Epilog

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Annes Sicht

Einen Menschen zu verlieren, den man liebt erschien mir bisher immer als das Schlimmste, das einem widerfahren konnte. Durch den Tod war dies unausweichlich, wir alle erleiden im Laufe der Zeit dieses Schicksal. Doch einen geliebten Menschen dadurch zu verlieren, indem man ihm oder ihr sein Herz brach, zeigte sich ebenfalls als schmerzhafte Erfahrung. Eine Erfahrung, die ich innerhalb kurzer Zeit gleich zweimal durchlebte. Ich fühlte mich als würde ich in einer endlosen Schleife aus Schmerz und Schuldgefühlen rotieren und fand trotz all meiner Versuche keinen Weg heraus. Mein Kopf spielte verrückt, ähnlich wie mein Gewissen. Mal war es zu stark, mal zu schwach. Auch wenn Hannah nicht der Auslöser für die Trennung von mir und Daniel gewesen war, so war sie einer der Gründe dafür. Nie hätte ich von mir selbst gedacht, dass ich einmal meinen Mann betrügen würde und schon gar nicht mit einer meiner Studentinnen. Doch Hannah war weit mehr als das. Sie gab mir das Gefühl mit ihr das Glück neu erfinden zu können. Schenkte mir den Mut, alles auf eine Karte zu setzen und ich hatte bis zuletzt das Gefühl gehabt endlich wieder zu gewinnen. Alles mit ihr fühlte sich gut und richtig an, jedoch schaffte ich es nicht mich von dieser Richtigkeit vollends zu überzeugen. Ich fühlte mich unsicher, weil ich mich nicht wiedererkannte. Mit mitte dreißig dachte ich eigentlich, zu wissen wer ich sei. Ich kannte meine Stärken und meine Schwächen, fühlte mich wohl in meiner Haut und stand hinter jeder meiner Entscheidungen. Zumindest bis ich Hannah kennenlernte und sie meine ganze Welt auf den Kopf stellte. Die anfängliche Sympathie ihr gegenüber hatte ich anfangs belächelt und hingenommen. Ich schätzte ihre Begeisterung für mein Fach, zumindest redete ich mir das ein. Doch die Sympathie wuchs zu etwas ganz anderem heran und zog mich so in diesen Strudel aus Chaos. Blick für Blick, Lächeln für Lächeln verfiel ich ihr mehr und wollte es mir lange nicht eingestehen. Wollte das Kribbeln, das ich spürte, wenn ihr Blick auf mir ruhte nicht wahrhaben und schon gar nicht die Schmetterlinge in meinem Bauch, die ihre Komplimente in mir auslösten. Zu gern hätte ich von Anfang an gewusst was in ihrem hübschen Kopf vor sich ging. Ich spürte, wie meine Nähe sie nervös machte und ich gab mein Bestes, um sie aus der Reserve zu locken. Mir schmeichelte ihre Zuneigung, die ich mit jedem unserer Treffen deutlicher spürte. Mich hatte einfach ihr ganzes Wesen in den Bann gezogen, von ihren roten Lippen mal ganz zu schweigen. Und so sehr ich versuchte dagegen anzukämpfen, jede Minute die ich mit ihr verbrachte, schloss ich Hannah mehr in mein Herz.

„Ist der Platz noch frei?", hörte ich auf einmal einen Mann neben mir sagen. Ich nickte bloß zerstreut, heute hatten schon genug sinnlose Worte den Weg aus meinem Mund gefunden. Ungewohnt naiv hatte ich gedacht, dass ich dieses Gespräch mit Hannah in Ruhe führen könnte. Hatte auf ihr Verständnis und ihre Vernunft gesetzt und konnte ihr ihre Reaktion gleichzeitig nicht verübeln. An ihrer Stelle hätte ich genauso gehandelt. Vermutlich hätte ich mir selbst noch viel mehr an den Kopf geworfen. Doch Hannah hatte ihre Wut und ihre Enttäuschung runtergeschluckt, lediglich ihre wässrigen Augen zeigten, was ich angerichtet hatte. Am liebsten hätte ich sie einfach zurück in meine Arme gezogen und mich für meine Dummheit entschuldigt. Aber ich wollte fair bleiben, wollte sie nicht weniger aufrichtig lieben als sie es verdiente. Ich konnte ihr nicht das geben, was sie brauchte. Und genau das war es, was ich besser wusste als sie es gerade verstand. Und so sehr ich meine Entscheidung in diesem Moment bereute, wusste ich doch, dass es die richtige war.

Als der Mann neben mir Platz nahm, stand ich auf und machte mich auf den Weg zurück zu meinem Auto. Auch nach diesem Gespräch fühlte ich mich alles andere als erleichtert, ganz im Gegenteil. Ich spürte den Druck in meinem Brustkorb und die schwere Last auf meinem Herzen. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass man tatsächlich von einem gebrochenen Herzen sterben kann. Konnte ein Herz sogar zweimal brechen und würde es das Risiko verdoppeln? Das Aufleuchten von meinem Auto, erlöste mich aus meinen Gedanken, die mir langsam aber sicher absurd vorkamen. Ich war komplett von der Rolle. Das merkte ich spätestens, als meine Hände zitternd das Lenkrad umfassten. Reiß dich zusammen, Anne. Du hast dich richtig entschieden, sagte ich mir in Gedanken und versuchte mich damit zu beruhigen. Ich hasste es manchmal so ein Kopfmensch zu sein und mir ständig viel zu viele Gedanken machen zu müssen. Doch ich konnte die Grübelei nicht abschalten. Da half auch mein viel zu lautes Radio nicht. Um meinen Gedanken zu entkommen, konzentrierte ich mich auf die Worte, die aus den Lautsprechern meines Autos erklangen. Auch das war vielleicht nicht gerade die beste Idee, denn sie trafen mitten in mein Herz und lösten einen neuen Strudel von Gedanken in meinem Kopf aus. Die Bilder spielten sich einfach in meinem Kopf ab, schenkten mir meine ganz eigene Privatvorstellung. Es waren seit Tagen dieselben Bilder, die mein Gedächtnis abgespeichert hatte. Immer wieder spielte sich die folgende Szene in meinem Kopf ab:

SemesterliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt