Kapitel 10. Ein Unbekannter

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Die beiden Jungen kamen an dem großen Haus des Älteren an. Cooper schloss gut gelaunt die Türe auf und wurde schon von seiner blinden Mutter erwartet, welche an der Küchentür stand und die Arme vor der Brust verschränkt hielt.

"Wo warst du so lange, Coop? Du bist gut fünf Minuten zu spät.", Cooper seufzte bei der Anklage seiner Mutter. Er warf dem Jüngeren einen vielsagenden Blick zu und dieser Kicherte lautlos. Was ihn dazu trieb, wusste er nicht.

"Tut mir leid, Mum. Ich hab einen Freund mitgebracht." Freund war vielleicht doch ein wenig übertrieben, dachte sich Nate und musterte Cooper kurz von der Seite. Weder gut, noch lange kannten sie beiden sich, konnte man hierbei schon von Freundschaft reden? Der Hagere zweifelte daran.

"Ach.", sagte Coopers Mutter lediglich und bewegte ihren Kopf in die Richtung, in der sie den Freund ihres Sohnes vermutete. Cooper ging zu ihr, drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Stirn -der Junge war gut eineinhalb Köpfe größer als seine Mutter- und zog Nate dann ohne ein Wort zu sagen die Treppen nach oben.

Der Jüngere kam aus dem Staunen kaum noch heraus. Im Gegensatz zu seiner eigenen kleinen Wohnung ähnelte dieses Haus mehr einer Villa, auch wenn Cooper nicht so empfand. Für ihn war es ein ganz normales, Lichtdurchflutetes Haus in einer ruhigen Straße Atlantas.

Coopers Zimmer war hell gehalten. Man merkte, dass der Junge noch nicht sehr lange hier lebte. Noch nicht alle Kartons waren ausgepackt und manche standen sogar noch geschlossen im Zimmer herum. An der von der Tür aus linken Wand stand ein größes Bett, wecles fast doppel so groß wie das von Nate war. Daneben stand ein kleiner Nachtich, auf ihm eine Nachtlampe und ein Bilderrahmen. Nate ging hin und nahm das Bild neugierig in die knochige Hand. Auf dem Bild konnte er Cooper erkennen, neben ihm stand ein großer schwarzhaariger Junge, welcher seinen Arm brüderlich um Coopers Hüfte geschlungen hatte. Coopers Arm dagegen lag auf der Schulter des Fremden und beiden strahlten lachend in die Kamera. Es war ein sehr schnönes, ein sehr echtes Bild, wie Nate fand.

Trauer erfasste den Jüngeren. Er wollte auch so einen Menschen haben. So einen Menschen, mit dem er Lachen konnte, mit dem jedes Bild wunderschön aussah.

Cooper lächelte, als er bemerkte, welches Bild der Andere in der Hand hielt. "Das ist mein bester Freund. Kai. Er wohnt in Boston.", lächelte er und nahm Nate das Bild aus der Hand, stellte es zurück und setzte sich auf sein Bett. Vorsichtig setzte sich Nate neben seinen neuen Freund und machte es sich in einem Schneidersitz bequem.

Wieder huschte sein Blick durch das Zimmer des Älteren. An der gegenüberliegenden Wand stand ein großer Schrank, daneben war ein Regal an der Wand angebracht, Bücher, DVDs und CDs waren ordentlich nach Namen und Farben sortiert. Ein großer weißer Teppich lag auf dem Boden und sah fluffig aus. Nate hatte sich auch immer so einen Teppich gewünscht, aber seine Mutter hatte weder Zeit, noch das Geld und die Lust dazu, ihm so einen zu kaufen. Das Fenster führte von dem Boden bis hoch zu der Decke, eine Glastür führte auf einen kleinen Balkon, auf welchem bunte Geranien und Hibiskus fröhlich vor sich hin wuchsen. Ein Schreibtisch stand neben der Zimmertür. Er war noch nicht wirklich eingerichtet, ein paar kleine Kartons standen noch kreuz und quer auf ihm herum. Alles in einem war es ein sehr schönes und geräumiges Zimmer, schöner als das von Nate, wie dieser fand.

"Also...", riss Cooper den anderen Jungen plötzlich aus seinen Gedanken. "Willst du mir erzählen, was mit seinem Auge passiert ist?"

Nate blickte sich unwohl fühlend auf seine Füße, welche in schwarzen Socken steckten. Er wollte ihm nicht erzählen, dass seine Mutter ihn verprügelt hatte. Er fühlte sich schwach. Schwach, von eine Frau verprügelt. Er schämte sich, dass er sich nicht hatte wehren können. Innerlich kämpfte er mit sich selber, während Cooper ihn dabei beobachtete.

Thin boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt