Kapitel 8

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„Aber was war es denn, dass dir den Schlaf geraubt hat?" Siyeons Interesse machte auch die anderen Mädchen neugierig. „Ist irgendetwas vorgefallen?", fragte Bora und lehnte sich wissbegierig nach vorne. Ich wägte ein paar Sekunden lang ab, ob es besser wäre ihnen alles zu erzählen oder ein paar, nun ja, Details auszulassen. Instinktiv entschied ich mich für Letzteres, um nicht noch mehr Wind mit schon allein der Erwähnung eines männlichen Trainees zu machen. „Nein, da muss ich dich leider enttäuschen. Ich war nur gestern Abend noch lange trainieren und habe deshalb nicht gerade sehr viel Schlaf bekommen", antwortete ich und gähnte dazu noch demonstrativ. Dank meiner lahmen Erklärung verflog die Neugierde der Mädchen augenblicklich. Auch Siyeon hatte ich damit abgewimmelt. Aber ich konnte es ihr ja wenn wir alleine waren noch berichten, vertröstete ich sie gedanklich auf später. Dann kümmerte ich mich erst einmal darum, mir ebenfalls einen Toast aus dem Brotkorb zu angeln. Er schmeckte selbst mit Marmelade etwas trocken, doch ich schluckte jeden Bissen widerstandslos herunter. Hauptsache es gab überhaupt etwas zu essen, dass einem genug Energie für den Start in den Tag gab.

Sprachunterricht war auch eins der Elemente auf dem Weg des Idol-Daseins. Neben Bruchstücken von Chinesisch und Grundlagen von Japanisch wurde uns darüber hinaus ein höfliches Benehmen und angemessene Sprache im Koreanischen beigebracht, im Hinblick darauf, dass wir auch in der Lage sein sollten Interviews zu geben oder sogar in Fernsehshows aufzutreten. Bisher übten wir solche Situationen nur mit unseren Lehrerinnen oder Partnerinnen, doch wer wusste schon, für wen das Gelernte in der Zukunft noch sehr relevant werden würde. Daher nahmen wir solche Übungen immer sehr ernst – im Gegensatz zu den Sachen, die weniger Spaß machten wie Vokabeln lernen. „Ich werde euch jetzt die Lektion abfragen, die ihr lernen solltet", kündigte unsere Japanischlehrerin an und sofort wurde es mucksmäuschenstill im Raum. „Ihr habt sie doch gelernt, hoffe ich", sagte sie eindringlich und sah streng über den Rand ihrer Brille hinweg in unsere betretenen Gesichter. Sie seufzte. „Wie könnt ihr das nur schon wieder vergessen haben", murmelte sie und nahm das Vokabelbuch von ihrem Pult, welches sie anschließend aufschlug. Nachdem sie geräuschvoll ein wenig hin und her geblättert hatte, blickte sie auf. „Die Konjugation könnt ihr aber noch, oder wollt ihr mir erzählen, dass aufgrund des anstehenden Konzerts die Kenntnisse unseres bisherigen Unterrichts vollkommen aus eurem Gedächtnis verschwunden sind?" Von hinten hörte man ein nervöses Kichern von einem Mädchen, das die besagte Ausrede bereits zu benutzen versucht hatte. Natürlich hielten wir aufgrund dessen jetzt auch unseren Mund. „Na dann, lasst uns das überprüfen..." Unsere Lehrerin rief zuerst Siyeon und mich nach vorne an die Tafel, wo wir schließlich verschiedene Verben beugen sollten. Ich wusste bisher nicht, wie es um die Fremdsprachenkenntnisse meiner Freundin stand. Vielleicht benötigte sie meine Hilfe? Doch dass sie fleißig neben mir mit einem Stift auf das White Board schrieb, beruhigte mich. Als die Lehrerin unsere Konjugation überprüfte und keinen Fehler fand, war sie äußerst zufrieden mit uns beiden. „Sieht so aus, als wären Sprachen nicht nur meine Stärke", merkte Siyeon glücklich an und hielt mir die Hand zum High Five hin. Ich schlug ein.

„Entschuldigung, darf ich kurz stören?" Wir hatten den Manager gar nicht bemerkt, der mittlerweile mit einem Fuß im Raum stand und seinen Kopf durch den breiten Türspalt steckte. „Natürlich", gab unsere Lehrerin von sich und bedeutete ihm mit einem Handzeichen, dass er doch fortfahren solle. „Ich bräuchte zwei oder drei Mädchen von Ihnen... könnten sie jemanden aus ihrem Unterricht entbehren?" „Kein Problem", sagte sie und adressierte sich daraufhin an Siyeon und mich. „Geht schon", befahl sie uns wohlwollend und zwinkerte uns zu. Aufgeregt folgten wir dem Manager aus dem Sprachunterricht und nahmen dabei sehr wohl das neidische Stöhnen der anderen Schülerinnen wahr, die im Gegensatz zu uns noch mehrere Stunden erwarteten.

„Ich dachte, das wird was Spannendes", sagte Siyeon und ließ die Schultern hängen. In ihrer Stimme schwang Enttäuschung mit. „Naja, es gibt Schlimmeres als..." Ich hielt inne und suchte nach den passenden Worten, die unsere Situation nicht mehr so lächerlich klingen ließen. Als ein lebendes Werbeschild von unserem Entertainment durch die Straßen zu ziehen? Überlegend zupfte ich mein pinkes Shirt zurecht, auf dem unübersehbar das SM Logo prangte. Siyeon, die mir gegenüberstand und mit jeder Sekunde, die verstrich während ich versuchte optimistisch zu bleiben nur noch unglücklicher dreinblickte, trug das gleiche. Die Oberteile hatte uns der Manager ausgehändigt, zusammen mit einem Stapel Flyer. Uns war die Aufgabe zugekommen, in der Stadt Besucher für das Family Konzert anzuwerben. Bestimmt hatten sie einige Auftritte der berühmten K-pop Idols zurückgezogen und jetzt interessierte sich niemand mehr für die Performances der Trainees und Rookies. Ich sah herüber zu dem kleinen Café auf der anderen Straßenseite.

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt