Wiedersehen

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„Mylady? Ihr müsst euch eilen, euer Bruder ist keine drei Seemeilen mehr entfernt." Eine rundliche Magd mit dicken Pausbacken öffnete die Vorhänge und morgendliche Sonnenstrahlen fluteten ihr Zimmer. „Mylady euer Begleiter ließ euch ein Kleid rauslegen. Ich habe es gesehen, wunderschön, jaja." Der noch verträumte Blick fiel auf die schillernde Seide die mit Spitzenakzenten verziert war. Ein dunkles blau, wie das Meer. Und mit ebenso schönen Wellen war der Saum gemustert. Sansa blinzelte stark, um sich den Schlaf aus den Augen zu vertreiben. Sie hüllte sich in einen improvisierten Morgenmantel aus leichten Decken und trat näher an das kostbare Gut heran. Der geschmeidige Stoff glitt durch ihre schmalen, blassen Hände.
Das Kleid passte wie angegossen. Der Schnitt umspielte ihre grazile Statur, schmiegte sich an Brust und Po, ohne jedoch zu viel zu zeigen. Ihr Haar kämmend, schlüpfte die junge Dame in ihre Schuhe und blickte aus dem Fenster. In den Straßen und im Hafen liefen viele Bürger, manche mit Karren und Esel andere mit einem so erhobenen Haupt, dass man meinen könnte sie würden sogleich abheben.
Als sie ihr glattes Haar über die Schulter warf und ihre Stube verließ, wartete bereits Gendry unten auf sie. „Verzeiht mir, ihr müsst doch schon eine Ewigkeit warten." Er winkte mit der Hand ab. „Sansa ich bin gerade erst angekommen. Lord Baelish bat mich noch einmal die Bestandsaufnahme zu wiederholen, um so schnell wie möglich aufzubrechen." Er bat ihr seinen starken in weinrotes Leinen gehüllten Arm an um sie an den Dock zu geleiten.
Vorort konnte sie schon das anmutige Schiff sehen. Hellgraue Segel und am Bug schäumte die Gischt um den fraulichen Körper der Galionsfigur. Einige Möwen flatterten um den größten Mast. Weißes Haar. Daenerys stand zum Ufer gewandt, und neben ihr die Gestalt eines großen, dunkelhaarigen Schönlings. Sansas Puls beschleunigte sich: ihr Bruder ! Wie sehr fehlte ihr ihre Familie. Verbittert fügte sie in Gedanken hinzu: oder zumindest das, was die Lannisters ihr gelassen hatten. Ursprüngliche neun waren nur noch mehr oder weniger vier einhalb, wenn man Theon noch irgendwie dazu zählen konnte. Der fischige Geruch der Marktstände hinter ihr, holte Sansa zurück in die Gegenwart, denn dort war ein Teil ihrer Familie, jemand auf den sie sich verlassen konnte. Das Schiff verlangsamte sich, Taue wurden befestigt, Wege geräumt und als Jon den ersten Schritt wieder an Land machte, war Sansa schon längst von ihrem Gefühlswall überrannt worden, während sie sich gerade zu in seine Arme warf. Sein tiefes Lachen brummte in ihrem Brustkorb nach. „Sansa, ich freu mich auch dich zu sehen." Seine Stimme wurde sanfter und er strich ihr die kleinen zerzausten Haarsträhnen glatt: „Wir müssen unbedingt reden." Als sie sogleich die Augen aufschlug, noch mit unscharfen Blick durch die Freudentränen, konnte sie unschwer die Mutter der Drachen ausmachen. Die Rothaarige wischte sich ihre feuchten Augen am dunkelblauen Ärmel ab. Die Targaryen trug ebenfalls ein blaues Kleid, doch aus robusten Stoff, was ihr Auftreten als Eroberin nur noch unterstrich. Und plötzlich fiel ihr ein, dass sie doch glatt ihre Manieren vergessen hatte. Flüchtig vollzog sie einen Hofknicks, bei dem ihre Seide ihr von der Meeresluft um die langen Beine flatterte. „Willkommen. Ich habe schon viel Gutes von euch gehört." Und auch viel weniger gutes, fügte sie in Gedanken hinzu. Denn damals während der grauenvollen Zeit am Hofe Königsmunds war  die Sprengerin der Ketten in aller Munde, und man konnte sagen was man will, aber die Spione von Cersei hatten Geschick und berichteten auch von einem roten Schleier, den Daenerys über das Land legte.
Die blonde Königin nickte ihr respektvoll den Kopf zu: „Ich habe auch gehört, dass ihr nicht unterschätzt werden solltet." Um die eintretende peinliche Stille zu überbrücken schritt Gendry vor, hinter ihm Lord Baelish. „Eure Hoheit, ich bin unglaublich beeindruckt von euren Taten. Die Sprengerin der Ketten, so heißt es, sei im Führen vielen Herrschern weit voraus." „Und seid ihr auch beeindruckt, wie viele gute Männer und Frauen deswegen sterben mussten?" Jeder sah, das Gendry diese Entgegnung nicht erwartet hatte, so gleich trat Petyr hervor und übernahm das Wort. „Lord Petyr Baelish, meine Königin. Ihr habt wohl recht, dass viele sterben mussten, doch wer ahnt es, welche viel größeren Opfer es verhindert hat? Ich weiß selbst, wie es am Hofe zugeht, und so lasst mich sagen, eine neue Ära begann mit der Mutter der Drachen für Land und Bewohner. Auch weit weg von Westeros schätzt man euch, und das hörte man sowohl vor, als auch nach Meereen. Gesegnet sei die Zukunft mit Frauen wie euch." Und er nahm ihre zart weiße Hand und küsste sie sacht, nur um sich danach sofort zu verbeugen. Seine Hände, fiel Sansa auf waren über die vielen Wochen der Reise gebräunter geworden, ebenso sein Gesicht, wodurch der Kontrast zu seinem Haar nur noch verstärkt wurde. All die Eleganz, die er an den Tag legte mit seinem dunkelblauen Mantel und dem darunter in schwarzgefärbten Samt liegenden Hemd, all den Gestiken und Mimiken, die er über Jahre in Königsmund perfektioniert hatte, wurde vernichtet durch den lila Schatten um seine dunklen Augen. Plötzlich warf er Sansa einen Blick zu, nur ganz flüchtig, und ihr lief ein Schauer über den Rücken.
„Ach ja, Lord Baelish, schön euch wiederzusehen. Lang ists her?" Hinter Daenerys trat ein Mann hervor mit einer dunkelroten Robe, geschmückt mit fremden, schwarzen Mustern. Varys. Er nährte sich Petyr mit der Geschmeidigkeit einer Schlage. „Lord Varys, so kommt es und wie spielen wieder auf der selben Seite."
„Vielleicht auf der selben Seite, aber nicht um den selben Preis, wie ihr wisst, mein Freund. Ich darf euch doch Freund nennen?"
Petyr warf ihm das freundliche Gesicht zu, das man hatte, wen man dem anderen den Hals umdrehen möchte.
„Gewiss, nach solcher Zeit und Strapazen, wärt ihr nicht minder mein Freund."
Nach etlichen formellen Begrüßungen und Absprachen hatte Varys die Gunst der Stunde ergriffen und spazierte mit Petyr an der Promenade entlang.
„Und Lord Baelish? Wie viele einsame Schatten folgen mir heute?"
„Nicht minder als mir. Wie kommt ihr denn zu einer Frau?"
„Daenerys? Sie ist die rechtmäßige Erbin und sie macht ihrer Position als Mutter der Drachen doch ziemlich überzeugend. Und warum ist das so überraschend? Ihr folgt doch selbst einer Frau auf Schritt und Tritt. Und beim unsrigen Vergleich, vertraue ich Daenerys nicht aufgrund animalischer Grundinstinkte."

Don't trust me, SweetlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt