Kapitel 2

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Sowas hatte es bei uns noch nie gegeben. Alle von uns hatten zum gleichen Zeitpunkt an den Auditionen teilgenommen, manche sogar online per Videos und wurden dann ausgewählt. Wie bereits erwähnt verließen manche das Entertainment, aber dass jemand neu zu uns stoß, war noch nicht vorgekommen. „Hm, ich frage mich nur...", erhob nun Minah ihre Stimme und schlagartig wurde es in der Umkleide still und alle Augen richteten sich auf sie. Sie war die typische Definition eines beliebten Teenagermädchens, hatte unglaublich viele Freunde, konnte sowohl gut singen als auch tanzen und sah dabei zugegebenermaßen auch noch echt hübsch aus. Das Einzige hässliche an ihr war ihre Persönlichkeit, die ich überhaupt nicht ausstehen konnte. Aber die anderen Mädchen teilten meine unausgesprochene Meinung nicht und fanden sie wohl liebenswert und äußerst kultiviert oder so etwas in der Art, jedenfalls versuchte ich deswegen Minah eine zweite Chance zu geben. Die sie bisher meiner Meinung nach noch nicht genutzt, geschweige denn verdient hätte. „Wenn sie jetzt zu uns kommt, hat sie ja ein Jahr Ausbildung nicht mitgemacht. Vielleicht ist sie also eine Art Wunderkind." Minah stützte nachdenklich ihr Kinn auf ihre Hand. Dann verengten sich ihre Augen. „Vermutlich hält sie sich für etwas Besseres", sagte sie und schnaubte verächtlich. „Ich finde, wir sollten nicht über sie urteilen, wenn wir sie noch nicht kennengelernt haben", wollte ich die bisher Unbekannte leise verteidigen, doch mein Satz ging in den an Minah gerichteten Zustimmungen unter.

Wie die Neue wirklich drauf war erfuhren wir schneller als wir gedacht hatten. Noch am selben Abend als wir in der Cafetaria saßen, stattete ein Manager uns einen Besuch ab und hatte sie gleich mit im Schlepptau. Sie hatte lange, schwarze Haare die zu zwei Zöpfen geflochten wurden und entblößte bei dem Lächeln das sie uns schenkte ihre strahlend weiße Zähne. „Hey!", begrüßte sie uns aufgeweckt und hob ihre Hand. „Mein Name ist Park Siyeon und bin jetzt einer von euch SM Trainees. Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit mit euch", meinte sie und verbeugte sich kurz, dann sagte der Manager noch schnell etwas zu ihr und verließ dann unseren Tisch. Wenn ich an Siyeon's Stelle gewesen wäre, hätte ich mich etwas verloren gefühlt. Doch wie es ihr selbstbewusstes Auftreten schon gezeigt hatte, ließ sie sich nicht so einfach einschüchtern. Ohne auf irgendeine Einladung von uns zu warten, wählte sie den nächstbesten, freien Platz aus, denjenigen neben mir. „Ich darf doch, oder?", hatte sich mich freundlich gefragt, nachdem sie sich bereits auf den Stuhl gepflanzt hatte und ich war nur noch in der Lage überrumpelt zu nicken. Dann klatschte sie einmal motiviert in die Hände. „Also, was gibt's denn heute Leckeres zu essen? Ich habe einen Mordshunger." „Ramyeon", lautete unsere Antwort und ich fügte noch seufzend hinzu: „So gut wie jeden Abend." Anscheinend konnte nichts ihre Freude bremsen, denn sie erwiderte einfach nur „Super!" ohne ihre Euphorie zu verlieren. Ungläubig schaute ich sie von der Seite an. Sie sprühte geradezu vor Energie und Selbstbewusstsein. Ganz anders als ich, dachte ich und wurde kurz etwas traurig, da meine Unsicherheiten mir öfters mal im Weg standen. Als dann die Ausgabe geöffnet wurde und wir uns mit unseren Tabletts anstellen konnten, nahm sich Siyeon eine ziemlich große Portion der noch dampfenden Nudeln, was Minah mit einem pikierten Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm. „An deiner Stelle würde ich nicht so viel essen. Das setzt leicht an." Sie hatte sich selbst bei ihrem Teller wohl an die Mengenangaben eines überteuerten Sternerestaurants gehalten. Doch Siyeon winkte nur ab. „Ach was, wofür tanzen wir denn hier die ganze Zeit" und das ließ Minah erstmal verstummen. Wenn Siyeon weiterhin so kein Blatt vor den Mund nahm, mochte ich sie jetzt schon, dachte ich und schaute bewundern zu ihr auf.

Während des Essens unterhielt ich mich dann die ganze Zeit mit ihr, nachdem sie meinen Namen wissen wollte und darauf gebrannt hatte, ein Gespräch zu beginnen. Sie erzählte mir, wo sie herkam, dass sie mehrere ältere Brüder hatte, was ihr Lieblingsgericht war und dass sie schon mal ein Trainee bei einem anderen Entertainment gewesen war. Wir verstanden uns, in Anbetracht dessen, dass ich noch sehr wortkarg blieb, ziemlich gut und hatten einen ähnlichen Humor. Außerdem spürte ich zum ersten Mal die neidische Blicke der anderen auf mir ruhen, da Siyeon sich ausgerechnet mich, das stille Mauerblümchen als ihre erste Freundin hier ausgesucht hatte. Getoppt wurde das nur noch von der Tatsache, dass sie von nun an zu demselben Schlafraum gehörte wie ich. Selbst nachdem wir alle abends unter unseren Decken lagen und das Licht ausgeschaltet wurde, flüsterten wir noch miteinander.

„Und die bereits berühmten K-Pop Idols hier? Essen sie in einer anderen Mensa wie ihr?", wollte Siyeon zum Beispiel wissen. „Nö, aber zu anderen Essenszeiten", gab ich ihr Auskunft auf ihre Frage. „Du wirst also kaum plötzlich mit Exo oder Girls Generation ein Schwätzchen beim Essen halten können", stellte ich vergnügt klar und brachte Siyeon zum Lachen, was von der anderen Seite des Raums mit einem aufgebrachten „Seid doch mal leise, ich brauche meinen Schönheitsschlaf" quittiert wurde. Spaßeshalber legte ich den Finger auf die Lippen und senkte meine Stimme. „Dann sollten wir die Queen wohl besser nicht weiter stören und uns ebenfalls aufs Ohr hauen." Siyeon gähnte. „Keine schlechte Idee. Dann gute Nacht – und danke, Yeonhee." „Wofür?" „Dafür, dass du mich so freundlich aufgenommen hast." Ich lächelte vor mich hin und schloss meine Augen. „Gern geschehen."

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt