Kapitel 15

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Mit beiden Beinen fest auf den Boden gestellt und in leicht nach vorne geneigter Haltung erkannte ich Jaehyun in einem weinroten Sessel neben der Rezeption sitzen. Erwartend suchte er den Eingangsbereich ab und als er Augenkontakt mit mir herstellte, stand er auf und schwang seine blaue Jeansjacke über die Schulter. Ich stoppte ungefähr einen Meter vor ihm und wartete ab, ob er etwas zu sagen hatte. „Schön, dass du Zeit hattest. Ich dachte, wir könnten vielleicht ein bisschen rausgehen?" Fragend deutete er auf die Glastür, durch die man in das SM Gebäude ein- und ausging und durch die nun lockend die Lichtreflexe des schönen Herbstages fielen. „Klar, warum nicht", bejahte ich etwas angespannt und blickte zu Boden, als wir gemeinsam zum Ausgang liefen. Wie ein Gentleman hielt Jaehyun mir die Eingangstüre offen und lächelte mich an. Ich resignierte es ebenfalls mit einem verhaltenen Lächeln. Als wir das Gebäude verließen schlug uns eine angenehm frische Luft entgegen. Ich blieb kurz stehen und atmete tief ein und aus, um mich für das zu wappnen, was auch immer jetzt anstand. „Brauchst du das noch?", fragte Jaehyun und spähte dabei aufmerksam zu dem Trinkpäckchen, das ich noch immer bei mir hatte. Ich schüttelte den Kopf, also nahm er die Erdbeermilch und warf sie in einen leicht beschmutzten Mülleimer, der direkt vor dem Eingang platziert war.

„Lass uns gehen", bestimmte Jaehyun und ich folgte ihm in die entgegengesetzte Richtung des Stadtzentrums. Auf dem Weg beobachtete ich, wie die bunt gefärbten Blätter von den Bäumen fielen, die ihre knorrigen Äste in die Höhe streckten. Viele von ihnen blieben auf dem Gehweg liegen, so viele, dass Leute sie zusammenkehrten und rötliche Laubhaufen sich bildeten, denen wir auswichen. Ich mochte den Herbst. In der Regel war es nicht so kalt wie in den Wintermonaten, aber es lag auch keine erdrückende Hitze in der Luft. Aber ob fallende Blätter gegen Schneeflocken konkurrieren konnten? „Woran denkst du?" Scheinbar war Jaehyun daran interessiert, was in mir vorging. Oder er wollte mich einfach ein wenig aus der Reserve locken. „Ich mag den Herbst", antwortete ich wahrheitsgemäß und sein helles Lachen erklang in meinen Ohren. „Das mag ich an dir", gestand er mir verschmitzt und fuhr sich mit der Hand unsicher durch die Haare. „Du bist so direkt und ehrlich." Das Kompliment erfreute mich und eine innere Wärme fing an, sich in mir auszubreiten, zusätzlich zu den Sonnenstrahlen die durch die Baumkronen hindurch meine Nasenspitze kitzelten. Ich sollte vielleicht auch etwas zu dem Gespräch beitragen, fiel es mir dabei auf. „Dankeschön." Ich machte eine Pause. „Ähm, es gibt natürlich auch Sachen an dir, die ich mag", beeilte ich mich zu sagen, um ihm etwas zurückzugeben. Jaehyun entblößte sein breites Grinsen und seine Grübchen. „Das freut mich zu hören. Bist du übrigens gar nicht neugierig, wo es hingeht?", fragte er mich dann. „Hm", machte ich, „jetzt, wo du es erwähnst..." Ich musste lächeln. „Dieser glückliche Gesichtsausdruck steht dir." Meine Wangen begannen, sich zu röten. „Danke nochmal, schätze ich." Verlegen strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ging es so auf einem Date zu? Denn wenn das so war, war es zwar neu aber nicht unbedingt schlecht. Wenn bloß Siyeon mich so reden hören könnte... „Also alles verraten will ich nicht, aber ich kann dich fragen, ob du Eis magst." „Eis?", echote ich verwirrt.

Ehe ich mich versehen konnte, löffelte ich eine Viertelstunde später zwei Kugeln Eis aus einem Pappbecher. Daran Schuld war Jaehyun, der mit mir einen Halt an seiner Lieblingseisdiele gemacht hatte, wie er es mir anvertraute. Sie lag etwas abseits von den Hauptstraßen Seouls und war deswegen nicht so gut besucht, wie die, die direkt im Zentrum lagen. Aber, so versicherte er mir außerdem, war sie um Längen besser als die anderen Eisdielen. Und dem Stracciatella nach zu urteilen, konnte ich ihm da nur Recht geben. Auch, wenn ich es anfangs für bizarr hielt, im Oktober noch Eis zu essen. Doch die gefrorenen, leicht bläulichen Lippen waren das Ganze wert. Nur fröstelte ich nach dem Nachtisch ein wenig und strich mir über die Arme, um zumindest ein klein bisschen Wärme zu erzeugen. Ich bereute es, nicht doch noch zusätzlich eine gefütterte Jacke mitgenommen zu haben. Jaehyun entging an diesem Nachmittag anscheinend nichts. „Ist dir kalt?", fragte er mich sofort. „Etwas", gab ich kleinlaut zu und er schlüpfte aus seiner Jeansjacke. „Aber dann wirst du doch frieren", meinte ich besorgt, als er mir diese über die Schultern legte und sie beschützerhaft über meinem Oberkörper ausbreitete. „Ich komme schon klar, keine Sorge, Yeonhee", erwiderte er leichtherzig, verschränkte seine Hände im Nacken und schaute unbekümmert gen Himmel, wo sich nur einzelne Wölkchen blicken ließen. „Bereit, weiterzugehen?", erkundigte sich Jaehyun plötzlich und wendete seinen Blick von dem klaren Blau über uns ab. Ich nickte. „Sicher."

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt