Kapitel 7

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Als ich die Tür zu ihrem Büro öffnete, stand Frau Michelsen auf und kam mir entgegen. Sie trug zu meiner Überraschung eine dunkelblaue Jeans, die ihre tolle Figur betonte. Die weiße Bluse und ihre Chucks waren schlicht, wie immer.

„Frau Mai, freut mich Sie zu sehen. Wie geht's Ihnen?", fragte sie mich zur Begrüßung und lächelte breit. Sie streckte mir ihre Hand entgegen, welche ich ergriff. Allein über diese kurze Berührung freute ich mich innerlich mehr, als ich es eigentlich sollte.

„Ganz gut, danke. Ich scheine ja zumindest nicht durchgefallen zu sein.", antwortete ich, während wir uns gemeinsam an den Tisch setzten. Wenn sie dachte, dass ich nervös wegen meiner Note sei, würde sie wenigstens nicht darauf kommen, dass es an ihr liegt.

„Hatten Sie etwa Zweifel daran?", fragte sie ungläubig und zog dabei eine Augenbraue hoch. Anders als in meinem Traum saß sie mir gegenüber und machte mich damit nur verrückter.

„Oh ja, ich bin ziemlich selbstkritisch.", gab ich zu und zuckte leicht mit den Schultern.

„Das kenne ich von mir, ich neige auch zum Perfektionismus. Aber Sie brauchen gar nicht so kritisch mit sich zu sein. Ihre Hausarbeit war wirklich gut. Das mit dem Spaß am Lesen war keine Floskel, sondern ernst gemeint. Sie haben eine tolle Hausarbeit geschrieben, es gab nur beim Zitieren und bei einem Ihrer Argumente ein paar Unstimmigkeiten, aber Sie können wunderbar mit Worten umgehen.", fuhr sie fort und obwohl ich geschmeichelt von ihren Worten war, musste ich lachen.

„Was war daran jetzt so witzig? Sie können mir das wirklich glauben." Sie schien überrascht zu sein.

„Wie soll ich Ihnen das abkaufen, wenn Sie mit der Sandwich-Methode anfangen?" Die Sandwich-Methode war vermutlich das Erste, was man im Studium lernte, um andere schonend zu beurteilen. Passend zu ihrem Namen, verpackte man die eigentliche Kritik zwischen zwei positiven Aussagen, damit die andere Person sich nicht angegriffen oder schlecht fühlt.

„Euch Lehrämtlern kann man da auch nichts vormachen, oder?" fragte sie und lachte nun auch.

„Unterschwellig kritisieren lernen wir von Anfang an. Aber ich halte das ehrlich gesagt für unnötig und bin lieber ehrlich und direkt. Und das erwarte ich auch von anderen.", erklärte ich und war überrascht davon, dass ich normal mit ihr reden konnte.

„Dann würde ich sagen, schauen wir uns Ihre Hausarbeit einfach zusammen an und Sie kriegen Ihre gewünschte schonungslose Wahrheit." Frau Michelsen stand auf und suchte meine Hausarbeit aus ihren Unterlagen raus. Dann kam sie zurück an den Tisch und setzte sich neben mich, damit wir gemeinsam in meine Arbeit schauen konnten. Wir gingen die ersten Seiten durch, doch ich konnte mich kaum konzentrieren. Obwohl ich vorhin noch relativ entspannt war, tanzten jetzt wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich saß so nah an ihr, dass ich vollkommen überfordert mit der Situation war. Zu gerne hätte ich ihr Gesicht in meine Hände genommen und sie einfach geküsst.

„Wenn man Ihrer Argumentation folgt, merkt man, dass Geschichte Ihr Zweitfach ist. Sie haben den historischen Kontext des Buches und der Geschichte wirklich gut mit eingebaut und interessante Analysemöglichkeiten dadurch aufgedeckt. Das hat mir wirklich gut gefallen, vor allem weil Sie die Zusammenhänge so einfach erklären konnten, ohne dass ich selbst nochmal was nachschauen musste.", ein leichtes Grinsen umspielte ihre Lippen und sie machte ihre übliche Geste und fuhr sich durch die Haare. Das war leider der Moment, der mich völlig aus dem Konzept brachte. Frau Michelsen schien das allerdings nicht zu bemerken und fuhr mit ihren Erklärungen fort. Doch ich hörte ihr gar nicht weiter zu, sondern schaute sie in aller Ruhe von der Seite an und war fasziniert von ihrer Schönheit. Selbst von nahem sah sie makellos aus, obwohl ein paar kleine Fältchen um ihre Augen zu erkennen waren, die einem sonst gar nicht auffielen. Ich fragte mich, wie alt Frau Michelsen wohl war. Das konnte ich bisher noch nicht rausfinden. Allerdings schätzte ich sie zwischen 32 und 35 Jahre.

„Ist alles ok? Habe ich irgendwas im Gesicht?", fragte Frau Michelsen. Ihr war scheinbar aufgefallen, dass ich ihr nicht mehr zugehörte. Völlig perplex suchte ich schnell nach einer Antwort.

„Nein, alles ist in Ordnung. Ich habe bloß überlegt, ob Ihre Augen blau oder grün sind." Hannah, du Idiot. Auch Frau Michelsen schien kurz aus der Fassung zu sein, denn zu meiner Überraschung färbten sich ihre Wangen leicht rot. In was für eine dumme Situation hatte ich uns da gebracht?

„Oh, die sind grün. Aber nachdem Sie meinen Blicken immer so standhaft bleiben, hätten Sie das schon längst erkennen können." Jetzt merkte ich, wie es diesmal mein Gesicht war, das rot wurde. War sie gerade mit ihr am flirten?

„Da haben Sie ja direkt noch eine schlechte Angewohnheit von mir entdeckt.", entgegnete ich ihr.

„Schlecht würde ich das nicht nennen. Nur ist es den meisten unangenehm und sie halten nicht lange Blickkontakt. Da fällt es natürlich auf, wenn jemand so gar kein Problem damit zu haben scheint.", antwortete sie mir und spielte währenddessen mit dem Anhänger ihrer Kette.

„Sie haben jedenfalls schöne Augen, in grün umso mehr.", rutschte es aus mir raus, ohne dass ich darüber nachdachte. „Aber ich wollte Sie nicht unterbrechen, Entschuldigung.", versuchte ich mich aus der Situation zu retten und hoffte, dass sie nicht weiter darauf eingehen würde.

„Kein Problem, für ein Kompliment lasse ich mich gerne mal unterbrechen. Wir waren ja auch fast fertig. Vielleicht gehen wir den Rest noch durch?", sie schien sich tatsächlich über das Kompliment zu freuen und grinste weiter vor sich hin, während wir meine restliche Arbeit besprachen.

Anders als in meinem Traum war Frau Michelsen wirklich überzeugt von meiner Hausarbeit und bewertete sie mit einer 1,7 was mich doch überraschte. Meine Hausarbeiten waren zwar nie besonders schlecht gewesen, allerdings wusste ich, dass Frau Michelsen einen hohen Anspruch an ihre Studenten hatte. Als wir fertig mit der Besprechung waren, lehnte sie sich zurück und fragte, ob ich dieses Semester noch eine Arbeit bei ihr schreiben müsse. Allerdings musste ich in ihrem Fach keine mehr schreiben. Die letzte Arbeit, die noch übrig blieb war die Bachelorarbeit, wovon ich ihr erzählte.

„Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Bachelorarbeit gerne bei mir schreiben. Ich habe zwar schon viele Kandidaten, aber wenn Sie mir ein interessantes Thema liefern, korrigiere ich Ihre gerne auch noch. Sie wissen ja jetzt, dass ich ein Fan Ihrer Arbeiten bin.", bot sie mir an.

„Ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht sicher über mein Thema. Besser gesagt, habe ich mir bisher kaum Gedanken darüber gemacht.", gab ich ihr gegenüber zu. Die Arbeit lag für mich bisher in so weiter Ferne, dass ich die Gedanken daran lieber verdrängt hatte.

„Dann schlage ich Ihnen vor, dass Sie in ein oder zwei Wochen nochmal in meiner Sprechstunde vorbeischauen und am besten ein Exposé mitbringen. Machen Sie sich einfach ein paar Gedanken und überlegen Sie sich in Ruhe, was Sie interessieren könnte. Wenn Sie dann immer noch, oder wieder Zweifel haben, überlegen wir gemeinsam.", schlug sie mir vor.

„Zwei so kritische Personen kommen sicherlich zu einem guten Ergebnis", sagte ich sarkastisch und packte meine Sachen ein. Frau Michelsen lachte kurz über meine Bemerkung und brachte mich noch zu ihrer Tür, um mich zu verabschieden. Glücklich ging ich die Treppe herunter und wusste, dass ich mein Grinsen heute nicht mehr loswerden würde.

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