Kapitel 22

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„Ähm, schon ein bisschen, schätze ich", wagte ich es vorsichtig zu sagen. „Wir sind uns schon ein paar Mal über den Weg gelaufen", fügte ich so beiläufig wie möglich hinzu und zuckte mit den Schultern. Seine Kiefermuskulatur spannte sich an und er wendete sich zum Fenster, wo die Landschaft wie ein verschwommenes Aquarell an uns vorbeizog. Trotz des schönen Anblicks und der beruhigenden Melodie, die ich noch in einem Ohr wahrnehmen konnte, spürte ich die Anspannung, die plötzlich entstanden war. Ich fing an, mich zu fragen ob ich etwas Falsches gesagt oder getan hatte. „Ist irgendetwas?", durchbrach ich die Stille. „Es ist nur", fing Jaehyun an, „dass Taeyong so oft von dir spricht und auf irgendeine Weise macht es mich, naja, eifersüchtig", gestand er mir und schon schoss mir das Blut in die Wangen. „Dazu gibt es aber wirklich keinen Grund", beteuerte ich stammelnd. „Taeyong und ich sind einfach Freunde." „Sicher? Ich würde, wenn ich du wäre, trotzdem vorsichtig mit ihm sein." Auch, wenn ich Letzteres nicht ganz verstanden hatte, nickte ich einmal überzeugt und er atmete auf. „Puh, das macht mich echt froh", meinte er erleichtert und meine Gesichtsfarbe verdunkelte sich nur noch mehr. Scheu senkte ich meinen Blick auf meinen Schoß, als Jaehyun den Sitzplatz wechselte und sich direkt neben mir platzierte. „Ich habe dich echt gern, Yeonhee", flüsterte er mir zu und aufregendes Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus. Waren das die Schmetterlinge, von denen immer alle redeten? „Und ich meine das ehrlich gesagt nicht nur freundschaftlich." Ich horchte in mich hinein, ob sich etwas in mir sich widersetzte, das zu erwidern. Aber da war nichts, außer meinem Puls, der sich nur noch weiter erhöht hatte. Sah so aus, als hätte ich mich zum ersten Mal verliebt. „Ich dich auch, Jaehyun", wisperte ich und bettete meinen Kopf auf seine Schulter.

„Das hier ist also dein Elternhaus", sagte Jaehyun und betrachtete das Gebäude. Es war weiß gestrichen, hatte einen kleinen Vorgarten und war an sich auch etwas gedrungener gebaut worden. Das Haus hatte zwar weder traditionelle Elemente, noch das Neueste, was es an Architektur gab, aber es strahlte für mich schon immer Vertrautheit aus, die mir das Gefühl gab, zuhause zu sein. Ich führte Jaehyun über den Plattenweg, der durch das Grün gelegt worden war, bis zu unserer Haustür. Seit wir an der Daejeon Station angekommen und am Bahnhof ausgestiegen waren, hatte er darauf bestanden, sowohl meinen Koffer als auch seinen Rucksack zu tragen. Voller Vorfreude drückte ich auf das Klingelschild und hörte ein Summen im Haus ertönen. Keine paar Sekunden später wurde die Tür aufgemacht und ich empfangen.

„Yeonhee!", rief meine Mutter erfreut aus und breitete ihre Arme aus, in die ich mich stürzte. Ich umarmte sie fest und atmete den Rosenduft ihres Parfüms ein. Anschließend nahm sie meine Hände in die ihre und trat einen Schritt zurück. „Du bist ein ganzes Stück gewachsen, in dem Jahr", stellte sie stolz fest und ich lachte. „So groß bin ich nun auch wieder nicht geworden." Sie strich mir mit einer mütterlichen Bewegung über das Haar und legte mir dann eine Hand auf die Wange. „Und von Mal zu Mal hübscher wirst du auch." Ich konnte schon erraten, was als Nächstes kommen würde. „Aber wie sieht es mit einem festen Freund aus?", fragte sie mich spaßeshalber und ich knetete die Finger. „Also, eigentlich habe ich sogar jemanden mitgebracht..." Jaehyun, der sich bisher mehr im Schatten gehalten hatte, trat nun hinter mich. Das überraschte Gesicht, das meine Mutter machte war unbezahlbar.

„Mein Name ist Jaehyun", stellte er sich vor und verbeugte sich höflich. „Nett, Sie kennenzulernen." Meine Mutter war scheinbar vom ersten Moment an total angetan von ihm und schüttelte ihm zur Begrüßung die Hand. „Du kannst mich ruhig duzen", bot sie Jaehyun sofort an und ließ dann ihren Blick zwischen uns hin und herwandern. „Ihr seht gut zusammen aus." „Danke sehr", antwortete Jaehyun vertretend für uns beide und ich glaubte, sie eine Träne der Rührung wegwischen zu sehen. Sie hatte sich schon seit meinem fünfzehnten Geburtstag einen Jungen für mich gewünscht, da sie damals in dem Alter ihre erste Beziehung begann. Und ihren ersten Freund hatte sie letztendlich auch geheiratet. Kein Wunder also, dass sie sich jetzt für mich freute. „Kommt doch rein!" Meine Mutter hielt uns einladend die Haustüre offen und ich schlüpfte ins Innere des Gebäudes, gefolgt von Jaehyun.

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt