Kapitel 20. Ein Unbekannter

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"Geh jetzt.", herrscht die alkoholisierte Frau ihren kranken Sohn an und forderte ihren Freund dazu auf, die Koffer aus dem Auto zu holen.
Auch wenn Nate versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, so verletzten die harschen Worte seiner Mutter ihn sehr. Mit vor Tränen glitzernden Augen folgte er den beiden Erwachsenden lustlos und noch immer verwirrt und fassungslos zum großen Steintor.
Die drei seltsamen Gestalten, unterschiedlicher hätte sie nicht sein können, passierten dieses Tor in die Hölle, und fanden sich schließlich mit zwei kleinen Koffern in der Einfahrt der Klinik wieder.
Durch die Bilder aus der Broschüre kam Nate dieses gesamte Senario seltsam bekannt vor und das schlechte Gefühl in seiner Margengrube, welchen ihn schon seit längerer Zeit verfolgte, verstärkte sich. Dimitri zwinkerte ihm aufmunternd zu, jedoch ließ es ihn nicht besser fühlen.

Er wurde doch tatsächlich abgeschoben. Ein schlechtes Gewissen gegenüber Cooper machte sich in ihm breit und vermischte sich mit dem unangenehmen Gefühl zu einem schrecklichen Großen.

Er hätte sich irgendwie verabschieden sollen. Auf der Fahrt schreiben. Jedoch hatte er ja nicht ahnen können, dass sie nicht nach Hause fuhren.

War es seine Schuld, dass niemand mehr bei ihm sein wollte? War er so ein schlimmer Zeitgenosse?
Mittlerweile war er sich zu fast hundert Prozent sicher, dass seine eigene Mutter ihn nicht mehr liebte. Wie sollte er sonst ihr Verhalten erklären? Wie konnte er deuten, dass sie ihn nicht mehr bei sich haben wollte?
Wie konnte er jetzt noch richtig leben, wenn er wusste, dass er niemanden mehr an seiner Seite hatte. Ob Cooper noch bei ihm war, wusste er nicht. Nate bereute es zu Tiefst, sich nicht von ihm Verabschieden zu können. Cooper war jeden Tag gekommen, der einzige, eigentlich, der jeden Tag kam. Und trotzdem war Nate nicht dazu gekommen, ihm bescheid zu sagen, dasa seine Mutter ihn gegen seinen Willen in diese Klinik steckte.

Am liebsten würde er jetzt weinen, doch wusste er nicht, ob dies so gut ankommen würde, wenn er einfach stehen bleiben würde, sich auf den Boden sitzend und anfangen zu weinen. Einfach den Frust raus zu lassen, nicht mehr zu halten. Wie sollte er es schaffen? Was würde ihn halten? Hielt ihn überhaupt noch etwas? Irgendetwas? Oder war es schon Hoffnungslos? Vorbei?

Zur selben Zeit stürmte ein Junge, komplett außer Atem und schwer keuchend, in die Lobby des Atlanta Hospitals. Er wusste, dass er spät dran war, doch anders als der Jüngere musste er zur Schule gehen.

Schnell meldete er sich beim Empfang an und lief mit schnellen Schritten zum Fahrstuhl. Während er wartete, machte er sich nervös Gedanken. Er war wirklich ziemlich spät dran. Nicht, dass Nate sich Sorgen machte oder, noch schlimmer, dachte, er hätte ihn im Stich gelassen. Nate war krank. Sein Kopf spielte ihm gerne Streiche. Vielleicht verweigerte er ja wieder das Essen, wenn er dachte, Cooper verloren zu haben.
Was wäre, wenn Nate alles falsch...

Pling.

Der Aufzug hielt und die Tür schwang lautlos auf.
Cooper ließ, so höflich wie er war, erst einmal einen älteren Mann mit Krücken aussteigen, ehe er selbst in dem kleinen Raum stand.
Er drückte, wie schon die Tage zuvor, auf die 3, welche darauf orange zu leuchten begann. Der Aufzug setzte sich in Bewegung und fuhr gemütlich in die Höhe. Der typische Krankenhaus Geruch brannte dem Jungen in der Nase und blickte in den Spiegel, welcher gegenüber der Fahrstuhltür hing.
Die bekannten, vor Sorge getrübten Augen starrten ihm entgegen und scennten seine gesamten Körper von oben bis zu seinem Bauchnabel, wo der Spiegel endete. Er selbst erinnerte sich an ein Gedicht, welches seine Mutter ihm früher vor vielen Jahren einst verlas. Es ging um einen jungen Mann, welcher sich selbst aus Sorge zu seinem kranken Bruder vernachlässigt. Cooper war schon aufgefallen, dass er sich verändert hatte.

Wegen Nate. Für Nate.

Cooper war es erst so richtig aufgefallen, als seine Schwester ihn heute darauf ansprach, wann er das letzte Mal duschen war. Er wusste es nicht. Entweder war er in der Schule, im Krankenhaus oder er schlief. Zeit fehlte ihm.

Thin boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt