts dergleichen vorhanden zu sein. Stattdessen fühlte sie ein Stück Plastik. Sie drehte das Halsband so, dass sie das Stück Plastik sehen konnte. Etwas Handgeschriebenes kam darunter zum Vorschein.
Da sie die Mitteilung so nicht lesen konnte, versuchte sie das Halsband über den Kopf des Tieres auszuziehen. Das ging recht leicht und Anisha betrachtete das Halsband. „Wer zieht schon einem Wolf ein Halsband an?“ fragte sie sich. Sie nahm das Plastikteil und sah einen Druckknopf daran. Man konnte diesen öffnen und die Nachricht dort herausnehmen. Die Schutzhülle war jedenfalls dicht genug, dass dort weder bei Regen noch bei dem Bad im See Wasser eingedrungen war. Sie nahm den Zettel, faltete ihn auseinander und las: „Das ist ein Tschechoslowakischer Wolfshund und kein Wolf. Wir haben keine Verwendung mehr für ihn. Er ist circa ein Jahr alt und als Jagdhund ungeeignet. Wenn Sie ihn finden, behalten Sie ihn. Suchen Sie nicht nach dem ursprünglichen Besitzer, der Hund ist nicht gechipt und nirgends registriert. April 2014“
Anisha war fassungslos. Der Hund war gerade erst, vermutlich vor ein paar Tagen, ausgesetzt worden. Er sah einem Wolf so unglaublich ähnlich, dass sie hätte schwören können, dass es ein Wolf war. Nun gut, jetzt war es nur ein Hund. Einerseits beruhigte sie das und andererseits war sie auch ein bisschen enttäuscht. So ein richtiger Wolf wäre natürlich auch was Besonderes gewesen. „Oh, dann brauche ich auch gar nicht lange zu überlegen – ich nenne dich Lupo! Lupo ist das italienische Wort für Wolf und passt hervorragend zu dir!“
Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wir man so herzlos sein konnte ein so junges Tier auszusehen. Jedenfalls war Anisha froh, dass sie nun wohl einen treuen Weggefährten hatte, den sie auch noch behalten könnte. Einen Wolf hätte sie wohl kaum in ihrer Wohnung halten können. Ein Tierarzt oder jemand der Ahnung hatte würde ihr sicher bescheinigen können, dass dies tatsächlich ein Hund und kein Wolf war.
„Genug gefaulenzt!“ sagte Anisha voller Energie und sprang auf. Sie lief zum Waldrand, um zu sehen, wie weit ihre Klamotten getrocknet waren. Zum Glück waren sie gut getrocknet, so dass sie endlich wieder ihre Sachen anziehen konnte, um sich auf die Suche nach dem Heimweg zu machen. Sie zog sich an, ging zur Feuerstelle und erstickte das Feuer mit dem Sand. Mit einem Mal fiel ihr ein, dass sie gelesen hatte, dass Holzasche sich zum Zähneputzen eignete. Irgendwie eine ekelige Vorstellung, andererseits war ihre Zahnpflege mehr als überfällig und sie wollte es wenigstens testen. Also nahm sie ein bisschen Asche auf die Finger und rieb sich vorsichtig das Zeug über die Zähne. Ein wirklich unangenehmes Gefühl, wobei der Gedanke wohl schlimmer war, als die Tatsache, dass sie mit Asche versuchte die Zähne zu reinigen. Nachdem sie grob alles erwischt hatte, ging sie schnell zum See und spülte sich den Mund aus. „Bah – igitt… widerlich!!“ „Aber genug gejammert! Auf geht’s!“
Sie schaute noch einmal zu ihrem Rastplatz, ob sie die Feuerstelle gut gelöscht hatte und forderte ihren Hund auf mitzukommen: „Komm Lupo, lass uns gehen. Wird Zeit, dass wir nach Hause kommen!“ Bei dem Gedanken hoffte sie natürlich, dass er überhaupt in der Lage war, mir ihr gemeinsam das Gemälde zu verlassen.
Eine wirkliche Orientierung hatte Anisha nicht. Sie war nicht sicher, welche Richtung sie einschlagen müssten, um wieder nach Hause zu kommen. Letzten Endes was das aber auch egal, da der Wald oder das Gemälde ja seine Wege oder gebietlichen Anordnungen veränderte. Vermutlich war es vollkommen egal welche Richtung sie einschlagen würde.
