Kapitel 5

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Noch immer durcheinander stand ich nach dem Frühstück im Bad und föhnte meine langen, blonden Haare. Schon kurz nach dem Aufstehen hatte ich überlegt, ob ich heute überhaupt zum Seminar gehen sollte. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht in Grund und Boden versinken würde, wenn ich sie heute sehe. Allerdings rief ich mir das Gespräch mit Julia ins Gedächtnis und beschloss, dass es nichts brachte, wenn ich ihr jetzt aus dem Weg gehen würde. Julia hatte Recht, ich musste versuchen ihr positiv aufzufallen und ihr Interesse wecken. Um mich selbst so wohl wie möglich zu fühlen, probierte ich gefühlt meinen halben Kleiderschrank an und entschied mich für meinen schwarzen Lieblingsrock und eine einfache rote Bluse. Als ich vor dem Spiegel stand, um mich zu schminken, beschloss ich nur wenig Make up zu benutzen. Sie selbst schien schließlich auch Natürlichkeit zu bevorzugen. In Ruhe tuschte ich meine Wimpern und trug einen dezenten Lippenstift auf. Mein Blick fiel auf die Uhr und ich musste mit Schrecken feststellen, dass ich schon spät dran war. Schnell schnappte ich mir meine Tasche, zog meine Schuhe und eine Jacke an und machte mich auf den Weg zur Uni. Wie das Schicksal so spielt, hielt auch die Bahn an gefühlt jeder Ampel und besiegelte damit mein Schicksal.  Das hatte ich also davon, ihr gefallen zu wollen.

Vorsichtig klopfte ich an die Tür des Seminarraums und öffnete sie. Natürlich richteten sich alle Augenpaare auf mich, als ich versuchte unauffällig zu meinem Platz zu gelangen. Manchmal kam mir die Uni wie die Schule damals vor, besonders die Seminare erinnerten an den üblichen Unterricht. Kleine Gruppen, ein Lehrender und viel zu häufig Gruppenarbeit, auf die keiner Lust hatte.  Als ich meine Tasche auf dem Tisch abstellte schaute ich nach vorne und sah Frau Michelsen, die mich belustigt ansah. Ich lächelte verlegen und nuschelte ein "Sorry". Aufmerksamkeit auf mich ziehen konnte ich scheinbar. Jedenfalls bist du ihr heute aufgefallen.

"Schön, dass Sie auch noch den Weg zu uns gefunden haben, Frau Mai. Wir wollten gerade mit der Besprechung des Buches für diese Woche anfangen. Möchten Sie uns Ihre Gedanken dazu vielleicht verraten?" Frau Michelsen lehnte sich gegen ihren Tisch, verschränkte die Arme und grinste leicht.

Im Stillen dankte ich meiner Motivation für dieses Seminar, denn ich hatte das Buch tatsächlich gelesen und konnte den anderen meine Meinung darüber mitteilen. Frau Michelsen hatte uns vergangene Woche eine Liste mit Büchern, die wir im Laufe des Semesters lesen sollen, gegeben. Letztes Semester hatte ich mich ohne viel zu lesen und große Bemühungen durch das Semester gemogelt und lediglich die Bücher zu meinem Referat und meiner Hausarbeit gelesen. Zwar liebte ich es zu lesen, aber all die Literatur für die ganzen Kurse konnte einem den Spaß daran nehmen. Dieses Mal wollte ich es jedoch besser machen und wirklich alles lesen, um besser mitarbeiten zu können. Scheinbar zahlte sich das jetzt aus.

"Daher empfand ich es schwer, einigen Aussagen des Autors zu folgen und hatte das Gefühl ab und zu nochmal zurückblättern und nachlesen zu müssen. Es kann aber auch sein, dass es da nur mir so ging.", erklärte ich abschließend und schaute siegessicher wieder zu ihr.

"Interessante Gedanken, Frau Mai. Wie fanden die anderen das Buch? Fand es sonst noch jemand schwierig zu lesen?", fragte Frau Michelsen in die Runde und führte die Diskussion fort.

Erleichtert atmete ich tief durch und packte erstmal meine Sachen aus. "Gut gerettet.", flüsterte mir Nina zu und hob ihre Augenbrauen. Ich schaute sie fragend an.

"Als ob du wirklich das ganze Buch gelesen hast?", hakte sie überrascht nach, als ich mich neben sie setzte.

"Ob du es glaubst oder nicht , ich habe es tatsächlich gelesen", verteidigte ich mich und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Frau Michelsen.

