Kapitel 29. Teil 3. Nate

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Und da standen wir nun.
Spliterfaser nackt, kein Stoff bedeckte uns. Das letzte mal, als mich jemand so entblößt gesehen hatte, war es meine Mutter gewesen, vor vielen vielen Jahren, als ich noch ein kleiner Junge gewesen war. Wo das Leben noch unbeschwert war. Gute, alte Zeiten.
Alin musterte mich nicht besonders lange, sondern kam langsam auf mich zu und griff nach meiner Hand. "Komm.", sagte er und lächelte, ganz friedlich, ganz sanft. Ich erwiderte den Druck an meiner Hand und ließ mich von ihm in die Dusche ziehen. Es war anstrengend, sich auf den dünnen Beinen zu halen, doch ich würde mir nicht die Blöße erlauben, vor Alin das Bewusstsein zu verlieren. Außerdem wollte ich mir selber nicht eingestehen, dass meine Beine schwach wurden. Schon schwach waren. Bestimmt, irgendwann, würde ich kaum noch Kraft zum stehen, geschweigedenn laufen haben. Angst machte sich in meiner Brust breit, als ich an so düstere Dinge dachte. Ich wollte nicht, dass es mir schlecht ging, dabei fühlte ich mich schon seit Jahren schlecht. Wo also war der Sinn, um weiter zu kämpfen? Einen Kampf zu führen, den ich nicht gewinnen konnte?

"Denk nicht dafüber nach.", unterbrach Alin mich und somit meine wirren Gedankenstrenge. Ob er wusste, was für düstere und quälende Gedanken durch meinen Kopf flossen, wie das Wasser der Dusche in den Abfluss? Wie der Regen, welcher an einer Fensterscheibe hinunter floss. Sich krampfhaft versuchte, an dem glatten Glas festzuhalten, doch versagte und gen Abgrund rollte.

Er reichte mir seine Hand, welche ich ohne zögern ergriff. Seine war angehmen warm, meine kam mir dagegen wie ein Eisklotz vor. Ich übte leichten Druck auf ihn aus, er zog mich sachte zur Dusche, öffnete die Duschtür und betrat mit mir das kalte Keramik der Dusche. Ich erinnterte mich, wie ich vor ein paar Tagen in der Dusche zusammen gebrochen war. Es waren keine schönen Erinnerungen, doch es lag in der Vergangenheit, gerade, in diesem Moment, beruhigte mich das kalte Gefühl unter meiner Fußsohle. Alin trat vor mich und machte den Wasserstrahl an. Zum Glück hatte er sich vor mich gestellt, das Wasser war eiskalt und prasselte erbarmungslos auf den erhitzen Körper meines Freundes nieder. Dieser zuckte leicht zusammen, doch stellte das Wasser wärmer und wartete darauf, dass es für mich angenehmer war. Der Duschkopf war so konstruiert, dass man den Schlauch nicht von der Wand entfernen konnte. Damit sich niemand erwürgen kann. wurde mir einst gesagt. Es hatte mich erschreckt, doch machte es auch Sinn. Schließlich lebten in dieser Klinik viele Menschen, die ihr Leben beenden wollten, egal wie und mit welchem Mitteln. Alin war so jemand. Und es beunruhigte mich. Ich hatte ihn ins Herz geschlossen. Man wird gut miteinander, wenn man 24 Stunden aufeinander hockt. Deswegen war ich auch froh, dass ich auf ein Zimmer mit Alin gekommen war. Ich half ihm, das wusste ich, und mir half er auch. Er wusste, was die ganzen magersüchtigen Mädchen über mich sagten. Dass ich, ein Junge, an einer Mädchen Krankheit erkrankt war und Ana und Mia nicht so verehrte, wie diese dürren Mädchen. Mit Zungen so scharf wie ein chinesisches Küchenmesser. Jonah hatte mal gesagt, dass ich tief in mir nur neidisch war, weil ich fand, sie waren dünner als ich, doch das stimmte nicht. Ich fand ihre Körper ekelhaft, schrecklich und abgemagert. Ich sah nicht so aus, und das war gut so. Vielleicht war ich krank, hatte eine verzehrte Wahrnehmung was meinen Körper betraf, doch ich wusste ganz genau, dass ich nicht so krank und dünn war wie diese Mädchen. So konnte ich gar nicht aussehen, dafür war ich schließlich viel zu fett. Alin hatte an diesen Tag, als es dunkel gewesen war und wir schon in unseren Betten lagen, seinen Verdacht zu diesem Thema geäußert. "Ich denke nicht, dass du neidig auf ihre Körper bist. Ich denke, dass du eher Angst hast, dass du genau so aussiehst. Und Nate, ich weiß, du siehst es nicht, aber es ist so. Nicht so stark, weil der Körper eines Jungen sich anders verwandelt als der eines Mädchens, aber im Grunde ist es das gleiche. Und das weißt du. Auch wenn du es nicht siehst. Mach die Augen auf." In dieser Nacht hatte ich nicht auf das geantwortet, was Alin mir ans Herz legte, doch in meinem Kopf hallten seine Worte noch Tage danach wieder. Er hatte recht. Irgendwie. Und ich musste nur noch warten, bis mein Kopf einsah, dass Alin ein Freund war und kein Feind. Das Essen ein Freund ist und kein Feind.

"Es ist glaube ich warm genug. Fühl mal.", riss Alin mich aus meinen Gedanken und führte unsere verschrenkten Hände unter den Wasserstrahl. Er hatte wieder recht, das Wasser hatte eine angenehme Temperatur. Wir drehten uns, Alin schloss die Tür und grinste mich an, als mein Körper umhüllt wurde. Das warme Wasser tat gut, entspannte meine verpannten Gelenke und legte meinen Kopf leicht in den Nacken.

"Danke... Alin.", sagte ich. Doch leichte Trauer machte sich in mir breit. "Aber.... Aber ich weiß noch nicht, ob ich bereit bin, gesund zu werden."

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Schöne Feiertage.

Wörter: 844

Thin boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt