Kapitel 12

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„Wie konntest du mich dazu überreden zur Uni zu kommen? Wenn ich dieser Frau noch eine weitere Stunde zuhören müsste, springe ich freiwillig aus dem Fenster.", stöhnte Basti. Basti hatte ich letztes Jahr in einem meiner Geschichtsseminare kennengelernt, nachdem mein Kaffee aus Versehen auf seinen Notizen gelandet war. Als Entschuldigung gab ich ihm einen Kaffee aus und wir meisterten seitdem das Studium gemeinsam.

Basti war ein Frauenheld, ein wenig zu sehr von sich selbst überzeugt und gut im Sprüche klopfen. Gefühlt war ich die Einzige auf dem Campus, die ihm nicht verfiel. Und obwohl Basti viele Eigenschaften besaß, die mich öfters auf die Palme brachten, hatte ich in ihm einen unverzichtbaren Freund gefunden. Ich war von Anfang an ehrlich zu ihm gewesen und hatte ihm erzählt, dass ich auf Frauen stehe. Nach einer kurzen und sinnlosen Diskussion darüber, ob er mir das jetzt glauben soll oder nicht, unterstützte er mich in meinen hoffnungslosen Fällen beinahe so sehr wie Julia. Doch so sehr ich ihn für Gespräche über Frauen, gemeinsamen Alkoholkonsum und fürs shoppen motivieren konnte, umso weniger gelang mir dies in der Uni.

„Wir waren die letzten Wochen schon nicht mehr hier, weil wir ausschlafen wollten. Irgendwie müssen wir ja auch die Klausur bestehen, falls ich dich daran erinnern darf.", sagte ich. Ich konnte ihn gut verstehen, die Mittelaltervorlesung war so gut wie das Schlimmste im Studium: Die meiste Zeit langweilig, es mussten zu viele ähnliche Namen und Daten gelernt werden und vor allem waren die Professoren zum Einschlafen.

„Darfst du, aber das bringt nichts. Ich kann mich bei dieser Stimme nicht konzentrieren und zum Mitschreiben bin ich zu müde. Ich versuche uns mal ne Zusammenfassung aus den letzten Semestern zu besorgen.", antwortete Basti und legte seinen Kopf wieder auf den Tisch.

„Das wäre unsere Rettung, vielleicht ist dein Aufreißen ja doch noch für etwas gut.", sagte ich und stützte meinen Kopf ebenfalls ab.

„Dafür sind Brüder doch da.", nuschelte er in Richtung Boden und brachte mich zum Lachen. Die letzte halbe Stunde der Vorlesung zog sich weiterhin in die Länge und es schien fast jeder dasselbe zu denken. Die meisten anderen im Hörsaal schauten auf ihre Handys,  tippten auf ihrer Tastatur rum oder aßen. Auch ich wollte und konnte der Professorin nicht zuhören und konzentrierte mich lieber auf die Youtube-Videos, die das Mädchen vor uns in der Reihe schaute. 

Als die Vorlesung vorbei war, weckte ich Basti, indem ich durch seine dunklen Haare wuschelte und erstmal ein Murren erntete.

„Da ist aber jemand empfindlich. Liegen die Haare jetzt nicht mehr?", fragte ich ihn und zog eine meiner Augenbrauen hoch.

„Das muss ich mir ausgerechnet von einer Frau anhören?", konterte Basti und legte seine Hand auf meine Schulter, als wir die Treppe runtergingen. Die anderen Studenten drängten sich an uns vorbei, hier herrschte immer Chaos.

Doch Basti und ich hatten es nicht eilig und gingen gemütlich in das Nebengebäude, in dem unten ein kleines Café war, wo wir uns erstmal was warmes zu Trinken bestellten. Gemeinsam suchten wir uns einen der kleinen Tische aus, die am Fenster standen. Um uns herum war das Publikum bunt gemischt, von jungen Studenten bis zu den Seniorenstudenten, die vereinzelt Vorlesungen und Seminare besuchten. Alle saßen im Café verteilt und waren wahrscheinlich froh, der Kälte draußen zu entkommen. Der Herbst neigte sich langsam dem Ende zu, es wurde sichtlich grauer und trostloser. Basti rührte mit dem kleinen Holzstäbchen in seinem Cappuccino rum, scheinbar unentschlossen, ob sein Getränk noch zu heiß zum probieren sei. Amüsiert schaute ich ihm dabei zu, wie er doch einen Versuch wagte und sich die Zunge verbrannte.

„Wie läuft es mit deiner Arbeit?", fragte er und erinnerte mich dabei schlagartig daran, was mich heute den Rest des Tages erwarten würde: Das Schreiben.

„Ganz gut. Ich bin jetzt ungefähr bei der Hälfte, aber werde von Tag zu Tag unmotivierter. Das ganze Zitieren und aus den ganzen Büchern die wichtigsten Dinge rauszusuchen nervt langsam.", beschwerte ich mich bei ihm. Und leider sah ich keine Besserung. So sehr ich am Anfang motiviert war, hatte ich mittlerweile das Gefühl, dass es keine gute Entscheidung war, Frau Michelsen die Korrektur zu überlassen. Das Thema war nicht mal das Problem, viel mehr war ich ständig unzufrieden mit mir selbst und wollte unbedingt Frau Michelsen beeindrucken. Dadurch saß ich allerdings doppelt so lange als sonst beim Schreiben und ärgerte mich über mich selbst.

„Ich kann mich auch nicht mehr viel länger davor drücken, sonst ist die Frist abgelaufen, bevor ich begonne habe.", sagte Basti und warf den Kopf dabei in den Nacken.

„Ein bisschen mehr Ehrgeiz würde dir auch nicht schaden.", zog ich ihn auf.

„Ich bin ehrgeizig.", sagte er und grinste.

„Ja, nur leider in den falschen Gebieten.", lachte ich und schüttelte leicht den Kopf.

„Wie läuft es denn mit deiner Anne?", fragte er und trank nahm einen Schluck von seinem Cappuccino, diesmal ohne sich zu verbrennen. Ich hatte Basti vor ein paar Wochen von ihr und meinen Gefühlen erzählt, während wir angetrunken über das Leben philosophierten. Basti hatte zwar kein Verständnis dafür, dass ich auf ältere Frauen stand, nahm aber wenigstens meine Gefühle ernst.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Vor zwei Wochen hatte ich ja mein Referat bei ihr, das lief auch überraschend gut. Ihr Feedback war zumindest sehr positiv, ansonsten schreiben wir uns ab und zu mal Mails. Allerdings nur, weil ich zwei Fragen wegen der Arbeit hatte und sie letzte Woche krank war. Ich sollte mir das Ganze sowieso wieder aus dem Kopf streichen. Das wird am Ende eine Enttäuschung, wie sonst auch.", antwortete ich ihm und umfasste mit meinen Händen die warme Tasse.

„Glaube ich nicht. Du weißt, dass ich mich mit Frauen auskenne und wenn ich daran denke, was du mir immer so erzählt hast, liegt deine Chance bei ihr nicht bei null. Du bist wie ich: attraktiv, witzig, charmant. Wie soll da jemand wie Anne wiederstehen können?", fragte er mich und zog seine Augenbrauen hoch.

„Vielleicht, indem sie verheiratet ist und nicht auf jüngere steht? Mal abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich generell nicht mal auf Frauen steht. Dabei würde ich alles dafür tun, um diese Frau besser kennenlernen zu können.", beschwerte ich mich.

„Und mit ihr ins Bett zu gehen.", fügte Basti grinsend hinzu.

„Ja, das sowieso.", sagte ich und war schon dabei, mit meinen Gedanken an Anne abzudriften.

„Also den Fotos von ihr nach zu urteilen, können wir auch gerne einen Dreier starten.", schlug er vor und erntete bloß einen vielsagenden Blick von mir. Wenn ich jemals die Chance hätte, würde ich Anne sicherlich nicht teilen wollen.

Basti machte sich nach wenigen Minuten auf den Weg zu seinem nächsten Seminar, während ich mein Laptop aus der Tasche holte. Ich schaute aus dem Fenster und das Schicksal meinte es wohl gut mit mir. Ich erblickte Frau Michelsen, die einen roten Mantel und einen dicken Schal trug und wie immer viel zu gut aussah. Sie stieß mit Basti zusammen, der sich erschrocken umdrehte und seinem Blick nach zu urteilen zu merken schien, bei wem er sich da gerade entschuldigte. Frau Michelsen lächelte, versicherte ihm offensichtlich, dass alles okay sei und ging weiter. Basti schaute zu mir und als er sah, dass ich den Zusammenstoß mitbekommen hatte, grinste er und fasste sich theatralisch ans Herz. So ein Idiot. Dennoch lachte ich und schaute zur Tür, durch die Frau Michelsen gerade ging.

Mein Herz klopfte allein bei ihrem Anblick und ich versuchte mich zusammenzureißen. Frau Michelsen hatte mich noch nicht bemerkt, bestellte etwas vorne an der Theke und wartete dort auf ihr Getränk. Mein Versuch, sie nicht anzustarren scheiterte leider kläglich und als unsere Blicke sich trafen lächelte ich ihr kurz zu. Ich war versucht ihr zu winken, konnte mich allerdings noch früh genug davon abhalten. Sie lächelte zurück und machte den Eindruck, als würde sie sich sogar ein wenig freuen, mich hier zu sehen. Und mein Eindruck bestätigte sich, als sie mit ihrer Tasse in der Hand geradewegs auf meinen Tisch zukam.

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