Kapitel 16. Nate

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Mir ging es schlecht. Sehr schlecht. Sehr viel schlechter als sonst.

In der Schule schleppte ich mich nur noch voran. Immer wieder wurde alles schwarz vor meinen Augen. Ich hatte furchtbare Kopf- und Bauchschmerzen. Meine Sehnen brannten, besonders die in meinen Beinen. Es waren schreckliche Schmerzen, welche mich plagten.

Seit langer Zeit hatte ich wieder das Gefühl, hungrig zu sein. Unendlicher Hunger, welcher meine Kehle zusammen drückte. Luft holen fiel mir schwer.

Ich hatte keinen Hunger weil ich hunger hatte. Ich hatte auch keinen Appetit. Es war er dieses Gefühl, dass ich etwas essen musste, um nicht zu sterben. Verständlich. Die letzten Wochen hatte ich ziemlich übertrieben mit meiner Fasterei. Ich hatte die Schmerzen verdient. Irgendwie. Redete ich mir ein.

Egal wie dick ich mich anzog, mir war durchgehend kalt. Unglaublich kalt. So kalt, dass ich nicht aufhören konnte, zu zittern und zu bibbern.

Außerdem war ich müde. So müde.
Erschöpft. Ich wollte schlafen. In meinem Bett liegen. Doch selbst dort fühlte ich mich nicht mehr geborgen. Ich wünschte, meine Mutter hätte dort nie mit Dimitri geschlafen. Ich wünschte, sie hätte nie mit meinen Dad geschlafen und ich wünschte, ich wäre dabei nicht entstanden.
Ich wünschte, ich wäre tot.

Was würde ich nur dafür geben, auf Coopers kleinem Sofa zu liegen und seinem gleichmäßigen Atem zu folgen. Zu beobachten, wie er schlief. Ich mochte Cooper. Keine Frage. Aber mir ging es viel zu dreckig, um seine Hilfe zu suchen. Außerdem wollte ich sie gar nicht, wenn ich ehrlich war. Ich wollte, und vor allen brauchte sie nicht, redete ich mir ein.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag passierte es dann. Es war mitten in der Nacht, ich schätzte so ungefähr zwischen halb zwei und zwei, als ich durch schreckliche Brustschmerzen unsanft aus meinem unruhigen Schlag geweckt wurde.

Ich hatte das Gefühl, mein Herz würde jede Sekunde explodieren. Und dass war keine Metapher. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich wirklich Angst, dass nun mein Ende gekommen war.

Die ersten paar Minuten -oder Sekunden? Ich wusste es nicht. Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit.- kämpfte ich darum, endlich atmen zu können. Es klappte nicht. Und die Schmerzen wurden immer schlimmer.

Und dann ganz plötzlich, wieso auch immer, konnte ich wieder atmen. Ich schnappte nach Luft und keuchte und röchelte, als würde mein Leben davon abhängen. Was es schließlich auch tat.
Irgendwann hatte ich mich genug beruhigt, um mich leicht aufzusetzen. Ich bekam zwar wieder Luft, aber die Schmerzen waren noch so präsent, wie noch vor ein paar Minuten.

"Mum...", rief ich kratzig. Es war nicht mehr als ein Flüstern. Ich stöhnte vor Schmerz auf und griff an meine Brust. Das Atmen fiel mir wieder schwerer. "Mum!", rief ich wieder, diesmal lauter. Und schmerzerfüllter. Ich konnte kaum noch aufrecht sitzen, sackte in mir zusammen. Ein paar Schmerzenslaute waren zu hören. "MUM!", schrie ich so laut, dass es mich selbst erschreckte. Ich musste, wenn sie irgendwo gerade ihren Rausch ausschlief, was ich tot.

Vielleicht sollte ich irgendwie versuchen, Cooper anzurufen. (Mir fällt grade auf: Die brauchen dringend Nachnamen. Irgendwelche Vorschläge?)
Es war dunkel, ich sah mein Handy nicht. Außerdem schwankte die Welt in diesem Moment ziemlich stark.

Ich musste würgen. Die Schmerzen in meiner Brust ließen mich würgen. Wäre in meinem Magen irgendetwas gewesen, hätte ich mich mit Sicherheit übergeben. Doch so würgte ich nur. Mir fiel es schwer, wach zu bleiben. Wo zum Kuckuck war meine verdammte Mutter?! Mir fehlte die Kraft, nochmal nach ihr zu rufen.

Doch das brauchte ich gar nicht. In diesem Moment würde die Tür aufgerissen und das Licht eingeschaltet. Eine müde, aber entsetzte Frau im Morgenmantel stand in der Tür und starrte mich schockiert an. Hinter ihr konnte ich verschwommen einen Mann erkennen. Anscheinend Dimitri. Doch auf ihn konnte ich mich nicht konzentrieren. Die Schmerzen wurden noch schlimmer, wenn das überhaupt noch möglich war. Mittlerweile verließen sogar Schreie meine Kehle. Mum und Dimka rannten zu mir, meine Mum fuhr mir besorgt und überfordert durch die Haare. Sie wirkte nicht betrunken und roch frisch geduscht.

Thin boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt