Kapitel 6

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"Und du bist dir sicher, dass sie das überhaupt gehört hat?", fragte Julia amüsiert, als ich ihr während unseres Telefonats davon berichtete.

"Ja, sie stand scheinbar direkt hinter uns und hat auch direkt darauf geantwortet.", immer noch peinlich berührt schüttelte ich den Kopf und musste bei der Erinnerung an die Sitzung am Mittwoch lachen. Dieser bescheuerte Traum hatte einfach meinen ganzen Tag durcheinander gebracht.

"Umso besser! Dann ist der Grundstein doch schon gelegt." Bei Julias Worten verdrehte ich die Augen, denn sie stelle sich das alles viel zu einfach vor.

"Der Grundstein wofür? Für eine lange und glückliche Beziehung zwischen mir und meiner verheirateten Dozentin?", fragte ich genervt. Selbst wenn Frau Michelsen mitbekommen hatte, dass ich auf Frauen stand, änderte sich an der Sitatuion leider rein gar nichts. Sie war immer noch vergeben, älter, unerreichbar und dazu meine Dozentin. Wie sollte ich da bitte nur einen Funken Hoffnung dafür sehen, dass sich diese Frau für mich interessieren könnte?

"Denk doch mal positiv! Sie weiß es jetzt wenigstens und du musst sie nicht erst darauf bringen. Außerdem hast du doch vorhin erzählt, dass du einen guten Beitrag im Seminar geleistet hast. Das ist ihr sicherlich auch aufgefallen. Vielleicht wollte sie dich einfach ein wenig aus der Reserve locken, weil sie dich auch interessant findet. Es ist doch alles möglich, du musst nur mal daran glauben.", fuhr Julia mit ihrer Predigt fort.

"Du spinnst. Ich rede mir ja schon viel ein und überinterpretieren gerne Blicke oder Situationen, aber Anne findet mich nicht interessanter als jeden anderen in diesem Raum auch." Leider.

"Hast du eigentlich schon deine Hausarbeit zurück?" Die Hausarbeit. Sofort kam mir wieder der Traum ins Gedächnis. Ich musste daran denken, wie ich in ihrem Büro direkt neben ihr saß, mich für meine Arbeit rechtfertigte und wie sie mir plötzlich näher kam...

"Weiß ich gar nicht, hab heute noch nicht nach meinen Mails geschaut. Aber die hat ja gesagt, dass sie noch so viel zu korrigieren hat.", sagte ich und nahm mir vor, meine Mails später nochmal anzusehen.

"Vielleicht hat sie sich nach Mittwoch ja extra mit dem Korrigieren beeilen wollen.", witzelte Julia. Ich war wirklich froh, dass ich ihr all das anvertrauen konnte. Die meisten meiner Freunde wussten, dass ich auf Frauen stehe und auch, dass ich ein bestimmtes Beuteschema hatte, zumindest was das Alter betrifft. Aber Julia vertraute ich all meine Gedanken dazu an und wusste, dass sie mich niemals verurteilen würde. Wir sprachen noch eine Weile weiter, bis Julia zu ihrer Verabredung musste.

Nachdem Katrin und ich an dem Abend gemeinsam gekocht hatten und uns auf den neusten Stand gebracht hatten, checkte ich beim Serien schauen meine Mails und mein Herz blieb kurz stehen. Ich hatte eine Mail von Frau Michelsen.

"Alles okay?", fragte Katrin und schaute vom Fernseher zu mir. Man merkte mir meine Überraschung scheinbar an.

"Ja, sorry." Leicht nervös öffnete ich ihre Mail und las die ersten Zeilen.

Liebe Frau Mai,

ich habe mit viel Freude Ihre Hausarbeit gelesen und korrigiert. Sie haben meiner Meinung nach die Theorie (die manchmal etwas mühsam sein kann) gut in Ihre Analyse einbezogen und erklärt. Ihre interessante Fragestellung haben Sie anhand von gelungen Beispielen gut verdeutlichen können, mit einem klaren Ergebnis am Ende. Mehr dazu würde ich gerne persönlich in meiner Sprechstunde besprechen, machen Sie doch bitte einen Termin mit mir aus. Meine Sprechstundenzeiten finden Sie auf der Homepage des Instituts.

Herzliche Grüße,

Anne Michelsen

Ich las die Mail mehrmals hintereinander und war froh, dass meine Hausarbeit scheinbar doch besser ankam, als die Version in meinem Traum. Allein, dass sie sich als eine der wenigen Dozenten die Mühe machte, die Hausarbeit persönlich besprechen zu wollen, zeigte wieder einmal, wie viel ihr doch an ihrem Fach lag. Dennoch war ich mir unschlüssig, ob ich ihr direkt antworten sollte. In meinem Kopf ging ich mehrere Versionen durch, bis ich eine fand, die mir gefiel. Schon allein bei der Anrede war ich mir unsicher, entschied mich dann aber für die gleiche, die auch sie benutzt hatte.

Liebe Frau Michelsen,

Vielen Dank für Ihre schnelle Korrektur. Mir würde der Dienstag um 12:45 am besten passen. Ist der Termin bei Ihnen noch frei?

Liebe Grüße,

Hannah Mai

Am nächsten Morgen antwortete sie mir, dass es ihr passte und sie sich den Termin in ihrem Kalender eingetragen hatte. Doch allein dieser kurze Mailverkehr mit ihr machte mich nervös und der Gedanke an die Sprechstunde bei ihr, machte mich noch nervöser. Die Tage bis Dienstag vergingen wie im Flug und ich drehte innerlich komplett am Rad. Am Dienstagmorgen stand ich mal wieder eine Weile vor meinem Kleiderschrank und überlegte, was ich anziehen sollte. Um diese Sprechstunde machte ich mir mehr Gedanken als um so manches meiner Dates und im Endeffekt wird ihr es vollkommen egal sein, wie ich in ihrem Büro auftauchte. Dennoch entschied ich mich für eine schlichte, aber schicke schwarze Bluse mit Spitze am Ausschnitt und eine schwarze Jeans dazu. Meine Haare glättete ich extra und mein Make up versuchte ich wieder schlicht zu halten. Zum Schluss sprühte ich mich ausversehen noch mit ein wenig zu viel Parfum ein und machte mich auf dem Weg zum Institut.

Statt zu spät war ich diesmal viel zu früh und versuchte langsamer als sonst zum Institut zu gehen. Das Institut lag ein wenig abseits der Uni, in einem ruhigeren und wohlhabenderen Stadtteil. Das Gebäude war ein einfaches, aber großes Einfamilienhaus mit zwei Etagen. Beim Eintreten gelangt man sofort in einen Flur, der zu dem verschiedenen Räumen oder zu den Treppen in die anderen Etagen führt. Alles in allem wäre es sogar ein schönes Haus, um darin zu wohnen. Vor allem das Echtholzlaminat und der Stuck an den Decken, hätte ich mir auch für meine Wohnung gewünscht. Zudem hatte das Institut auch Balkon und einen eigenen Garten, der meistens für Feiern der Fachschaft genutzt wurde, bei denen wir grillten oder einfach gemütlich zusammensaßen.

Ich ging zunächst in das Büro der Hilfskräfte, um mich dort anzumelden. In so gut wie allen Räumen des Instituts waren hohe Bücherregale zu finden, die bis an die Decke reichten. Auch im Hilfskräftezimmer war ein solches Regal, in das Paula, eine Kommilitonin, gerade versuchte etwas einzuräumen.

"Ah, hey. Was kann ich für dich tun?", fragte sie, als sie den Stapel Bücher in ihren Armen in das Regal eingeräumt hatte.

"Ich hab einen Termin bei Frau Michelsen. Ist noch jemand bei ihr, oder kann ich schon hoch?", fragte ich und versuchte mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen.

"Moment, ich rufe kurz oben an.", sagte sie und wählte eine Nummer. "Hallo Anne, Hannah Mai ist schon wegen der Sprechstunde da. Kann ich sie zu dir hoch schicken?" In dem Moment merkte ich, dass ich leicht eifersüchtig wurde. Paula schien sich scheinbar gut mit ihr zu verstehen und ich wünschte, dass ich so locker mit Frau Michelsen umgehen könnte.

Paula sagte mir, dass sie schon Zeit hatte und ich machte mich auf den Weg zum Büro von Frau Michelsen. Schon während ich die Treppen hochstieg merkte ich, wie schnell mein Herz schlug und das hatte nichts mit meiner fehlenden Ausdauer zu tun. Vor ihrer Tür hing wie in meinem Traum ein Schild, auf dem ihr Name stand. Ich atmete tief durch und beschlosss an die Tür zu klopfen, in der Hoffnung, mich einmal nicht völlig in der Gegenwart dieser Frau zu blamieren.

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