Semesterliebe

Kapitel 14

       

Ich dachte die nächsten Tage fast jeden Tag an mein Gespräch mit Frau Michelsen und war noch immer überrascht über ihr Vertrauen und ihre Offenheit. Endlich hatte ich das Gefühl, ihr näher zu kommen und wollte gerne so viel mehr über sie und ihr Leben erfahren. Doch in der Uni verhielt sie sich nicht anders als sonst und auch außerhalb des Seminars kamen keine Gespräche mehr zustande, die über einfachen Smalltalk hinausgingen. Doch anstatt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, war ich die nächsten zwei Wochen damit beschäftigt meine Bachelorarbeit zu beenden. Mir fehlte jetzt nur noch mein Fazit und ich war einfach bloß froh darüber, dass ich mein Leben bald zurückbekam. Doch das Schreiben hatte ich auf Montag verschoben, heute wollte ich den Abend und das Wochenende genießen. Wie an den meisten Abendenden, telefonierte ich gerade mit Julia.

„Jedenfalls kam der Handwerker einfach zwei Stunden früher und ich hatte weder aufgeräumt, noch war ich angezogen. Ich durfte dann also ungeschminkt und im Schlafanzug zuschauen, wie er das Rohr reparierte. Das war ein Albtraum heute Morgen.", erzählte Julia mir gerade und ich konnte mir vorstellen, dass es für sie wirklich eine Katastrophe war.

„Sag mal, hast du den Lautsprecher an? Ich höre mich die ganze Zeit doppelt.", fragte sie.

„Ja, sorry. Ich ziehe mich gerade um. Soll ich lieber ein Kleid oder eine Bluse anziehen?" Ich stand vor meinem Kleiderschrank und fand mal wieder nichts, das mir gefiel.

„Wo gehst du denn hin?", hakte Julia nach.

„Ich bin gleich mit Eva verabredet, wir gehen doch zu diesem Konzertding. Da habe ich dir letztens noch von erzählt. Mellie tritt da heute auf und Eva hat mich gefragt, ob ich mitkommen will." Ohne eine wirkliche Antwort von Julia zu bekommen, kramte ich eine schwarze Jeans aus dem Schrank und suchte nach meiner Lieblingsbluse mit der Spitze am Ausschnitt.

„Keine Ahnung was du meinst, kann ich mich nicht mehr dran erinnern." Ich erklärte Julia nochmal in Ruhe das Konzept der Veranstaltung. An dem Abend treten auf zwei verschiedenen Bühnen mehrere, eher unbekannte Künstler auf und je am Ende des Auftritts haben die Zuschauer die Möglichkeit, Geld in ein Glas zu legen. Wer am Ende des Abends das meiste Geld gesammelt hat, gewinnt und bekommt nochmal zusätzlich die Gewinnsumme.

„Ich wusste gar nicht, dass Mellie auch auf Veranstaltungen singt. Aber naja, vielleicht findest du da ja jemand älteres für dich. Möglichkeiten gibt es sicherlich genug, wenn du mit Eva unterwegs bist." Julia spielte darauf an, dass Eva 9 Jahre älter als ich war. Wir hatten uns vor gut zwei Jahren kennengelernt, als wir uns Carol in einem kleinen Kino in der Stadt angeguckt hatten. Wir saßen nebeneinander und kamen ins Gespräch und wie sich herausstellte, hatten Eva und ich mehr Gemeinsamkeiten, als auf den ersten Blick zu erkennen waren. Auch Eva verliebte sich seit ihrer Jugend hoffnungslos in ältere Frauen, schwärmte jedoch meistens bloß hoffnungslos im Stillen. Damals war ich einfach nur sehr erleichtert, dass es jemanden gab, der genauso bescheuert war wie ich und dieselben Probleme und Sehnsüchte kannte. Wir freundeten uns in kurzer Zeit sehr eng an, obwohl wir in unserem Leben an völlig anderen Punkten angelangt waren. Ich war zu der Zeit noch relativ neu in der Stadt und frisch im Studium, fühlte mich mit all der neuen Verantwortung für mich selbst manchmal überfordert und versuchte mich selbst und meinen Weg zu finden. Eva hingegen stand mit ihren 30 Jahren mitten im Leben, hatte schon vieles erreicht von dem ich nur träumen konnte, hatte jedoch Probleme mit ihrem Alter und Angst davor, es später zu bereuen, dass sie nie eine Familie gegründet hatte. Durch viele stundenlange Gespräche versuchten wir Probleme gemeinsam zu lösen und uns Ängste zu nehmen. Wir konnten beide voneinander lernen und ich war Eva vor allem dafür dankbar, dass sie mir zeigte, dass das Alter in vielen Fällen tatsächlich nur eine Zahl war und es auf die persönliche Ebene zueinander ankam.