Kapitel 4

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Dr. Anne Michelsen. Allein durch das Lesen ihres Namens schien sich meine Laune zu heben. Ich atmete noch einmal tief ein und klopfte zweimal vorsichtig an die Tür zu ihrem Büro. Wenige Sekunden später öffnete sich diese und Frau Michelsen empfing mich mit einem warmen Lächeln, welches mich glatt umhaute.

"Hallo, Frau Mai. Schön, dass Sie es einrichten konnten.", sagte sie, als wir uns an einen Tisch in ihrem Büro setzten.

Doch anders als gedacht, ließ sie sich nicht auf dem Stuhl gegenüber von mir nieder, sondern direkt neben mir. Mein Körper reagierte sofort auf ihre Nähe und alles in mir spannte sich an. So nah war ich ihr bisher noch nicht gekommen. Während ich nervös an meinem Ring herumspielte, suchte sie etwas in ihren Unterlagen.

"Ich habe leider keine guten Neuigkeiten für Sie. Bei der Korrektur Ihrer Hausarbeit bin ich auf einige Unstimmigkeiten gestoßen. Unter den Umständen kann ich Ihnen leider auch keine 4,0 geben. Sie müssen Ihre Arbeit nochmal überarbeiten.", sagte sie und brachte mich damit noch mehr aus dem Konzept.

Bitte? Vollkommen überrascht über ihre Worte saß ich da. Vor einer Woche hatte sie doch noch gesagt, dass alles in Ordnung sei und ich mir keine Sorgen machen müsse. Ein wenig perplex suchte ich nach den richtigen Worten.

"Damit habe ich jetzt ehrlich gesagt nicht gerechnet. Ich hatte bisher auch noch keine Probleme mit meinen Hausarbeiten. Wo genau liegt denn der Fehler?", fragte ich sie und versuchte meine aufkommende Wut zu unterdrücken.

Sie presste ihre Lippen aufeinander, doch in ihren Augen erkannte ich kein Mitleid, eher Belustigung. Was sollte das denn jetzt?

"Ehrlich gesagt ergeben Ihre Aussagen keine zusammenhängenden Ergebnisse, es ist kein roter Faden zu erkennen. Als Leser ist es schwer Ihren Gedanken zu folgen und einen Nährwert daraus zu ziehen. Auch auf Ihre aufgestellten Thesen gehen Sie nicht detailliert ein und beantworten diese zum Teil noch nicht einmal." Sie stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch, während ich versuchte meine Gefühle zu ordnen.

Irgendwie war ich wütend auf sie und konnte ihre Kritik nicht nachvollziehen. Ich hatte meine Arbeit sogar ausnahmsweise korrekturlesen lassen und keine negativen Kommentare als Rückmeldung bekommen. Doch so sehr mich ihre Kritik auch aufbrachte, kam es mir gleichzeitig so vor, als hätte ich mich unheimlich vor ihr blamiert. Anstatt sie zu beeindrucken und ihr mein Interesse an dem Fach zu zeigen, glänzte ich scheinbar mit Unfähigkeit in puncto Sprache und wissenschaftlichen Arbeiten. Sie kam mit meiner Hausarbeit zurück und setzt sich wieder zu mir.

"Wir können Ihre Arbeit ja mal kurz zusammen durchgehen. Vielleicht verstehen Sie dann besser, was ich meine.", schlug sie vor und legte den Ordner vor uns auf den Tisch.

Gemeinsam gingen wir die ersten Seiten durch und zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass sie Recht hatte. Meine Texte waren das reinste Durcheinander, selbst die Sätze waren teilweise nicht zusammenhängend formuliert. Ich selbst hatte die größte Mühe damit, meinen Erläuterungen zu folgen und verstand die ganze Situation gerade umso weniger. Hatte ich das wirklich geschrieben? An manche Passagen konnte ich mich gar nicht mehr erinnern.

"Ich verstehe das alles ehrlich gesagt auch nicht...", murmelte ich ungläubig.