Der Pfad rechts neben dem kleinen Wasserfall wäre sehr unwegsam und ungemütlich. Also entschied Anisha ein Stück dem Sandstrand des Sees entlang zu laufen. Vielleicht würde sich ein neuer Pfad oder Weg zeigen oder ein Boot, mit dem sie den See schneller überqueren könnte, als ihn zu umlaufen. Andererseits hatte sie das Gefühl sich immer weiter von der Galerie zu entfernen. In diesem Wald war nichts normal. Möglicherweise näherte sie sich ja der Galerie oder sie war durch ihren Sturz in einem vollkommen anderen Gebiet gelandet. Sie war froh einen Gefährten zu haben, der sie scheinbar beschützen würde und ihre Angst, nicht nach Hause zu finden, war aktuell nicht wirklich groß. Sie war motiviert und gut recht gut gelaunt.
Der Sandstrand war einige hundert Meter später beendet. Der Weg wurde ein wenig steiniger, konnte aber gut bewältigt werden. Lupo folgte ihr brav, lief mal direkt neben ihr und mal ein Stück hinter ihr.
Es war nicht möglich auf dem direkten Weg um den See herumzulaufen. Es wurde immer ungemütlicher und steiniger. Andererseits zeigte sich auch kein Seitenpfad bei dem man hätte ausweichen können. Anisha kam nur langsam vorwärts.
In einiger Entfernung schien sich eine Wand aufzubauen. Es sah in der Entfernung aus wie eine Nebelwand, allerdings viel zu kräftig. Es passte auch überhaupt nicht zu dem sonnigen Wetter. Anisha war irritiert. Sie steuerte dennoch weiter auf die weiße Wand zu und hoffte, dass sich darin oder dahinter etwas zeigen würde, dass ihr weiterhelfen könnte. Sie kam diesem weißten Etwas, was nun nicht mehr wie eine einfache Nebelwand wirkte, immer näher. Sie blieb kurz stehen und schaute auf die Reaktion von Lupo. Er schien allerdings auch keine Meinung zu haben und zeigte weder Angst noch Aufregung. Er war angespannt, die Ohren standen auf und die Rute war hing locker herunter. Anisha schaute wieder voraus. Sollte sie weitergehen und die weiße Wand durchbrechen, oder sollte sie umkehren. Da dies ein Gemälde war könnte dies ja auch das Ende der Phantasie sein. Vielleicht wäre dahinter einfach NICHTS und Anisha würde von dem NICHTS verschluckt werden. „Oh man Mädel – jetzt kommt dir schon der Kinderfilm ‚die unendliche Geschichte‘ in den Sinn – reg dich ab!“ Dennoch beschlich sie ein ungutes Gefühl. Sollte sie weitergehen?
Wenn da nicht die unendlich große und nicht überwindbare Neugier wäre… Anisha setzte natürlich den Weg fort und ging langsam auf die weiße Wand zu. Würde sich die Wand in Luft auflösen? Lupo folgte brav und zeigte noch immer keine großartige Regung. Ob sie sich auf ihn verlassen konnte? Immerhin war er kein guter Jäger. Selbst versorgen konnte er sich scheinbar auch nicht. Vielleicht konnte er auch keine unnatürlichen Gefahren erkennen. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte Anisha Lupo. Eine Antwort hatte sie gewiss nicht erwartet, aber eine Reaktion auf ihre Unsicherheit. Lupo schaute sie an, wedelte kurz mit der Rute und legte den Kopf leicht schief. „Na toll, das hilft mir auch nicht weiter!“
Anisha taste sich weiter vorwärts. Bis sie scheinbar die undefinierbare weiße Wand erreicht hatte. Sie streckte ihre Hand aus und erwartete, dass ihre Hand nun, wie im Nebel verschluckt – verschwinden würde. Aber nein! Was war das? Ihre Hand berührte etwas.
Sie versuchte zu erkennen, was ihre Hand da gerade berührte, konnte es aber noch nicht so ganz definieren. Sie befand sich im Wald, was sollte ihr hier den Weg versperren? Andererseits war sie in einem Wald in einem Gemälde.
Vorsichtig ging sie noch ein Stück näher an das weiße Hindernis heran und griff danach. Nebel war es ganz offensichtlich nicht. Es war ein Stoff. Seide. Sie fühlte Seide! Wieso hing Seide im Wald? Anisha bückte sich und betrachtete, wie die Seide den Boden berührte. Sie nahm den Stoff in die Hand und hob ihn langsam hoch. Vollkommen gespannt, was sie nun hinter dem Tuch erwarten würde, schaute sie noch einmal auf ihren Hund – noch immer keine definierbare Regung. Sie hob den Stoff weiter an, bis sie darunter schauen konnte.
Anisha sah nichts. Absolut gar nichts. Hinter dem Seidenstoff war es stockduster!
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Wo ist Emma?
AdventureEigentlich wollte Anisha sich in einer Bildergalerie nur ein bisschen Geld dazu verdienen, um sich ihren Traumurlaub auf die Kokos-Inseln finanzieren zu können. Als sie diesen Nebenjob annahm ahnte sie nicht wie sehr diese Entscheidung ihr Leben ver...