Sie trug ein ähnliches Kleid wie in meinem Traum, was allerdings kein Wunder war, da sie häufig blau trug. Beliebt bei ihr waren zudem rot und schwarz, während sie so gut wie nie weiß oder andere Farben trug. Ebenso wenig wie Jeans oder Hosen, die hatte ich das letzte Semester vielleicht zweimal an ihr gesehen. Was allerdings nicht heißt, dass ihr diese nicht standen. Aber für mich könnte diese Frau vermutlich alles tragen und ich würde sie unbeschreiblich schön finden. Selbst wenn sie zu ihren Kleidern ihre weißen Chucks trug, fand ich das an ihr toll, auch wenn diese nicht wirklich immer zum Rest des Outfits passten.

Als sie ein paar Stichpunkte an das Board schrieb, betrachtete ich sie weiter. Frau Michelsen war ungefähr so groß wie ich, vielleicht sogar ein wenig größer als 1,74 m. Ihre Figur war trotz ihrer Größe zierlich und ziemlich durchtrainiert. Zumindest konnte man das an dem erahnen, was man sah. Wahrscheinlich machte sie viel Sport und in mir kam ein schlechtes Gewissen auf. Ich war seit dem Studium ziemlich unsportlich und faul geworden, ging ab und zu vielleicht mal laufen, um den Kopf frei zu bekommen.

"...Jedenfalls hoffe ich, dass Ihnen dadurch die intertextuellen Bezüge innerhalb des Werkes etwas deutlicher geworden sind und wir jetzt ohne große Probleme mit der Gruppenarbeit weitermachen können. Die Fragen hatte ich gestern schon hochgeladen, falls es aber noch Fragen gibt, können Sie diese natürlich stellen. In einer Viertelstunde besprechen wir das dann gemeinsam.", ich hing quasi an ihren Lippen und musste feststellen, dass ihre Stimme sich in der Realität noch heißer anhörte als in meinem Traum. Diese Frau machte mich einfach wahnsinnig. Gemeinsam mit den Mädels ging ich die Fragen durch und wir schrieben zu den einzelnen Aufgaben ein paar Stichpunkte auf. Ich war überrascht, wie viel mir doch zu den Themen einfiel und erledigte damit fast alleine unsere die Aufgaben, was auch den anderen auffiel.

"Sag mal, was ist heute eigentlich mit dir los?", fragte Caro schließlich, nachdem ich meinen Kulli wieder neben meinen Block legte.

"Nichts, was soll denn sein?", fragte ich und versuchte dabei nicht rot zu werden. Das letzte, was ich wollte, war den anderen jetzt von meinem Traum mit unserer Dozentin zu erzählen.

"Du bist so komisch heute. Erst kommst du zu spät, bist so motiviert und strahlst die ganze Zeit vor dich hin. Hast du was geraucht oder noch Alkohol im Blut?", fragte sie weiter nach.

"Nee, alles ist wie immer. Hab einfach mal gute Laune, soll auch vorkommen.", versuchte ich mich raus zu reden und verdrehte die Augen.

Jetzt ergriff Sarah das Wort: "Ich weiß es, du bist verliebt! Oder noch besser, du hattest Sex! Das ist der berühmte Glow, der dich so strahlen lässt." Sie grinste und die anderen schienen ebenfalls von ihrer Theorie überzeugt zu sein.

Peinlich berührt musste ich an den Traum denken und merkte, dass ich rot wurde. "Auch falsch, ich hatte weder Sex, noch habe ich irgendeinen Glow. Was du meinst ist der Schwangerschafts-Glow und nein, schwanger bin ich mit Sicherheit auch nicht.", antwortete ich und hoffte, das Thema damit beendet zu haben.

"Es wäre mir auch neu, dass dich eine Frau schwängern kann", lachte Sarah und wir stimmten alle ein bis ich eine andere Stimme wahrnahm.

"Gibt es hier sonst noch Fragen, vielleicht bezüglich der Aufgaben?", fragte auf einmal Frau Michelsen, die zuvor noch durch den Raum gegangen war und nun scheinbar hinter uns stand.

Auch wenn ich sie nicht anschaute, konnte ich ein Schmunzeln in ihrer Stimme hören. Sie hatte es also mitbekommen. Super! blamieren kannst du dich, Hannah Mai. Am liebsten wäre ich endgültig im Erdboden versunken, zwar wollte ich ihr auffallen, aber nicht auf diese Weise. Den Rest der Sitzung verhielt ich mich deshalb auch eher still. Die anderen trugen unsere Ergebnisse vor, gegen die Frau Michelsen auch nichts einzuwenden hatte, während ich versuchte ihrem Blick für die restliche Zeit nicht mehr zu begegnen.

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