"Wenn ich ehrlich sein darf, machen Sie in letzter Zeit generell den Eindruck, als seien Sie abgelenkt. Beschäftigt Sie etwas, worüber Sie vielleicht reden möchten?" Ich schluckte und versuchte ihrem Blick auszuweichen. Sie wusste es. Keine Frage.

Wenige Sekunden später fand ich meine Stimme wieder: "Das ist sehr lieb von Ihnen, aber es ist alles in Ordnung. Die Uni wächst mir momentan etwas über den Kopf, die ganzen Referate und Prüfungen. Vielleicht war ich nicht ganz bei der Sache, als ich meine Arbeit schrieb." Sie merkte, dass ich mich um Ausreden bemühte.

"Nun ja, möglicherweise sollten Sie erstmal Ihren Kopf frei kriegen, bevor Sie weiter daran arbeiten. Wir könnten dafür auch gemeinsam eine Lösung finden, wenn Sie mögen." Flirtet sie gerade mit mir? Oder wollte ich nur das hören, was ich mir so sehr erträumte?

"Was möchten Sie denn dagegen tun?", fragte ich und war selbst von meinen Worten überrascht. Flirte ich jetzt etwa mit ihr? Auch Frau Michelsen wirkte kurz überrascht und schaute mir nun direkt in die Augen. Langsam fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über meine Hand, die zuvor nur wenige Zentimeter von ihrer entfernt gewesen war. Mein Herz pochte wie wild, ihre Berührung brannte wie Feuer auf meiner Haut.

"Was immer du möchtest", antwortete sie mit einem Lächeln. Was passierte hier? Sie war mir auf einmal noch näher als zuvor. Statt über meine Hand fuhren ihre Finger jetzt über meine Lippen.

Ich spürte ihre Lippen hauchzart an meiner Wange, bevor sie mir ein "Lass es einfach passieren.", ins Ohr flüsterte. Zeit das Geschehene zu verarbeiten, hatte ich keine, denn Frau Michelsen begann damit, meinen Nacken zu küssen. Ich biss mir auf die Lippe und ein leichtes Stöhnen entfuhr mir, als ich meinen Kopf nach hinten warf, um ihr das Küssen zu erleichtern. Ich spürte ihr Lächeln an meinem Nacken, sie schien zu bemerken, wie sehr sich mein ganzer Körper nach ihren Berührungen sehnte.

"Soll ich lieber aufhören?", fragte sie mich und ihre Lippen waren meinen plötzlich so nah, dass ich ihren Atmen spüren konnte.

"Nein, bloß nicht.", sagte ich und schaute direkt in ihre grüne Augen. Als ich die Lust in ihnen erkannte, machte ich den entscheidenen Schritt und presste meine Lippen auf ihre. Diesmal war sie diejenige, der ein Stöhnen entwich. Gemeinsam vertieften wir unseren Kuss, ihre Lippen waren so weich und voll, dass ich gar nicht genug von ihnen bekam. Ich spürte, wie ihre Hände meinen Körper erkundeten und ihre Berührungen eine heiße Spur hinterließen. Eine ihrer Hände suchte sich immer weiter den Weg nach unten, bis sie zwischen meinen Oberschenkeln angekommen war.

"Hannah?", erschrocken riss ich die Augen auf, als es an der Tür klopfte.

"Ja?", antwortete ich leicht benommen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich gerade war. 

"Ich hab Brötchen geholt, hast du Lust zusammen zu frühstücken?" Erst jetzt erkannte ich, dass es Katrins Stimme war, die da zu mir sprach.

"Klar, bin gleich da." Wütend schmiss ich meinen Kopf wieder zurück ins Kissen. Ich war mir nicht sicher, worüber ich mich mehr ärgern sollte: Darüber, dass Katrin mich aus meinem Traum geholt hatte, oder darüber, dass sich Frau Michelsen jetzt schon in meine Träume schlich.

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